„Kulturstadtbanause“ – Mit Witz und Wut über die wilde Fußball-Szene nicht nur in Weimar

Titelbild
Der "Kulturstadtbanause" - ein spannend zu lesendes WeihnachtsgeschenkFoto: Miroslav Menschenkind für Trolsen Verlag
Epoch Times14. Dezember 2014

Lange bevor Steffen Andritzke im Jahr 2005 Sportreporter für die EPOCH TIMES wurde, hatte er vor der Wende in der DDR und auch danach ein ganz anderes rebellisches Leben geführt. In seinem mutigen und deutlichen Buch „Kulturstadtbanause“, Rückblick eines Weimarer Jungen, schildert er mit viel Witz und auch Wut sein wildes Leben als Fußball-Fan, Hooligan, Drogen-Fan und Freiheits-Fan trotz und gerade wegen Stasi und DDR-Unterdrückung. Er konnte seinen Lebensweg wenden und ermutigt heute damit viele jugendliche Leser.

Wir fragten ihn, welche Rückmeldungen er für sein Buch seit einem Jahr bekommen hat, und wem er es als Weihnachtsgeschenk empfehlen würde.  

Weißt Du, wer Deine Haupt-Leserschaft ist?

Steffen Andritzke: Bis jetzt waren es vornehmlich Fußballfans, Ultras und Hools [Anm. d. Hooligans]. Nun wandelt sich die Leserschaft jedoch. Ich weiß von ganz „normalen“ Familienvätern, die das Buch gelesen und es nun an ihre Kinder weitergegeben haben. Ich weiß auch von zwei Vätern in einer sehr großen Stadt in NRW, die die Gladbacher eigentlich nicht leiden können, die aber trotzdem mein Buch ihren Söhnen (12 und 13 Jahre alt) in die Schule mitgegeben haben, als die im Unterricht ein Buch ihrer Wahl besprochen haben.

Als ich vor ein paar Tagen in Weimar auf der Bank war, schaute die Angestellte hinter ihrem Monitor hervor, während sie noch etwas eintippte, und sagte dabei zu mir: „Ach, übrigens, ich lese gerade Ihr Buch“!

Ich weiß auch von zwei Lehrern, einem TV- Reporter, einem Rentner, der mich für meine Offenheit und meinen Mut beglückwünschte, einem leitenden Angestellten bei Borussia, mehreren Fanbeauftragten in Deutschland, einer sehr bekannten deutschen Schauspielerin – die es ihrerseits von einer Bekannten bekam, einem hochrangigen Politiker, der mal Innenminister eines Bundeslandes war, …. und sogar in einer Heavy Metal-Zeitschrift habe ich durch Zufall gesehen, dass mein Buch da besprochen und empfohlen wurde.

Bekommst Du direkte Rückmeldungen?

Andritzke: Besagter TV-Reporter sprach mich an und erwähnte dabei, dass ihm mein Buch sehr gefallen würde. In einem Nebensatz sagte er aber auch, dass ich wohl einen Ghostwriter gehabt haben müsse. Erst dachte ich, das sei eine kräftige Ohrfeige für mich; eine Beleidigung. Aber nach längerem Überlegen fand ich dann doch, dass das ein sehr großes Lob war.

Von den Fanszenen in Mönchengladbach und Jena gibt es bis jetzt durchgehend nur sehr positive Rückmeldungen – im Stadion sprechen mich oft wildfremde Leute an, klopfen mir auf die Schulter und sagen „gut gemacht“. Auch vor allem in Hinblick auf die Repressalien des SED- Regimes „ahhh, so war das damals also!“

Eine Frau, die mir sagte, sie sei ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei, beschimpfte mich auf eine sehr persönlich beleidigende Art und meinte, dass das mit dem Regime ja eigentlich gar nicht so schlimm gewesen wäre. Pikanterweise war diese Dame in Westdeutschland aufgewachsen und hatte eigentlich überhaupt keine persönlichen Erfahrungen mit totalitäten Regimen machen müssen.

Zwei Fans des FC Köln – beide aus dem Umfeld der dortigen Hool-Szene – gaben mir die Rückmeldung, dass sie das Buch durchaus lesenswert und interessant finden und das, „…obwohl ich doch nur ein doofer Bauer sei."

Über sieben Ecken hörte ich auch von einem Erfurter, dass er uns zwar abgrundtief hassen würde, aber dass es mir mit meinem Buch dann doch gelungen wäre, unserer Fanszene ein schönes Denkmal zu setzen. Die beiden zuletzt beschriebenen Rückmeldungen freuen mich besonders, weil sie von Leuten kommen, die uns eigentlich total ablehnen.

Ein Pastor aus Thüringen meldete sich bei mir und gratulierte mir für meine Offenheit und als ich eine Lesung in einer 9. Klasse hielt, waren sogar die wildesten Jungs sehr betroffen und berührt. Komisch war für mich auch, dass ein Bundesligaspieler nun von mir ein Autogramm haben wollte…

In einer großen Buchhandlung kam einmal eine Frau auf mich zu und sagte: „Ich weiß zwar nicht mehr, wie Sie heißen, aber ich weiß, dass Sie der Kulturstadtbanause sind" und lächelte dabei ganz verschmitzt.

Ich erinnerte mich, dass bei einer meiner Lesungen ein Rentnerehepaar anwesend war. Nach der Veranstaltung kamen sie auf mich zu und sagten, dass das ihre schönste Lesung gewesen sei, bei der sie je gewesen waren. Dann erzählten sie auch noch, dass all ihre Bekannten ihnen dringend abgeraten hatten, zu den ehemaligen Hooligans zu gehen „… aber nee, so eine nette Gemeinschaft …“; sprachen es und gingen an die Bar, um sich noch ein kleines Likörchen zu genehmigen.

Für wen würdest Du den „Kulturstadtbanausen“ als Weihnachtsgeschenk empfehlen?

Plakatausschnitt für eine LesungPlakatausschnitt für eine LesungFoto: Steffen Andritzke

Andritzke: Den „Kulturstadtbanausen“ würde ich allen Lehrern und Eltern empfehlen, die ihren Jugendlichen zeigen wollen, wie schnell man in etwas hineingeraten kann und wie man dann doch noch wieder sein Leben verbessern kann.

Für ganz normale Leute von heute, die anhand meiner Lebensgeschichte einmal erfahren wollen, wie der Alltag im real existierenden Sozialismus war.

Menschen, die sich in ihren Verhaltensmustern festgefahren haben, könnte die Lektüre Mut machen, dass man eben doch Dinge im Leben ändern kann.

Für Träumer, die meinen, totalitäre Regime seien etwas Nettes.

Für Fans sowieso und für alle, die früher bei TV-Fußball-Übertragungen auch ganz gern mal gewusst hätten, was sich auf den Rängen und nach dem Spiel so zwischen den Fans abspielt.

Für Leute, die auch gerne mal lachen und zwar über die Sachen, die wir früher so angestellt haben und die mir passiert sind und für solche, die sich gern auch mal durch ein Buch gut unterhalten lassen wollen.

Für Reisende, für Daheimgebliebene und für die, die noch auf ihre große Reise warten; für Langhaarige und Kurzhaarige, für Leute mit und ohne Bart, für Männer und Frauen und für solche, die das noch werden wollen.

Für Menschen mit sehr viel Geld, die gleich ein paar Dutzend Exemplare kaufen können, um den Umsatz in die Höhe zu treiben.

Für meine ehemalige Klassenlehrerin, die mir in der 10. Klasse noch eine geklatscht hat und die bei unserem letzten Klassentreffen zu mir sagte „…ich hätte doch unter dem DDR-Regime eigentlich gar nichts zu leiden gehabt!"

Hast Du Lesungen gemacht und was passiert da?

Andritzke: Ich hatte mehrere Lesungen, bei denen die Leute viel Spaß hatten, teilweise betroffen wirkten und bei denen sich manche auch in den vorgelesenen Abschnitten wiederfanden. Über eine Lesung berichtete sogar die Rheinische Post HIER KLICKEN  

Ein super komisches Gefühl war dann aber doch, dass ich nach den Lesungen Widmungen in die Bücher schreiben durfte. Da musste ich mich erst mal dran gewöhnen.

Gibt es Unterschiede in der Reaktion Ost oder West?

Nein. Jedenfalls nicht da, wo ich gelesen habe.

Welche Antworten gingen Dir zu Herzen?

Andritzke: Am meisten ging mir zu Herzen, dass Fans aus Weimar zu meiner ersten Lesung extra nach Mönchengladbach gefahren kamen. Das sind immerhin hin- und zurück über 900 km.

Auch die Bemerkung eines Drogensüchtigen, ich „…sei für ihn ein Vorbild“, ging mir sehr unter die Haut. Äußerst angenehm sind aber auch die vielen, vielen Menschen, die mir auf die Schulter klopfen und einfach sagen: „Gut gemacht“.

Gab es auch Ärger?

Andritzke: Nein. Aber ich könnte mir vorstellen, dass ich in einer bestimmten Stadt wohl doch mit faulen Eiern beworfen werden würde. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Bewohner dieser Region mich zu einer Lesung einladen würden, ist in etwa genauso hoch wie die, dass ein Chemie-Werk deutscher Fußballmeister wird.

Planst Du ein weiteres Buch?

Andritzke: Im Moment eigentlich nicht, obwohl ich schon Lust hätte, ein viel breiteres Spektrum der DDR-Subkultur zu beleuchten. Immerhin war ich früher ja auch bei Punk-Werkstätten … usw …usw.

Gibt es Wünsche, wo Du das Buch gern vorstellen würdest?

Andritzke: An Schulen überhaupt (in den oberen Klassen). In Jugendeinrichtungen. Und in Spanien, England und Italien.

Ein Bekannter von mir, der Beamter ist, hat mich einmal gefragt, ob ich auch in Gefängnissen Lesungen halten würde. Gerade dort fände ich es tatsächlich auch angebracht. Auch würde mich einmal interessieren, ob Netzer das Buch überhaupt lesen würde und wenn, was er für eine Meinung dazu hätte. Durch ihn fing ja mein Leben als Fan erst an. Ich würde mich auch gern einmal mit einen Regisseur bei einem Gläschen atomfreiem Bio-Apfelsaft unterhalten, ob meine deutsch / deutsche  Lebensgeschichte als Fan dazu geeignet wäre, verfilmt zu werden (Herr Emmerich, meine Tel Nr. bekommen Sie von der Redaktion)

Du hattest ein Anliegen, weshalb Du das Buch geschrieben hast, erfüllt es sich?

Ich möchte es einmal so formulieren: Der Drogensüchtige, der mir sagte, ich wäre so eine Art Vorbild für ihn, weil ich nun keine Drogen mehr brauche – wenn es mir mit meinem Buch gelingen würde, nur diesen einen Typen zu ermutigen, von dem Crystal Meth wegzukommen, dann hätte sich für mich schon die ganze Arbeit mit dem Buch gelohnt. Auch nur für diesen einen.

Die Fragen stellte Renate Lilge-Stodieck

Foto: Cover Trolsen Verlag

Steffen Andritzke

Kulturstadtbanause – Rückblick eines Weimarer Jungen

Trolsen Verlag

ISBN 978-3-9816198-0-5

Broschiert, 430 Seiten

Euro 14,90

Ein Teil der Einnahmen wird einem gemeinnützigen Projekt gespendet.



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