Chinas Machtspiele mit dem Internet – Der Suchbegriff „4. Juni“ ist verboten

Es sieht merkwürdig aus, vielleicht sogar amüsant, aber der Hintergrund ist ein dramatischer Machtkampf in der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Es geht um Macht, um viel Geld und um viele Menschenleben.
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Machtspiele mit Chinas Internet.Foto: Frederic J. Brown/AFP/Getty Images

Politisch sensible Begriffe, die in der Regel in den Suchergebnissen zensiert werden, werden plötzlich wieder verlinkt zu Webseiten, die gerade am Tag zuvor bzw. jahrelang noch als Tabu in China blockiert waren. Obwohl einige dieser Fenster zu einem freieren Internet bald wieder geschlossen wurden, hatten Beobachter schnell bemerkt, dass die Machtkämpfe in den oberen Reihen der Kommunistischen Partei Chinas sich bis in den Cyberspace durch die Aufhebung der Zensur ausgebreitet hatten.

Wer sich als „Genosse“ ausgibt, kann auf anderen Ebenen ganz anders agieren. Bild: Christian SchlierkampWer sich als „Genosse“ ausgibt, kann auf anderen Ebenen ganz anders agieren. Bild: Christian Schlierkamp

Am bekanntesten waren die Suchbegriffe im Zusammenhang mit dem Tiananmen-Massaker am 4. Juni 1989 und mit der spirituellen Falun Gong-Bewegung, nach denen man plötzlich ungehindert suchen konnte. Die gewalttätigen Niederschlagungen und politischen Empfindlichkeiten, die mit diesen Begriffen assoziiert werden, berühren das Zentrum der Legitimität des herrschenden chinesischen Regimes. Sie sind auch beide mit dem ehemaligen chinesischen Staatschef Jiang Zemin verbunden, dessen Verbündete die eine Seite der geteilten Fraktionen innerhalb der Partei darstellen.

In Opposition zu Jiang befindet sich der selbsternannte Reformer Wen Jiabao, die rechte Hand des jetzigen Parteichefs und Verbündeten Hu Jintao. Auf der Seite von Jiang, der sich vermutlich in einem schlechten Gesundheitszustand befindet, sind seine langfristigen Unterstützer Zhou Yongkang, der Sicherheits-Zar, und Li Changchun, der Propagandachef, und andere.

Bo Xilai war auch ein treuer Jiang-Gefolgsmann. Sein jüngster höchst dramatischer Untergang löste eine Kettenreaktion von Spekulationen aus über die Zukunft der Ein-Parteien-Herrschaft. Unbestätigte Berichte von Schüssen am 19. März in der Nähe von Zhongnanhai, dem Wohnviertel der Regierungsmitglieder, steigerten das Drama.

Verbotener Suchbegriff: „4. Juni“

Der Begriff „4. Juni“ auf Chinesisch wurde kurz auf Baidu, Chinas wichtigster Suchmaschine, am 21. März freigegeben. Keine Nachricht erschien, um anzumerken, dass die Ergebnisse zensiert wurden und der erste Punkt war über Wen Jiabaos Absicht, das Ereignis politisch zu rehabilitieren. Mehrere ehemals verbotene Webseiten waren ebenfalls zugänglich und einige standen noch bis zum 22. März zur Verfügung. Und Begriffe im Zusammenhang mit Falun Gong wurden auch für einen bestimmten Zeitraum freigeschaltet.

Die Öffnung des Internets könnte als Hilfe für Wen Jiabaos Fall angesehen werden. Wen hielt vor Kurzem eine Rede, in der er die Notwendigkeit für China betonte, politische Reformen durchzuführen, um die Kulturrevolution nicht zu wiederholen. Dies wurde von vielen Beobachtern als das Einrammen eines weiteren Zaunpfahls in seinem ideologischen und politischen Kampf interpretiert gegen die Hardcore-Elemente in der Partei, wie Bo Xilai und Zhou Yongkang.

In einem Artikel mit dem Titel „Wen bereitet den Boden für die Heilung des Himmlischen Friedens“, berichtete die Financial Times kürzlich, dass Wen dreimal in High-Level-Partei-Treffen vorgeschlagen hätte, dass das Urteil über das Tiananmen-Massaker überarbeitet werden müsste.

„Nachrichten über den 4. Juni zu veröffentlichen, könnte hilfreich für Wen sein“, sagte Chen Kuide, Herausgeber der Website „China In Perspektive“, der einflussreichsten unter den chinesischen Intellektuellen. Für Wen geht es darum, wer gegenüber der Geschichte verantwortlich ist, sagte Chen.

„Er will auf der Seite des Volkes, auf der guten Seite stehen. Er will nicht zu Li Peng und den anderen gezählt werden“, die für die militärische Niederschlagung in Peking eingetreten sind. „Er ist smart. Er weiß, dass in Zukunft der 4. Juni anerkannt wird … Er will verantwortlich erscheinen für das Volk.“

Drei der übrigen Suchbegriffe, die verschiedene Grade von gelockerter Zensur erhielten, waren Shen Yun Performing Arts, „Zhuan Falun“ und The Epoch Times. Jeder von ihnen gilt als politisch heikel in China und alle drei werden streng zensiert.

Shen Yun ist eine Tanzkompagnie für klassischen chinesischen Tanz, die durch die ganze Welt tourt. Ihre ausdrücklich erklärte Unabhängigkeit von dem Regime bei der Darstellung der traditionellen chinesischen Kultur sowie bei zeitgenössischen Fragen der Menschenrechte in China hat zu einer konstanten Hetzjagd chinesischer Botschaften gegen sie geführt, wo immer sie sich aufhält.

Aber die Suche nach „Shen Yun, Darstellende Kunst“ (mit einem Komma) am 21. März lieferte Ergebnisse sowohl auf Weibo als auch Baidu. Die Suche war ohne Komma an einer Stelle blockiert (und wurde später freigegeben, jedenfalls am Abend des 22. März).

Zensur in China ist unglaublich vielschichtig

Die Komplexität des Systems der Internet-Zensur in China, ob mit politischen Vorgaben gekoppelt oder nicht wegen der sich ständig bewegenden Kampflinien, sie alle könnten zu Unregelmäßigkeiten bei der Suche beigetragen haben, laut Ryan Budish, einem Wissenschaftler am Harvard University’s Berkman Center für Internet und Gesellschaft. „Die Zensur in China ist unglaublich vielschichtig“, schrieb er in einer E-Mail. „Es ist schwer zu sagen, was in China passiert“ im Hinblick auf die gesperrten und nicht gesperrten Webseiten.

Aber www.shenyun.us, die offizielle Webseite des Unternehmens, stand noch von Shanghai aus in China um 5 Uhr Ortszeit am 23. März zur Verfügung, nach Auskunft von Webseite „Pulse“, die Webseiten hinter der Great Firewall testet.

Bill Xia, der Geschäftsführer von Dynamic Internet Technology, glaubt nicht, dass dies ein Zufall gewesen sei. „Jemand muss etwas extra tun … entweder auf technischer Ebene oder Managementebene“, um eine blockierte Webseite freizuschalten, sagte er.

Eine Webseite über das Hauptbuch von Falun Gong mit dem Titel „Zhuan Falun“ erschien am 21. März als das Top-Ergebnis auf Baidu, wenn man nach dem Begriff suchte. Seit dem 22. März wurde die Suche wieder zensiert und die Ergebnisse enthalten nur Parteipropaganda und staatlich anerkannte Webseiten. Die Webseite, die zuvor als Erste erschien, wurde in China am 22. März gesperrt, laut der Webseite Pulse.

Die Initiierung der gewalttätigen Verfolgung von Falun Gong war eines der markantesten Elemente der Jiang Zemin-Herrschaft. Dass Begriffe im Zusammenhang mit der Meditationsbewegung mitten in einem wie es scheint destabilisierenden Machtkampf entsperrt wurden, ist kein Zufall, sagt Chen Kuide.

Suchte man nach „False Fire“, dem Namen eines von Falun Gong-Praktizierenden hergestellten Dokumentarfilms, war er ebenfalls frei zugänglich. Der Film beleuchtet eine durch die Kommunistische Partei im Jahr 2001inszenierte Selbstverbrennung, die der Bewegung schaden sollte. Der 2001-Vorfall wurde das zentrale Argument in der Kampagne der Partei, um Falun Gong anzugreifen und zu diffamieren.

„Jeder weiß, dass Jiang Zemin und Zhou Yongkang darauf fixiert waren, Falun Gong zu verfolgen, vor allem Jiang. Wenn man erlaubt, dass nach diesen Informationen gesucht werden kann, ist das ein Angriff auf Jiang“, sagte Chen und bietet eine mögliche Erklärung. „Der politische Kampf in den höchsten Ebenen ist im Moment sehr intensiv“, sagte er. „Die bewusste Freisetzung von bestimmten Suchanfragen ist auch eine Methode des politischen Kampfes.“



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