„Tiefe Spuren“: Germanwings-Absturz prägt früheren Bürgermeister bis heute

Rund drei Jahrzehnte lang führte Bertrand Bartolini als Bürgermeister eines Dorfes in den französischen Alpen ein geruhsames Leben – bis ein Germanwings-Flugzeug mit 150 Menschen an Bord in ein nahe gelegenes Gebirgsmassiv krachte.
Der psychisch vorbelastete Co-Pilot Andreas Lubitz habe die Maschine am 24. März 2015 absichtlich abstürzen lassen, befanden die Ermittler. Er riss alle Passagiere und Besatzungsmitglieder mit in den Tod. Unter den Opfern waren 72 Deutsche.
Bartolini hat in der Nähe des Absturzortes, der in seiner Kommune Prads-Haute-Bléone liegt, eine Gedenkstätte anlegen lassen. 149 rostfarbene Metallstangen ragen in den Himmel, dahinter sind schneebedeckte Berge und schroffe Felsen zu sehen.
Auf den Stiefmütterchen in den Blumenkästen liegt Anfang März noch eine Schneeschicht. „Ich komme immer noch regelmäßig hierher“, sagt der 73-Jährige und lässt seinen Blick über die schroffe Landschaft schweifen.
Das schlimmste waren die Sterbeurkunden
Die Katastrophe habe „tiefe Spuren“ in seinem Leben hinterlassen, sagt Bartolini, der damals zu einem unermüdlichen Krisenmanager wurde.
Mit seinem Kollegen aus dem Nachbardorf Le Vernet kümmerte der Bürgermeister sich um Angehörige und Rettungskräfte, empfing den damaligen französischen Präsidenten François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel und gab zahllose Interviews.
„Was mich sehr mitgenommen hat, das war das Unterzeichnen der Sterbeurkunden“, erinnert sich Bartolini. Zuvor hatte er jährlich vier oder fünf Todesfälle in seiner Kommune, nun waren es 150 auf einmal. Für jeden mussten mehrere Exemplare angefertigt werden. „Insgesamt habe ich 2.600 Sterbeurkunden unterzeichnet“, sagt Bartolini.
Auch die Sterbeurkunde des Co-Piloten füllte er aus. „Ich habe keinen Hass, aber ich kann ihm auch nicht verzeihen, was er getan hat“, sagt der frühere Bürgermeister. „Das geht über meine Kräfte.“
Bürgermeister: Ein „Ort des absoluten Grauens“
Die Schicksale der Opfer gingen ihm nahe. Bartolini erinnert sich noch an das deutsche Paar mit dem 18 Monate alten Sohn, die alle drei ums Leben kamen.
Oder an ein marokkanisches Paar, das in Barcelona geheiratet hatte und eigentlich einige Tage früher hatte fliegen wollen, aber wegen bürokratischer Schwierigkeiten aufgehalten worden war. Die Mutter einer der Schülerinnen aus dem nordrhein-westfälischen Haltern am See schenkte ihm ein Bild ihrer Tochter, das er bis heute verwahrt.
Die Absturzstelle in den Bergen, die der damalige Bürgermeister erstmals drei Tage nach der Katastrophe gemeinsam mit den Rettungskräften besuchte, hat er als „Ort des absoluten Grauens“ in Erinnerung.
„Ich habe dort Dinge gesehen, über die ich nie sprechen konnte“, sagt Bartolini. Durch die Wucht des Aufpralls war das Flugzeug in zahllose Trümmer zerborsten. Experten bargen etwa 3000 Leichenteile. Viele sterbliche Überreste konnten nicht zugeordnet werden und wurden später in einem Gemeinschaftsgrab bestattet.

Französische Gendarmen und Forscher arbeite im Geröll der Absturzstelle des Germanwings Airbus A320, der in den französischen Alpen südöstlichen der Stadt Seyne abgestürzt ist. Foto: Anne-Christine Poujoulat / AFP / Getty Images
Als die Absturzstelle nach mehreren Monaten gründlich gesäubert und wieder öffentlich zugänglich war, ging Bartolini erneut dorthin. Mit einem Auftrag: Eine junge Französin, die bei dem Absturz ihren Mann verlor, hatte ihm ein Medaillon mit den Initialen ihres Mannes gegeben. „Ich habe es für sie dort abgelegt“, sagt Bartolini.
Viele Kontakte zu Angehörigen
Bis heute habe er Kontakt zu Angehörigen, unter ihnen eine deutsche Familie, die jeden Sommer in die Region kommt. Auch einige spanische Familien kämen regelmäßig in die Region, um ihrer toten Angehörigen zu gedenken.
„Wenn sie wieder abfahren, nehmen sie oft etwas mit von hier, einen Stein oder einen Ast mit Flechten“, hat Bartolini beobachtet. „Sie haben das Bedürfnis, sich an etwas festzuhalten.“
Viele der Angehörigen wird Bartolini am Montag wiedersehen, wenn in Le Vernet in einer Trauerfeier der Opfer gedacht wird.
Etwa 400 Menschen werden erwartet, zunächst am Gemeinschaftsgrab auf dem Dorffriedhof, anschließend an einem Gedenkstein in Le Vernet, wo es auch einen Andachtsraum gibt, den nur Angehörige der Opfer betreten können. (afp/red)
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