China – die drohende Sudanisierung?

Eine Buchbesprechung
Titelbild
Die international anerkannte Wirtschaftswissenschaftlerin Qinglian He. Wegen ihrer regimekritischen wissenschaftlichen Aussagen geriet sie in China unter massiven Druck und floh 2001 in die USA. (Foto: The Epoch Times)
Von 11. Februar 2007

In Zeiten größten Jubels über Chinas Wirtschaftserfolge sind kritische Stimmen rar. Was ist denn mit den Verlierern von Chinas Reformen? Sind derzeitige Probleme beherrschbar und künftige abwendbar?

Die Wirtschaftsjournalistin He Qinglian gibt eine Antwort. 1998 veröffentlichte sie in China ihr kritisches Buch ‚Zhongguode de xianjing‘ (China in der Falle) und wurde mit Lob überschüttet. Von Insidern war zu hören, dass das Buch von allen ZK-Mitgliedern gelesen wurde. Kurze Zeit danach geriet sie aber ins Fadenkreuz der Kritik. Um die inzwischen bekannte Wissenschaftlerin und Autorin los zu werden, bot man ihr von staatlicher Seite finanzielle Hilfe für eine Existenzgründung in Hongkong an, die sie aber nicht annahm. Erst als sie und ihr Sohn knapp einem von einer schwarzen Limousine inszenierten Unfall entkamen, nahm sie die Warnungen ernst und floh umgehend in die USA, obwohl sie nicht ein Wort Englisch sprach. Grund für die Verfolgung waren ihre Erkenntnisse, welche die Leser zur Frage führten, wie lange die Kommunistische Partei noch weitermachen könne und wann die Volksrepublik China zusammenbrechen werde.

Endlich ist das Werk nun auch in Deutschland in aktualisierter Ausgabe erschienen und obwohl seit Beendigung der Forschung Hes fast eine Dekade vergangen ist, hat das Buch nichts an Aktualität eingebüßt. He konstatiert sogar, dass sich die Lage Chinas seit der Erstausgabe des Buches zugespitzt hat.

Die Ausdehnung der Macht kommunistischer Kader zerstörte nämlich die Geschäftsmoral, die ethische Ordnung des Marktes und das ökonomische Vertrauen. Einer Umfrage zufolge akzeptieren 79 Prozent der Wirtschaftsleiter die Praxis von Bestechung und Bestechlichkeit. 55,4 Prozent fanden nichts dabei, Kunden zu betrügen: „Wenn die oben genannten Beispiele einen ‚unkorrekten Arbeitsstil‘ dokumentieren, dann müssten die folgenden Handlungen erst recht als unsozial und unmoralisch gelten: Schmuggel und Verkauf von Drogen, Fälschen von Produkten und deren Vertrieb, Prostitution, Glücksspiel, Betrügereien und Scheingeschäfte. So sind etwa viele Passagiere von Langstreckenbussen ‚Straßenräubern‘ zum Opfer gefallen. Bevor die Reisenden in den Bus gestiegen sind, wurde der Preis ausgemacht; auf halbem Wege haben Fahrer und Buspersonal plötzlich eine Preiserhöhung erzwungen. Waren die Passagiere nicht einverstanden, wurden sie verprügelt und anschließend aus dem Bus geworfen“.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer und die Zahl der Armen wächst stetig. Die amtliche Statistik von 1993 geht von 140 Millionen Menschen in Armut aus (S. 270). „Daten über Spareinlagen der Chinesen aus dem Jahr 2000 zeigen, dass 1,26 Prozent der Bevölkerung 27 Prozent der Bankguthaben im Wert von 7 Billionen Yuan besitzen und 7,38 Prozent weitere 65 Prozent davon. Unterlagen belegen, dass 15 Prozent der Menschen in der jetzigen Phase in China über 85 Prozent des Vermögens verfügen, die anderen 85 Prozent besitzen nur 15 Prozent des gesellschaftlichen Vermögens“ (S. 278).

An dieser Stelle wünscht sich der Leser eine Fußnote zu aktuellen Schätzungen, die wie folgt lauten könnte: „…die Ärmsten des Landes. Die zählt Peking ganz anders. In absolutem Elend befanden sich Ende 2005 noch 29 Millionen Menschen, mit einem rechnerischen Jahreseinkommen von unter 668 Yuan (66 Euro) pro Kopf. Unter bittere Armut fallen weitere 55 Millionen Menschen, die mit weniger als 924 Yuan (92 Euro) auskommen müssen. Die Vereinten Nationen setzen als weltweite Armutsgrenze einen US-Dollar pro Tag an. Wer das auf China umrechnet, kommt auf 200 Millionen arme Bauern. (Johnny Erling: Armut in China. Die Welt vom 24.05.2006)“

Als Fazit verbleiben lediglich Fragen: „Soll China also an der despotischen Herrschaft festhalten oder sich in Richtung einer modernen demokratischen Politik entwickeln? Die Antwort ist nahe liegend: Das Festhalten am gegenwärtigen System heißt, an der Ausplünderung der Volksmassen durch kleine Elitegruppen festhalten.“

Während etliche Autoren Chinas glorreiche Zukunft sehen, fürchtet Frau He ein Chaos, eine Sizilianisierung, ja eine Sudanisierung. Sicher ist, dass sowohl die eine als auch die andere dieser Entwicklungen weltpolitische Bedeutung haben würde. He Qinglians Werk ist somit höchst brisant und empfehlenswert.

Qinglian He: China in der Modernisierungsfalle
Hamburg: Hamburger Edition 2006
ISBN-10: 3-936096-68-6
ISBN-13: 978-3-936096-68-2
Gebunden, 550 Seiten. 40,- Euro



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