„Kornkreise“ im Navigationssystem: Gefälschte GPS-Daten zeigen „Geisterschiffe“ im Gelben Meer
Smartphones, Autos, Flugzeuge und Schiffe orientieren sich weltweit anhand des Global Positioning System (GPS). 33 Navstar-Satelliten ermöglichen, dass jeder weiß, wo er sich gerade befindet und ob — im Falle des See- oder Luftverkehrs — eine Kollision droht. Gefälschte GPS-Daten aus dem Gelben Meer zeigen jedoch Schiffe, wo gar keine sind und versuchen mit unmöglichen Manövern den wahren Aufenthaltsort der „Geisterschiffe“ zu verschleiern.
Nach internationalem Recht müssen alle Schiffe über 300 Bruttoregistertonnen mit Transpondern des automatischen Identifikationssystems (AIS) ausgestattet sein. Alle paar Sekunden senden diese Geräte die Identität des Schiffs, GPS-Position, Kurs und Geschwindigkeit aus und zeigen AIS-Daten von anderen Schiffen in der Umgebung an. Das trägt dazu bei, überfüllte Wasserstraßen sicherer zu machen und Kollisionen zu vermeiden.
Wenn Seeleute das GPS-Signal verlieren, können sie auf Papierkarten, Radar und visuelle Navigation zurückgreifen. Wird das GPS-Signal eines Schiffes jedoch gefälscht, wird dem Kapitän – und allen Schiffen in der Nähe, die es über AIS verfolgen – mitgeteilt, dass sich das Schiff ganz woanders befindet. So geschehen im Gelben Meer, wo bis zu 300 Schiffe gleichzeitig Opfer des sogenannten GPS-Spoofing wurden.
Geisterschiffe auf Abwegen
GPS ist eine Erfindung des amerikanischen Militärs und dient neben der zivilen Navigation der weltweiten Navigation von Lenkwaffen, Kriegsmaschinen oder Schlachtschiffen. Kein Wunder also, dass fremde Regierungen GPS-Signale in der Nähe empfindlicher Infrastruktur wie Militärbasen oder Regierungsgebäuden mit sogenannten Jammern stören.
Während die Störsender das GPS-Signal „maskieren“ und so die präzise Ortung in einem beschränkten Bereich verhindern, geht das GPS-Spoofing noch einen Schritt weiter und erweckt den Anschein, dass Schiffe — oder andere Objekte — ganz woanders sind.
Die Schiffe fuhren angeblich mit bis zu 39 Knoten (72 km/h) in Kreisen von lediglich 200 Meter Durchmesser — realistisch für diese Schiffsgröße sind 13 bis 17 Knoten und Wenderadien von etwa 500 bis 1.000 Metern. Nach Angaben der „Welt“ befinden sich 16 dieser Kreise in der Nähe von Ölterminals und drei bei großen Gebäuden von Regierungsorganisationen.
Ein unsichtbarer elektronischer Krieg um die Zukunft der Navigation
Wie das MIT berichtete, wurde auch der Kapitän der MV Manukai zum Opfer des Spoofings, als er im Sommer 2019 in den Hafen von Shanghai, einer der geschäftigsten Häfen der Welt, einlief. Dem AIS-Signal zufolge fuhr ein anderes Schiff mit etwa sieben Knoten (13 km/h) auf dem gleichen Wasserweg. Dann verschwand das Schiff, um wenig später angeblich wieder am Dock zu liegen. Plötzlich befand es sich wieder im Kanal und bewegte sich wieder, dann wieder am Dock, dann wieder weg. Irgendwann nahm der Kapitän sein Fernglas und verschaffte sich selbst ein Bild. Das andere Schiff hatte die ganze Zeit über am Dock gelegen.
Als es Zeit für die Manukai war, ihren eigenen Liegeplatz anzusteuern, ertönte auf der Brücke ein Alarm. Beide GPS-Geräte des Schiffes — aus Sicherheitsgründen sind sie redundant ausgelegt — hatten ihre Signale verloren und der AIS-Transponder war ausgefallen. Selbst ein SOS-Notsystem, das ebenfalls auf GPS angewiesen war, konnte kein GPS-Signal finden. Auch als die Manukai sicher an der Kaimauer lag, konnte das AIS nur sporadisch eine Verbindung herstellen — und meldete mehrfach, dass sie sich über fünf Kilometer entfernt befände.
Alle [Antennen-] Verbindungen sind gesichert und trocken“, schrieb der Kapitän der Manukai später. „Es gab keine weiteren Probleme mit diesen Einheiten. [Ich] vermute, dass das GPS-Signal an diesem Liegeplatz gestört ist.“
Tatsächlich geschah etwas viel Gefährlicheres und der Kapitän der Manukai war sich dessen nicht bewusst. Neue Forschungen zeigen, das diese Falschmeldungen nicht auf klassische Störsender zurückzuführen sind. Obwohl die GPS-Signale des amerikanischen Schiffes zunächst nur gestört zu sein schienen, waren ihre wahre Position und Geschwindigkeit durch falsche Daten ersetzt worden.
Dies kann katastrophale Folgen haben, denn die Hälfte aller Unfälle auf See sind auf Navigationsfehler zurückzuführen, die zu Kollisionen oder Grundberührungen führen. Die Manukai und tausende andere Schiffe wurden Opfer einer mysteriösen neuen Waffe, die in der Lage ist, GPS-Systeme auf eine noch nie dagewesene Weise zu täuschen.
Bislang weiß niemand, wer hinter diesem Spoofing steckt oder was sein eigentlicher Zweck sein könnte. Aber eines ist sicher: Es gibt einen unsichtbaren elektronischen Krieg um die Zukunft der Navigation — und GPS.
„Kornkreise“ im Navigationssystem
Todd Humphreys, Direktor des Radionavigationslabors der Universität von Texas, erklärt: „Es sieht wie Magie aus. In der Lage zu sein, mehrere Schiffe gleichzeitig in einen Kreis zu fälschen, ist eine außergewöhnliche Technologie.“ Als Humphreys die Daten auf der weltgrößten Konferenz für Satellitennavigationstechnik vorstellte, fingen die Leute an, es Kornkreise zu nennen.
Während GPS-Satelliten mehrere verschiedene Signale aussenden, die sowohl für die militärische als auch für die zivile Nutzung bestimmt sind, ist AIS auf lediglich eins davon angewiesen. Die AIS-Signale sind ziemlich schwach und können leicht übertönt werden — selbst von einem kleinen Sender am Boden“, erklärt das MIT die Verwirrung der Fachleute.
Beim Spoofing empfängt jeder Empfänger innerhalb der Reichweite in der Regel die gleichen gefälschten Signale und glaubt sich somit am gleichen Ort zu befinden. Dies ist zwar gravierender als das einfache Stören der GPS-Signale, aber ein aufmerksamer Kapitän würde es sicherlich bemerken, wenn alle Schiffe auf dem Navigationsbildschirm plötzlich zur gleichen Zeit an den gleichen Ort springen würden.
Die Shanghaier „Kornkreise“, die jedes Schiff irgendwie an eine andere falsche Stelle verfälschen, sind etwas Neues. „Ich bin immer noch verwirrt“, sagt Humphreys. „Kapitäne und Piloten sind sehr abhängig von GPS geworden, weil es historisch gesehen sehr zuverlässig ist“, sagt Humphreys. „Wenn es behauptet, es funktioniert, verlassen sie sich darauf und überprüfen es nicht mehr so oft.“
Weiter sagt er: „Es könnte mit einer experimentellen Fähigkeit verbunden sein, die [die chinesischen Behörden] zu testen versuchen. Aber ich bin wirklich verwirrt, wie das geschehen konnte.“ (ts)
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