China: Die Empörung des Volkes

Proteste gegen westliche Medien und Boykott von Waren – Carrefour stark betroffen
Titelbild
Protest vor Carrefour-Kaufhaus in Xi‘an. (Getty Images)
Von 23. April 2008

Die Kampagne Chinas gegen westliche Medien verschärft sich. Nachdem der CNN-Kommentator Jack Cafferty in einem kritischen Kommentar zum Vorgehen der chinesischen Behörden in Tibet von einem „Haufen von Schlägern und Strolchen“ gesprochen und chinesische Waren als „Ramsch mit Bleianstrich“ bezeichnet hatte, sitzen patriotische Chinesen nicht mehr nur vor dem Computer und stellen ihre anti-westlichen Blogs ins Netz – sie gehen auch auf die Straße.

Trotz einer Entschuldigung des amerikanischen Senders und einer Erklärung, die Inhalte des Kommentars würden nicht das chinesische Volk betreffen, sondern seien an die Adresse der politischen Führung gerichtet, protestieren Chinesen außerhalb und innerhalb Chinas. Das Außenministerium in Peking hat die Entschuldigung nicht angenommen und rief die Bürger auf, ihre „gerechte Empörung“ und ihren Patrio­tismus auf rationale Weise zu zeigen. In einer Zeit, da die Interessen des Landes bedroht und dessen Ansehen in Frage gestellt würden, müsse jeder Chinese seinen Patriotismus zeigen, hieß es in einem Kommentar der größten Parteizeitung „People Daily“ am Sonntag. Außerdem wird zum Boykott westlicher Waren aufgerufen.

Der vergangene Samstag sollte der Welt-Protest-Tag der Überseechinesen gegen die westlichen Medien sein. In Großstädten in Nordamerika und Europa gingen tausende Menschen auf die Straßen. In Paris, London, Berlin und Los Angeles protestierten sie gegen die angebliche Verbreitung von Desinformationen der westlichen Medien zum Tibet-Konflikt sowie der Olympischen Spiele. In Los Angeles versammelten sich laut Polizei am Samstag bis zu 5.000 Demonstranten vor dem Nachrichtensender CNN. In Paris demonstrierten laut Polizei bis zu 4.000 zumeist chinesische Studenten. In Großbritannien protestierten über 1.000 Menschen vor den BBC-Studios in Manchester sowie 300 vor dem Parlament in London.

Protest gegen deutsche Medien

Neben CNN und dem britischen Fernsehsender BBC richtet sich der aktuelle Feldzug auch gegen die deutschen Medien. In Berlin zogen etwa 3.000 Demonstranten zum Potsdamer Platz. Die Hauptstadtbüros von ARD und ZDF blieben unbeachtet. Deutschen Medien wird eine einseitige Berichterstattung bezüglich der Ereignisse in Tibet vorgeworfen. Kritisiert wird zudem, dass Bundeskanzlerin Merkel eine abermalige Begegnung mit dem Dalai Lama nicht ausschließt. Die Nachrichtenagentur Xinhua brachte einen Artikel heraus, in dem es hieß, deutsche Nachrichtenmagazine würden nur negative Nachrichten über China verbreiten.

Im größten Blog Chinas, Sina.com.cn, erschien am 10 April folgender Leserbrief: „Nachdem ich die Berichterstattung der westlichen Medien über die Unruhen in Tibet und besonders die Berichte der deutschen Medien und die Meinungen der Deutschen über die chinesische Regierung gelesen habe, mache ich mir große Sorgen über die gegenwärtige deutsche Gesellschaft, weil nicht die Minderheit der deutschen Gesellschaft sondern aufgrund des Betrugs und der Lügen der deutschen Medien die meisten Deutschen ein Vorurteil gegenüber China haben. Schauen wir mal das heutige hysterische Deutschland an. Ist es nicht genau so wie das Nazi-Deutschland vor dem zweiten Weltkrieg? Der Hass gegen die Chinesen ist genau so wie damals der Hass gegen die Juden. Ich kann gar nicht glauben, dass das in meinen Augen vernünftige Deutschland wieder zu der Nazi-Zeit zurückkehrt…“

