Dietrich Bonhoeffer: Anwalt der „religiös Unmusikalischen“
Als junger Mann hatte ich in den 60er Jahren das große Glück, Dietrich Bonhoeffers Schwester Susanne kennen zu lernen. Wir Theologiestudenten ihres Mannes, der in Berlin Professor für Kirchengeschichte war, saßen oft um die Zeitzeugin herum. Sie wusste überaus lebendig zu erzählen. Dadurch wohl angeregt schlug ich damals ein schmales Jahrhundertbuch auf. Es hieß „Widerstand und Ergebung“. Mitteilungen Bonhoeffers aus der Haft zwischen 1943 und 1945, besonders die heraus geschmuggelten Briefe an seinen Freund Eberhard Bethge, haben mich nie mehr losgelassen. Sei sind einzigartig, voller theologischer Sprengkraft.
Dabei ist der Pfarrer und Lehrer der Kirche überhaupt kein theologischer Draufgänger. Er möchte vielmehr eindringen in den Kern des Christentums. „Was mich unablässig bewegt, ist die Frage…, wer Christus für uns heute eigentlich ist.“ Ein Glaubender ist Bonhoeffer und bleibt es bis zuletzt – bis zu seiner Ermordung im KZ Flossenbürg. Kurz nach der Machtergreifung der Nazis steht für ihn bereits fest: Wenn ein Amokläufer auf einer belebten Straße eine Spur der Verwüstung hinter sich lässt, dann kann es nicht Aufgaben der Kirche sein, sich nur um die Opfer zu kümmern (dies natürlich auch!). „Dann gilt es, dem Rad in die Speichen zu fallen.“ Konsequent kehrt Bonhoeffer 1939 von einem Aufenthalt in Amerika ganz bewusst in das Reich des Bösen zurück. Erwählt die Konspiration, freilich ohne die Rückendeckung durch seine Kirche. Im Wissen des Schuldigwerdens betreibt er mit anderen die Vorbereitungen zur Beseitigung Hitlers. Aber Nicht zu handeln wäre für ihn die größere Schuld. Noch vor dem 20. Juli gerät er ins Visier der Machthaber, kommt in Untersuchungshaft.
Hier nun, in der Wehrmachtsabteilung des Gefängnisses Berlin-Tegel, denkt er sich während der Bombennächte in theologische Dimensionen hinein, die für mich zum Kostbarsten gehören, was im 20. Jahrhundert formuliert worden ist. Wie vor ihm in anderer Weise Paul Tillich und Rudolf Bultmann wagt er es, die Loslösung der Moderne aus der Vormundschaft von Religion und Kirche theologisch zu bejahen. In Bonhoeffers Sicht darf die „Mündigkeit der Welt“ nicht verteufelt werden. Denn Christus, der Mensch für andere, ist es auch für die im Denken und Begreifen erwachsen Gewordenen. Diesen Mündigen, Aufgeklärten fühlt sich der Christ Bonhoeffer nahe.
Schon 1942 äußert er gegenüber seinem Freund:
„Ich spüre, wie in mir der Widerstand gegen alles ‚Religiöse’ wächst, … Ich bin keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muss ich immerfort denken, an Echtheit, an Leben, an Freiheit und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen Einkleidungen so unbehaglich.“
Und aus Tegel schreibt er:
„Oft frage ich mich, warum mich ein ‚christlicher Instinkt’ häufig mehr zu den Religionslosen als zu den Religiösen zieht, und zwar durchaus nicht in der Absicht der Missionierung, sondern ich möchte fast sagen ‚brüderlich’.“
Kann es so etwas wie ein „religionsloses Christentum“ geben? Ja, sagt Bonhoeffer. So wie Paulus die jüdische Beschneidung nicht als Bedingung des Christwerdens akzeptierte, so kann es heute nicht länger die Religion sein. Bonhoeffer sucht nach einer „nichtreligiösen Interpretation theologischer Begriffe“. Die klassisch-religiöse Kirchensprache will ihm nicht mehr über die Lippen kommen:
„Auch wir selbst sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Was Versöhnung und Erlösung, Was Wiedergeburt und Heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, das alles ist so schwer und fern, dass wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen.“
Bonhoeffer weiß, dass er mehr die Aufgabe einer „Einkleidung“ des Glaubensgutes sieht, als sie schon lösen zu können. Aber er hofft, mit seinen radikalen Anstößen „für die Zukunft der Kirche einen Dienst tun zu können.“ „Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu.“
Hat die Kirche seinen Dienst angenommen? Die Fachleute haben die „nichtreligiöse Interpretation“ ausführlich diskutiert. An der kirchlichen Basis ist wenig davon angekommen – in der ehemaligen DDR möglicherweise mehr als im Westen. Merkwürdig: Als Widerstandskämpfer ist Bonhoeffer zur Ikone geworden, die theologischen Impulse seiner Spätzeit harren hingegen weiterhin wirklicher Beachtung. Mag sein, dass das Wort „religionslos“ dabei im weg steht. Vielleicht ist der säkulare Mensch gar nicht unreligiös. Vielleicht haben jene Recht, die sagen, Religion sei keine Zutat, die man einfach ablegen kann. Sie sei vielmehr ein fundamentales anthropologisches Phänomen mit vielen Schattierungen. Man müsse den Begriff nur weit genug fassen. Die sogenannten Religionslosen hätten auch ihre Religion.
Der Autor Wolfgang Hilpert ist evangelischer Theologe und Religionslehrer in Berlin
Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung; TB Gütersloher Verlagshaus
Renate Wind: Dem Rad in die Speichen fallen; TB Gütersloher Verlagshaus
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