Chinas Regime: Jeder Kontrollverlust soll vermieden werden
Die Welt ist fasziniert von der tibetischen Kultur, dem friedlichen tibetischen Buddhismus und der Weisheit ihres geistigen Oberhaupts Dalai Lama. Da die Kommunistische Partei Chinas dabei ist, die Kultur der Tibeter auszulöschen stellt sich die Frage nach den Gründen und nach einem Weg aus dem Konflikt. Die Epoch Times Deutschland sprach darüber am Rande der Berliner Kundgebung des internationalen Solidaritätstages für Tibet am 31. März mit Kai Müller, dem Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation ICT (International Campaign for Tibet).
ETD: Die International Campaign for Tibet hat in Berlin diese Aktion mit organisiert. Warum heute?
Kai Müller: Heute ist der weltweite Aktionstag für Tibet. Weltweit nehmen Gruppen ihn zum Anlass, um Solidarität zu zeigen, zu demonstrieren, Mahnwachen abzuhalten. Das geschieht nicht nur hier in Berlin, sondern auch in Washington, in London, in Amsterdam und auch in anderen Städten. Wir wollen den Tag nutzen und darauf hinweisen, dass die Situation in Tibet nicht unter Kontrolle ist und dass nach wie vor eine Lösung mit dem Dalai Lama gefunden werden muss. Der Druck auf die chinesische Regierung darf international nicht aufhören, denn, wenn jetzt keine Veränderung stattfindet, dann ist es unwahrscheinlich, dass jemals eine stattfindet.
ETD: Haben Sie als Organisator der Aktion eine konkrete Forderung an die chinesische Regierung gestellt?
Kai Müller: Wir wollen, dass die chinesische Regierung ihre Politik in Tibet ändert, wir wollen, dass sie die Interessen der Tibeter beachtet. Sowohl im wirtschaftlichen, religiösen als auch im kulturellen Bereich. Wir wollen, dass die chinesische Regierung mit dem Dalai Lama in einen Dialog tritt, um eine friedliche Lösung für das Problem zu finden.
ETD: In Ihrer Rede erwähnten Sie, dass Sie sich an den Olympia-Sponsor Volkswagen gewandt haben. Welche konkrete Aufforderung haben Sie an Volkswagen gestellt?
Kai Müller: Unsere konkrete Forderung an die Volkswagen AG ist, dass sie ihr Sponsoring des Fackellaufes durch Tibet zurückzieht. Wir meinen, dass hier die Gefahr besteht, dass eine Zuspitzung der Situation in Tibet erfolgt, weil die Tibeter den Fackellauf als Provokation empfinden können. Das halten wir für sehr bedenklich, und ich denke, die Volkswagen AG ist hier als Unternehmen in der gesellschaftlichen Verantwortung, tätig zu werden und auch Abstand von ihrem Engagement in Tibet zu nehmen.
ETD: Wie hat Volkswagen darauf reagiert?
Kai Müller: Volkswagen hat erklärt, dass man die Situation mit Sorge beobachtet und hat jede Stellungnahme oder Bewertung der Situation vermieden. Man hat gesagt, man hoffe, dass gerade dieser Fackellauf dazu beitrage, dass Völkerverständigung stattfindet. Wir halten das für absurd und für eine Floskel. Man muss das so sagen. Es ist nicht ausreichend, die Verantwortung in dieser Weise von sich zu schieben. Wir hoffen, dass dort ein Umdenken stattfindet.
ETD: Haben Sie die Forderung an Volkswagen vor oder nach den Unruhen in Tibet gerichtet?
Kai Müller: Nachdem klar war, was jetzt in Tibet geschieht und dass die Bevölkerung entschlossen ist, ihren Protest weiter zu führen, haben wir diese Bitte, diesen Appell an Volkswagen gerichtet. Wie man in der letzten Woche durch die Aktion der Mönche, die in Lhasa mit den ausländischen Journalisten sprachen, gesehen hatte, war der Protest zum großen Teil friedlich. Es kann nicht sein, dass so getan wird, als wäre nichts geschehen. Das ist für uns inakzeptabel.
ETD: Den Tibet- Konflikt gibt es nicht erst seit März, sondern er ist ein langjähriges Problem. Wo sehen Sie, als Geschäftsführer einer Tibetorganisation eine Lösung?
Kai Müller: Eine Lösung wäre sicherlich nicht einfach zu erzielen und nicht innerhalb eines Jahres zu verwirklichen. Man muss die Themen konzentriert angehen, mit dem ernsthaften Willen eine Lösung zu erreichen. Und ich denke auch, dass sich der Dalai Lama bewusst ist, dass es länger dauern würde.
Zur Disposition stehen solche Punkte wie, Selbstbestimmung des tibetischen Buddhismus, Sprache, Bildung, wirtschaftliche Selbstbestimmung, Nomaden dürfen nicht länger zwangsangesiedelt werden. Man muss Bildung und Gesundheitsversorgung auf das tibetische Land bringen. Das kann nur durch eine substanzielle Autonomie mit den Chinesen zusammen erreicht werden.
ETD: Warum hat die kommunistische Partei solche Angst von der tibetischen Kultur, der Sprache und der Religion?
Kai Müller: Das ist eine sehr schwere Frage. Sicher dürfte sein, dass grundsätzlich das politische System in China so ist, dass jeder Kontrollverlust vermieden werden soll – dass Pluralismus nicht erwünscht ist. Das sehen wir auch als Hintergrund für die jetzige Situation in Tibet. Natürlich kommt hier noch mal eine besondere kulturelle Komponente hinzu. Die Sorge, dass die Tibeter sehr viel Respekt für den Dalai Lama empfinden.
ETD: Die Situation in Tibet ist immer noch sehr kritisch. Wie kann die internationale Gesellschaft wirklichen Druck ausüben, damit sich der Konflikt sobald wie möglich beruhigt?
Kai Müller: Sicherlich muss das Thema jetzt ganz oben auf der Agenda stehen, wenn es zu Gesprächen mit China kommt. Zum zweiten muss man sich unzweideutig verhalten. Jede Zurückstellung dieses Themas hinter andere Interessen wäre absolut abträglich und kontraproduktiv, leider hat man das in der Vergangenheit zu oft gemacht. Das muss sich ändern, dann wäre schon einiges gewonnen. Man muss auch auf die Zeit nach den Olympischen Spielen schauen. Dann wird es auch noch mal sehr wichtig, wie sich die Staatengemeinschaft in Bezug auf China verhält.
ETD: Sehen Sie selbst den Boykott der Olympischen Spielen als ein sinnvolles Mittel?
Kai Müller: Wir denken, dass die Olympischen Spiele als Mittel dienen könnten, um Druck auf die chinesische Führung auszuüben. Daher halten wir es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für richtig, für einen Olympia-Boykott einzutreten. Man muss auch genau sehen, wem so einen Boykott dient und wem er schadet. Wir glauben, dass die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung nicht verstehen würde, wenn zu einem kompletten Boykott aufgerufen würde.
ETD: Habe ich Sie richtig verstanden, Sie befürchten, dass wenn die Olympischen Spiele boykottiert würden, das chinesische Volk dies nicht verstehen könnte?
Kai Müller: Der Dalai Lama hat erklärt, dass er die Spiele will, weil es eine große Auszeichnung für das chinesische Volk ist. Man muss hier differenzieren, wer politische Verantwortung trägt, das ist die chinesische Regierung. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Boykott zielführend wäre. Ich glaube man muss dies aber jeweils der Situation angepasst bewerten.
ETD: Darf ich Ihre Meinung so verstehen, dass das kommunistische System die Spiele nicht verdient aber das Volk im Prinzip schon?
Kai Müller: Ich denke, die chinesische Führung trägt die Hauptverantwortung für die Situation in Tibet.
ETD: Wie meinen Sie soll die Situation verändert werden, wenn die chinesische Regierung weiterhin macht, was sie möchte?
Kai Müller: Das ist eine schwierige Frage, aber ich denke, man darf die Hoffung nicht aufgeben, dass sich in China letztendlich auch moderate Stimmen durchsetzen. Und ich denke die gibt es auch. Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass wenn Premierminister Wen Jiabao sich in Hardlinermanier über den Dalai Lama äußert, dies nicht unbedingt von allen Chinesen angenommen wird. Bloß können sie sich leider in ihrem eigenen Land nicht äußern, weil es keine Meinungsfreiheit gibt.
Aber ich denke, es gibt eine Vielzahl von Chinesen, die an den tibetischen Buddhismus glauben. Wir kennen die Zahl, wir wissen, dass es mehr und mehr Menschen gibt, die sich dem zugehörig fühlen. Und ich glaube nicht, dass die chinesische Bevölkerung so ein monolithischer Block ist, dass sie wie Schafe der Propaganda aus Peking folgen. Ich denke so einfach ist es auch nicht. Unsere Hoffnung ist, dass sich die moderaten Töne und Stimmen in Peking durchsetzen. Die wollen wir auch unterstützen mit unserer Arbeit.
ETD: Das heißt, Sie haben schon seit vielen Jahren versucht mit dem chinesischen Volk über das Problem zu sprechen? Leider hat das chinesische Volk keinen freien Informationszugang. Wie schätzen Sie es ein, wie das Volk über den Dalai Lama denkt?
Kai Müller: Es gibt chinesische Intellektuelle, das mag zwar nicht die Elite der Intellektuellen in China sein, aber es haben sich viele Intellektuelle in China für eine vernünftige Politik aus Peking, was Tibet betrifft, ausgesprochen.
EDT: Werden diese Menschen, welche sich dafür aussprechen jetzt auch festgenommen?
Kai Müller: Irgendwann kann man es sich nicht mehr leisten, Menschen festzunehmen. Ich denke eine zweite Kulturrevolution ist nicht mehr möglich, weil China zu sehr international eingebunden ist. Das ist wieder ein Vorteil der internationalen Einbindung. Das hoffen wir zumindest, aber wir sind auch realistisch. Wir wissen, dass das ein weiter Weg ist. Aber ich denke, wenn eine Veränderung stattfinden soll, dann nur auf diesem Weg. Wir müssen es versuchen.
EDT: Während meines Lebens in China habe ich über die Tibeter nur Propaganda gehört. Das wurde mir erst in Europa klar, als ich feststellen musste, dass das tibetische Volk aufgrund seines Glaubens grundsätzlich gewaltlos eingestellt ist. Wird das chinesische Volk nicht betrogen?
Kai Müller: Das ist natürlich schwierig, wir kennen auch diese Fälle. Zum Beispiel Teng Biao, der sich im Interview in Deutschland auch über den Dalai Lama geäußert hat. Er ist nach China zurückgefahren, war dann zwei Tage lang weg. Wir wissen schon, dass es sehr gefährlich ist. Aber durch unsere Geschichte – wir haben auch erlebt wie schnell sich ein Regime ändern kann. Wir haben Mitte der Achtziger auch geglaubt, die DDR verschwindet niemals, aber nach wenigen Monaten hatte sich alles sehr schnell verändert.
ETD: Wie beurteilen Sie die Tibetpolitik im Kontext der gesamten Unterdrückungspolitik der Kommunistischen Partei?
Kai Müller: Sicherlich sieht man in Tibet die Probleme im Brennglas. Es gibt in China sicherlich auch spezifische Probleme, die in Tibet nicht vorkommen. Aber umgekehrt gesagt: würde man eine Lösung für Tibet finden, könnte das insgesamt zum Beispiel für die Religionsfreiheit eine gewisse Rolle spielen – für Falun Gong, für die katholischen Christen, für religiöse Menschen allgemein.
Meinungsfreiheit ist ein Querschnittsproblem in China, ebenso die Frage von Autonomie, Selbstbestimmung und Pluralismus. Wenn man in Tibet einer Lösung näher kommt, hoffen wir, dass sich dies auf ganz China positiv auswirken wird.
ETD: Herr Müller, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen stellte Maria Zheng
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