Öffentlicher Protest gegen die deutschen Medien fand in Deutschland bereits Ende März statt. Die von in Deutschland lebenden Chinesen betriebene Webseite „Ourvoice“ hatte zum Protest aufgerufen: „Wir sind einige chinesische Bürger, die in Deutschland studieren und arbeiten, insbesondere in München und benachbarten Städten. Wir beobachten in diesen Tagen, dass in deutschen Medien verzerrte und voreingenommene Berichte über die jüngsten Ausschreitungen in Tibet veröffentlicht haben, die die realen Fakten außer Acht lassen. Während in zahlreichen internationalen Medien objektive Berichte über die Ereignisse veröffentlicht wurden, die auf vielen Augenzeugen- und Video-Berichten basieren, vermissen wir solche Stellungnahmen in deutschen Medien.

Wir sind ernsthaft besorgt darüber, dass durch diese verzerrte und parteiische Berichterstattung in den deutschen Medien viele Bürger in Deutschland, die keinen Zugang zu anderen Quellen haben, ein falsches Bild über die Vorgänge erhalten haben. Wir spüren bereits jetzt unter unseren deutschen Freunden, Mitstudenten und Arbeitskollegen, dass sich die Einstellung gegenüber China und den Chinesen geändert hat, und empfinden dies als befremdlich und bedrohlich.

… Als Protest gegen die verzerrte Berichterstattung in deutschen Medien veranstalten wir diese friedliche Demonstration, um unsere Meinung kundzutun: Deutsche Medien können unsere Sichtweise unterdrücken, aber sie können die Wahrheit nicht ersticken!“

Besonders wird in der Mitteilung betont, der Protest beruhe ausschließlich auf persönlicher Überzeugung und habe nichts mit der chinesischen Regierung oder anderen Organisationen zu tun.

Boykott gegen Carrefour

Die Fackel fünf Mal gelöscht, Anti-China-Banner an den größten Wahrzeichen von Paris, tausende tibetische Flaggen und demonstrierende Buddhisten auf der Strecke. Das war das Bild am 7. April, als der Olympische Fackellauf durch Paris zug. „Unbeschreibbar“, sagten Chinesen. Ihr Nationalgefühl sei aufs tiefste verletzt worden. Besonders empört waren sie darüber, dass die Demonstranten versucht hatten, der gehbehinderten chinesischen Fackelträgerin Jin Jing, die im Rollstuhl die Fackel trug, die Fackel zu entreißen. Jin Jing wurde über Nacht zum Stolz der ganzen Nation, Frankreich das bevorzugte Ziel nationalistischer Proteste.

Über Internet und per SMS wurde zum Boykott der französischen Kaufhauskette Carrefour aufgerufen. Der 1. Mai soll zum Aktionstag gegen Carrefour werden. Innerhalb von drei Tagen nahmen 470.000 Personen an einer Umfrage des größten chinesischen Nachrichtenportals Sina-Net teil. 420.000 stimmten für einen Boykott der Waren von Carrefour. Sie werden einen Monat lang nicht bei Carrefour einkaufen. Die Fackelträgerin Jin Jing, die zuvor über Nacht zur Heldin der Nation geworden war, fiel genauso schnell wieder in Ungnade – sie sprach sich gegen einen Boykott des Kaufhauses aus. Vielen chinesischen Mitarbeitern von Carrefour würde durch den Boykott geschadet, hatte die Fackelschützerin argumentiert. Frankreichs Präsident Sarkozy hatte sich schriftlich bei ihr für die Geschehnisse rund um den Fackellauf entschuldigt.

Noch ist der Aktionstag nicht gekommen. Am Samstag kam es aber in mindestens sechs Großstädten, Beijing und Shanghai inbegriffen, zu ersten Protestaktion vor Carrefour-Geschäften und einen Tag später in Xi‘an, der ostchinesischen Stadt Jinan sowie in Harbin in Nordostchina. Die größte Demonstration wurde aus Hefei gemeldet, wo etwa 10.000 Menschen vor einem „Carrefour“-Supermarkt demonstrierten. Das Geschäft musste geschlossen werden.



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