Von Brandt bis Schröder: Kanzler stellten Vertrauensfrage bisher fünf Mal
Am Montag stimmt der Bundestag über die Vertrauensfrage ab, mit der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Neuwahlen ermöglichen will. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde die Vertrauensfrage bisher fünf Mal gestellt.
Ihr ursprüngliches Ziel war es, dem Kanzler ein Instrument zu geben, sich seiner Mehrheit im Parlament zu versichern. Sie wurde aber mehrfach genutzt, um Neuwahlen zu erzwingen.
September 1972 – Willy Brandt (SPD)
Im September 1972 stellt Willy Brandt als erster Kanzler die Vertrauensfrage. Er will Neuwahlen herbeiführen. Denn seine Ostpolitik mit der faktischen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze hatte auch in der sozialliberalen Koalition zu großen Verwerfungen geführt. Mehrere SPD- und FDP-Abgeordnete wechselten zur Opposition. Es kam zu einer Pattsituation mit der Union im Parlament.
Dass Brandt die Vertrauensfrage zur Ansetzung von Neuwahlen nutzen will, stößt auf Widerstand. Die Kritiker halten Brandt vor, dass eine absichtlich verlorene Vertrauensfrage nicht dem Geist des Grundgesetzes entspreche.
Brandt verliert die Abstimmung am 22. September dann wie beabsichtigt. Bei Neuwahlen im November 1972 holt seine SPD ihr bis heute bestes Ergebnis. Brandt konnte seine sozialliberale Koalition mit klarer Mehrheit fortsetzen.
Februar 1982 – Helmut Schmidt (SPD)
Anfang Februar 1982 beantragte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) die Vertrauensfrage – dieses Mal mit der ursprünglich vorgesehenen Absicht, sich der Mehrheit seiner sozialliberalen Koalition im Parlament zu versichern.
Hintergrund war neben dem Streit über die Wirtschaftspolitik der wachsende Widerstand in der SPD gegen die Nachrüstung infolge des NATO-Doppelbeschlusses. Dieser sah neben Abrüstungsgesprächen mit der Sowjetunion die Stationierung von atomaren US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa vor.
Schmidts Kalkül ging auf. Er bekam bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage am 5. Februar die Zustimmung sämtlicher Koalitionsabgeordneter. Allerdings zerbrach Schmidts Regierung im September am Konflikt mit der FDP über die Wirtschaftspolitik.
Er wurde dann im Oktober durch ein konstruktives Misstrauensvotum der Opposition gestürzt. Neuer Kanzler wurde Helmut Kohl (CDU), der mit der FDP eine Koalition bildete.
Dezember 1982 – Helmut Kohl (CDU)
Kohl nutzte dann die Vertrauensfrage, um zur Vergrößerung seiner Machtbasis Neuwahlen herbeizuführen. Kritik an dem Vorgehen, sich nach wenigen Wochen trotz vorhandener Mehrheit durch die Vertrauensfrage stürzen zu lassen, wies Kohl zurück.
Er verwies dabei auf das Ziel, das Land aus der „schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“ herauszuführen. Dazu brauche es einen „entschiedenen Wählerauftrag“.
Kohl verliert die Vertrauensabstimmung am 17. Dezember 1982 wie vorgesehen. Bei den Neuwahlen im März 1983 gewinnt die Union klar. Der Streit um die „unechte“ Vertrauensfrage hat aber vor dem Bundesverfassungsgericht ein Nachspiel, wo vier Abgeordnete klagen. Die Karlsruher Richter billigen Kohls Vorgehen, betonen aber, dass die Vertrauensfrage nur in einer „echten“ Krise zulässig sei.
November 2001 – Gerhard Schröder (SPD)
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wird die Beteiligung der Bundeswehr am Anti-Terror-Einsatz zur Zerreißprobe für die rot-grüne Koalition von Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Als erster und bisher einziger Kanzler verbindet er das Vertrauensvotum mit einer Sachfrage.
Schröder gewinnt am 16. November die Vertrauensfrage, der Bundestag stimmt dabei der deutschen Beteiligung an der internationalen Operation „Enduring Freedom“ zu, die insbesondere auf Afghanistan zielt.
Juli 2005 – Gerhard Schröder (SPD)
Nach Niederlagen der SPD bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen kündigt Schröder eine vorgezogene Bundestagswahl an. Er begründet dies mit den Widerständen gegen seine weiteren Reformpläne nach der Verabschiedung der umstrittenen Agenda 2010. Dafür brauche es eine „stetige Mehrheit“ im Bundestag.
Der Bundestag stimmt am 1. Juli 2005 über die Vertrauensfrage ab, Schröder verliert sie wie geplant. Bei der Bundestagswahl im September 2005 unterliegt die SPD dann knapp der Union. Auch hier riefen noch vor der Wahl mehrere Abgeordnete das Bundesverfassungsgericht an. Dieses wies aber Ende August ihre Einsprüche zurück. (afp)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion