China: Kaum Hoffnung auf Reformen

Buchbesprechung: Philip B. Pan, 'Aus Maos Schatten heraus’, Der Kampf um die Seele eines neuen China
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Wild wuchernde Korruption in der Partei, eine Einparteienherrschaft, die Fassade eines legalen Systems und die staatliche Kontrolle über die Presse haben die KPCh in die Lage versetzt, seit 60 Jahren in China zu regieren. Die kommunistischen Parteiführer verfolgen mit größter Aufmerksamkeit jegliches Infragestellen ihrer Herrschaft und Reputation. Es gibt jedoch einen menschlichen Wesenszug, den die Partei immer fürchten muss: Das Gespür der Öffentlichkeit für Fairness. Man könnte es ‚die Gerechtigkeit des Volkes‘ nennen. Wenn dir der Parteiführer dein Land wegnimmt und dich dafür nicht entschädigt, dann wissen die Bauern, dass das falsch und ungerecht ist – um nur ein Beispiel aus dem heutigen China zu nehmen.

In den letzten zehn Jahren erheben sich mehr und mehr Menschen in China, die nicht den Sturz der Partei (obwohl sie vielleicht heimlich solche Wünsche haben) und auch nicht freie Wahlen wollen. Sie suchen ganz einfach nur nach Gerechtigkeit. In Anbetracht der entsetzlichen Vergangenheit Chinas – Kulturrevolution, Massaker auf dem Tiananmenplatz – suchen andere ähnlich nach ‚Wahrheit‘, zum Beispiel aus jüngster Zeit die Wahrheit über SARS. Diese Gerechtigkeits- und Wahrheitssuchenden wissen, dass ihre Bemühungen Widerstand bei der Partei auslösen und sie ins Gefängnis bringen können. Sie laufen auch Gefahr, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder geschlagen und sogar gefoltert zu werden. In Philip B. Pans Buch ‚Aus Maos Schatten heraus: Der Kampf um die Seele für ein Neues China‘ werden Leben und Kampf der Gerechtigkeits- und Wahrheitssuchenden sehr gekonnt und einfühlsam beschrieben.

Ein älterer Arzt kämpft gegen die Verschleierung der Regierung im Falle einer SARS-Epidemie. Ein Journalist beschreibt, wie ein junger Mann vom Land, ein Grafiker, der nach Guanzhou unterwegs war, von der Polizei zu Tode geprügelt wird. Arbeiter kämpfen um ihre Altersversorgung und ihre Löhne, die ihnen nicht gezahlt wurden. Ein Filmemacher stellt Nachforschungen über die Exekution einer jungen Frau während der Kulturrevolution an. Ein blinder Rechtsanwalt kämpft gegen illegale Abtreibungen und Sterilisation bei der ländlichen Bevölkerung.

Dieses sind nur einige von Pans bewegenden Geschichten, die eines gemeinsam haben: mutige Menschen, die sich gegen Parteiwillkür stellen und dabei riskieren, ihren Arbeitsplatz und ihre Freiheit zu verlieren. Sie besiegen ihre eigene Furcht, was mit ihnen geschehen kann, wenn sie sich gegen Ungerechtigkeit und Lügen auflehnen. Im Hintergrund stehen immer das Massaker auf dem Tiananmenplatz und die ständige Bereitschaft der Partei, jeden Dissens sofort mit Gewalt zu unterdrücken. Pan, der sieben Jahre lang Reporter bei der „Washington Post“ war und fließend Mandarin spricht, konnte die Polizei umgehen und gelangte an Orte, um dort mit Menschen zu sprechen, die normalerweise für westliche Reporter nicht erreichbar sind.

Das Buch beginnt mit einer Geschichte über einige Teilnehmer an den Protesten von 1989 und Überlebenden des Massakers auf dem Tiananmenplatz. Sie sind entschlossen, an der Beerdigung von Zhao Ziyang teilzunehmen, trotz des Wunsches der Partei, die Erinnerung an den ehemaligen kommunistischen Parteisekretär auszulöschen. Normalerweise hätte ein Mann von Zhao Ziyangs Größe ein Staatsbegräbnis verdient, aber die Partei wollte, dass die Nation Zhao vergisst. Er war der Mensch, durch dessen wirtschaftliche Reformen es erst möglich wurde, dass China in den letzten zwanzig Jahren zu der großen Wirtschaftsmacht wurde, die es heute ist.

Zhao war der Held der früheren Demonstranten, weil er sich weigerte, den Befehl zu unterstützen, Armee und Panzer gegen die Demonstranten im Jahre 1989 einzusetzen. Zhao wollte demokratische Reformen der Partei und stellte sich gegen die Hardliner, die demokratische und wirtschaftliche Reformen ablehnten.

Dass Pan das Buch mit der Beerdigung von Zhao beginnt, ist einfach genial. Dieses Ereignis kapselte die Spannungen zwischen der KPCh und dem Volk ein. Die Teilnehmer der Beerdigung hoffen auf ein neues China und nehmen den Fall von Demokratie und Freiheit dort wieder auf, wo er auf dem Tiananmenplatz liegen geblieben war.

Aber wenn man diese fantastische Sammlung der Geschichten von ganz gewöhnlichen Menschen liest, die gegen ein System von Korruption, Gleichgültigkeit und Brutalität kämpfen, dann fällt einem auf, dass die beiden Opponenten, Volk gegen Partei, falsch zugeordnet sind.

In einer Geschichte erklärt Pan zum Beispiel, wie das System der KPCh es Arbeitern unmöglich macht, fair behandelt zu werden: „Ohne eine freie Presse und unabhängige Gerichte konnten Arbeiter niemals gegen ihre Arbeitgeber klagen, die ihnen keinen Lohn zahlten….Ohne Wahlen hatten sie keine Möglichkeit, gegen diejenigen anzugehen, die unerlaubte Geschäfte machten, statt sich um Rechtsvorschriften für die Arbeit zu kümmern.“

Die eine Seite besitzt fast die gesamte Macht und kontrolliert das Rechtssystem und die Medien. Die Partei zu reformieren ist weitaus schwieriger als Pan und die Gerechtigkeits- und Wahrheitssuchenden gehofft hatten.

Das Reformziel ist das Hauptanliegen des Buches und wird immer wieder angesprochen. In einer Geschichte über eine Verhandlung habe ich gedacht: Welchen Zweck hat es, wenn man vor Gericht geht, um die Behörden zu zwingen, dem Gesetz zu gehorchen? Jeder weiß, dass die Partei über dem Gesetz steht und tun kann, was sie will. Pan weiß dieses auch: „Die Verhandlung war natürlich eine Scharade“, sagt er.

Aber die Partei kann nicht so leicht einschreiten, erklärt Pan. Sie hat eine Reputation zu schützen, nach der sie nach Recht und Gesetz regiert. Der Rechtsanwalt erklärt: Wenn er einen guten Fall hat und die Partei eingreift und das Gericht behindert, dann muss sie die Maske fallen lassen. Die Partei würde einen hohen Preis bezahlen. Vor allem würde ihrem Image Schaden zugefügt und dann könnte es sein, dass sie entscheidet, dass es der Fall nicht wert ist.

„Die Scharade könnte Realität werden – die Partei könnte durch ihre eigenen Scheingesetze dazu gezwungen werden“, erklärt Pan.

Cheng Yizhong, der oben erwähnte Journalist, kämpfte in der „Southern Metropolis Daily“ in Guangdong gegen das berüchtigte Shourong-System, auf Grund dessen die Polizei in den Städten des Landes vermisste Menschen, Ausreißer, nicht Sesshafte und sonst wen aufgreift, um dann für die Freilassung hohe Summen zu fordern. Der Zeitungsbericht hatte zur Folge, dass Wen Jiabao, Chinas Premierminister, ein Ende des Shourong-Systems befahl und 700 Gefängnisse geschlossen wurden. Das war ein Riesenerfolg; denn das Shourong-System war für die Polizei sehr lukrativ gewesen. Zwei Millionen Personen waren jedes Jahr eingesperrt worden. Nicht lange nach diesem Erfolg jedoch veranlasste der Parteiführer von Guangzhou, dass Cheng und zwei weitere Geschäftsführer verhaftet und eingesperrt wurden. Der Vorwurf lautete auf gefälschte Beweise und finanzielle Korruption der Zeitung.

Ein Aufschrei in der Öffentlichkeit sorgte dafür, dass Cheng nach fünf Monaten wieder frei kam – doch vorher wurde er noch gefoltert – nicht in dem Maße, wie etwa die Falun Gong-Praktizierenden – aber Schlafentzug, eiskalte Güsse auf seinen Körper, Nahrungsentzug und ständiger Druck, endlich zu „bekennen“, gehörten dazu. Wir haben erfahren, dass Cheng die „Daily“ verlassen musste und jetzt irgendeinen unbedeutenden Job hat. Einer der anderen Geschäftsführer der „Daily“ sitzt wahrscheinlich noch seine auf vier Jahre reduzierte Gefängnisstrafe ab.

Nachdem Cheng das Gefängnis erlebt hat, ist er zu dem Schluss gekommen, dass Artikel von Journalisten die Partei nicht reformieren werden. Er betrachtet die Regierung der Partei als „hoffnungslos korrupt“ und „hat alle Hoffnung in das System verloren“, schreibt Pan.

Die meisten Leser werden wie der Journalist zu dem gleichen Schluss kommen, wenn sie erst einmal diese und andere Geschichten gelesen haben. Hier gibt es keine Hoffnung für Reformen. Etwas wesentlich Fundamentaleres muss in das Bewusstsein des chinesischen Volkes eindringen, um China auf einen neuen Weg zu bringen. Es ist schade, dass Pan die Millionen von Chinesen übergangen hat, die nicht erst sorgfältig die Risiken prüfen, bevor sie die Partei herausfordern.

Das sind die Falun Gong-Praktizierenden, die Hauschristen und Rechtsanwälte wie Gao Zhisheng. Sie entscheiden nach ihrem Gewissen und tun dann das, was sie für richtig halten, gleichgültig welche Konsequenzen es nach sich zieht. Vielleicht sind es diese furchtlosen Menschen, die den Schlüssel für eine echte Veränderung in China in der Hand haben.

 

Philip Pan: Out of Mao’s Shadow. The Struggle for the Soul of a New China. Simon & Schuster, New York 2008

Originalartikel (englisch): http://www.theepochtimes.com/n2/content/view/20865/

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