„Aber schenne Kerb‘ has‘ te gemacht“
„Im Winter hat ma‘ das gemacht, ein Jahr hab‘ ich Kerb gemacht, ein Jahr Besen, man hat das alles selbst gemacht und sich selbst beigebracht.“ Eine vergangene Zeit, von der Karl Weber da erzählt. 92 Jahre alt ist er und hat zeitlebens in Leubach gelebt– einem Dorf mit heute rund 200 Einwohnern, mitten in Deutschland gelegen, am nördlichsten Rand Bayerns in Unterfranken, an der Grenze zu Hessen.
Hinter dem Dorfausgang führt die Straße kräftig bergauf zu den sich weit ausdehnenden Flächen der Hochrhön, seit Anfang 1991 als UNESCO Biosphärenreservat ausgezeichnet.
In jedem der umliegenden Dörfer haben die Leute ihre Körbe selbst gemacht, in den Wintermonaten. Und die waren lang und hart in der Rhön. Wenn einer zwei linke Hände hatte oder nicht das richtige Werkzeug, habe der Nachbar es für ihn mit gefertigt, erinnert sich Weber. Überhaupt wurde alles selber gemacht: die Rechen, das „Pferchzeuch“, sprich die Zäune für das Vieh oder der Sensenwurf, welches das Holzgestell bezeichnet, an dem unten die metallene Sense befestigt wird.
Jeder hatte ein wenig Landwirtschaft, fünf bis zehn Hektar groß. Damals habe man schon mit zehn Hektar als reich gegolten. Heute müsse man da noch zwei Nullen dranhängen, „so viel Hektar ham se“, lacht Karl Weber.
„Des bissle, des kann mei Mo ah gemach“
1990 war es, als das Fränkische Freilandmuseum Fladungen, nur wenige Kilometer von Leubach entfernt, seine Pforten öffnete: ein Ort, diese im Verschwinden begriffene Zeit mit ihrem ganzen Wissensschatz zu bewahren und lebendig zu halten. Karl Webers Frau, Hildegunde Weber, war dort fest angestellt. Als die Museumsleitung für das erste Museumsfest auf der Suche nach einem Korbmacher ist, gibt sie kurzerhand die Zusage, ihr Mann könne die Aufgabe übernehmen.
Karl Weber fällt sprichwörtlich aus allen Wolken. Bis dato hatte er sich als Landwirt definiert und eben ab und an, nach Bedarf, einen Korb geflochten, sehr wohl wissend, dass im Nachbardorf Rüdenschwinden dies weitaus kunstfertiger betrieben werde. „Ich bring doch net a mal an graden Korb zusammen“, ist seine Einschätzung.
Doch dann gibt er sich einen Ruck, ersteht einen Korb als Vorbild und beginnt, sein Können zu perfektionieren. „Wie die Chinesen“, scherzt er.
Man muss sich bei der Arbeit auch mal freuen
So wurden es immer mehr, denn die Nachfrage stieg. Spaß habe es ihm gemacht und mit der Zeit habe er alle mit seinen Körben überflügelt, auch die Korbflechter aus dem Nachbardorf. Gelang mal ein Korb nicht, habe er sich geärgert. Doch bald überwog die Freude über die geglückten Exemplare.
Alle Sorten habe er produziert: unterschiedlichste Einkaufskörbe, Holzkörbe aller Art, bis hin zum Korbbett später, für seinen Urenkel. Und durch halb Deutschland sei er gekommen mit dem Fremdenverkehrsverein Fladungen, für den er fleißig warb, indem er auf Messen und Bauernmärkten vor Ort die Körbe flocht. Verdient habe er nichts, aber Körbe verkaufen können. „Und Essen und Trinken im Überfluss“, lobt er den damaligen Fremdenverkehrsleiter Bernhard Link.
Schließlich habe er sein Wissen über die Volkshochschule in jährlichen Kursen im Freilichtmuseum weitergegeben.
Damit der Korb nicht „schlappig“ wird
Das Geheimnis fester Körbe sind zunächst die abgelagerten Weiden. Ein Jahr müssen sie trocknen, um nicht im verflochtenen Zustand zu schrumpfen und den Korb wieder zum Wackeln zu bringen.
Vor der Verarbeitung müssen sie jedoch wieder 14 Tage gewässert werden, um die Elastizität zu gewährleisten. Bei den geschälten Ruten reichen zwei Tage aus. Praktisch hierfür ist der Bach, nach dessen Namen das Dorf benannt ist. Nur einen Steinwurf von Karl und Hildegunde Webers Haus entfernt, über die Straße hinüber, warteten die Weiden auf ihre Verarbeitung.
Beim Flechten selbst kommt es auf das beständige Nach-unten-Klopfen des Flechtwerkes an, um dem Korb Stabilität zu geben. Dafür könne man ein Stück Hartholz nehmen oder auch ein sogenanntes Klopfeisen kaufen, weiß Weber. Doch er habe keins gekauft, sondern immer mit diesem „Scherle“ gearbeitet. Das sei Wertarbeit aus Deutschland: „Da is kei Geschnackel dro.“ Die meisten Körbe im Handel heute seien allerdings einfach durch Lack stabilisiert.
Um mit dem Farbwechsel heller und dunkler Weiden zu spielen, müssen die dünnen Weidenäste geschält werden. Hierfür werden sie zuvor gekocht, in einem großen Waschkessel, beschreibt Weber das Prozedere.
„Wie die Frau noch gelebt hat“, haben sie keinen Elektroherd gebraucht, sie habe alles mit dem Holzherd gemacht. Und dort sei auch der Waschkessel gestanden, erzählt Weber und zeigt dabei mit den Händen die ungefähren Maße von 40 auf 50 Zentimeter. In diesen seien die circa zwei Meter langen Zweige hineingedreht worden.
Bei manchen Körben habe er auch Holz am Boden eingearbeitet, um sie für den Transport größeren Gewichts zu wappnen. Bei seinem Bruder, der einer der letzten Schlittenmacher Deutschlands war, sei immer viel Verschnitt angefallen. Diese Holzstücke habe er dann in seinen Körben weiterverarbeitet.
Bewegung ist gut, aber es darf nicht zu viel sein, so das Fazit Karl Webers, wenn er auf seinen versteiften Zeigefinger sieht. Dieser habe die meiste Last beim Flechten getragen. Und das sei doch irgendwann zu viel gewesen, als er anfing, die Körbe nicht mehr nur zum Eigengebrauch herzustellen.
Nachwuchs
Weitergegeben habe er das Wissen einer Enkelin. Zum Korbflechten gedrängt habe er niemanden von seinen drei Kindern und acht Enkelkindern. Hätte jetzt jemand Interesse, müsste als Erstes die Weidenplantage am Ortseingang in einem der Gemeinde gehörenden vier Hektar umfassenden Feuchtbiotop heruntergeschnitten werden. So könnten die flechtbaren Weidenzweige wieder frisch nachwachsen. In einem Jahr würden sie ungefähr Zimmerdeckenhöhe erreichen, also ungefähr zwei bis 2,50 Meter.
Einmal habe er einen Flaschenkorb zum Ausbessern dagehabt, vom Metzger, beginnt Karl Weber eine neue Geschichte. Er sei nicht gleich dazu gekommen, ihn zu reparieren, und plötzlich hat der Besitzer ihn nicht mehr gebraucht. Er ist gestorben. Der Korb stehe immer noch im Obergeschoss, in der Kammer, in der seine Werkstatt gewesen sei.
Und drei Jahre ist es her, dass der Holzherd in Betrieb war, denn da verstarb seine Frau. Nach langer Krankheit. Die ganze Familie hat sie bis zuletzt zu Hause gepflegt. „Eine Tradition, die weltweit zurückgeht, aber das Blatt wird sich wenden“, ist sich Sohn Stefan Weber sicher.
Gelobt habe sie ihn nicht viel, seine Frau, sagt Karl Weber, doch kurz vor ihrem Tod habe sie ihm versichert: „Aber schenne Kerb‘ has‘ te gemacht.“
Den Gemüsegarten der Mutter, den pflegt Tochter Barbara Belcher weiter, wenn auch in kleinerem Umfang, obwohl es 40 Kilometer Anfahrt von ihrem jetzigen Wohnort Fulda sind. Heute gibt es grüne Bohnen und die ersten Kartoffeln für den Vater.
„Ich wöllt aber 95 wär’n, des ist mei‘ Ziel. Ob ich des schaff?“, lächelt Karl Weber verschmitzt.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion