Was hat das britische Segelschiff HMS Resolute mit dem Weißen Haus zu tun?

In einem jungen Land wie den USA sind geschichtsträchtige Möbelstücke von sehr großer Bedeutung. Eines davon ist der sogenannte Resolute-Schreibtisch. Im November entscheidet sich, wer künftig die Tradition fortführen darf, von diesem Tisch aus, die Geschicke des Landes zu leiten. Welche Geschichte aber steckt hinter dem Holz dieses Tisches?
Titelbild
Präsident Ronald Reagan am Resolute-Schreibtisch im Oval Office des Weißen Hauses.Foto: Gemeinfrei
Von 22. September 2024

Der Schreibtisch des US-Präsidenten hat eine bemerkenswerte Herkunft vorzuweisen. Seine Geschichte verknüpft mehrere, ganz unterschiedliche historische Fäden, darunter ein Geisterschiff, die Erforschung der Polargebiete und die Beziehungen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich.

Die Geschichte beginnt mit einem gewissen britischen Admiral namens Sir Edward Belcher. Ein Kartograf der britischen Royal Navy beschrieb Sir Edward Belcher als einen „Tyrannen, der jedes Schiff, das er kommandierte, zu einer Hölle auf See machte“.

Im Jahr 1854 war diese Hölle obendrein eine kalte Hölle, da Belcher und seine kleine Flottille in den eisigen Gewässern der Arktis unterwegs waren.

Verschollen im Eis

Ob tyrannisch oder nicht, eines ist sicher: Belcher war ein begabter Seemann, Entdecker und Hydrograf (Wissenschaftler, der Gewässer kartiert). Im Jahr 1852 wurde ihm eine wichtige Aufgabe zugewiesen. Belcher und seine Männer begaben sich auf eine Rettungsmission in die wilden, entlegenen Gewässer der Arktis, um nach Spuren der verschollenen Franklin-Expedition zu suchen.

Ein Druck der HMS Resolute und der HMS Intrepid im Winterhafen aus dem Jahr 1852, basierend auf einer Zeichnung von George Frederick McDougall. Foto: Gemeinfrei

Die Franklin-Expedition unter der Leitung von Sir John Franklin war eine britische Forschungsoperation im Jahr 1845. Ihr Ziel war es, die Nordwestpassage durch Kanada zum Pazifik zu finden. Franklins Mannschaft hatte den Auftrag, magnetische Daten als mögliche Navigationshilfe aufzuzeichnen.

Doch das tückische Meer hoch im Norden schloss seine eisigen Finger um die Männer der Expedition und ließ sie nicht mehr los. Die Mission gilt als eine der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte der Polarforschung.

Die beiden Schiffe der Franklin-Expedition – die HMS Erebus und die HMS Terror – segelten im Mai 1845 von Großbritannien aus los, nahmen im Juli in Grönland Vorräte auf, wurden in der Baffin Bay in Kanada gesichtet und durchquerten den Lancaster Sound. Dann hörte man nie wieder etwas von ihnen. Beide verschwanden in der großen weißen Leere.

Rückkehr ohne Erfolg

Bei der jahrelangen Suche, die die britische Regierung nach dem Verschwinden der Schiffe durchführte, wurde keine Spur von ihnen gefunden. Nur einige wenige Artefakte und menschliche Überreste wurden geborgen. Die meisten der 129 Besatzungsmitglieder und Offiziere waren einfach verschwunden.

Die gerichtsmedizinischen Untersuchungen der geborgenen Leichen ergaben, dass die Männer an Hunger, Skorbut, Bleivergiftung und möglicherweise Kannibalismus gelitten hatten. Letzteres wurde durch die mündlichen Erzählungen der Inuit über die Expedition bestätigt. Erst in den 2010er-Jahren wurden die Wracks der HMS Erebus und der HMS Terror schließlich vor King William Island entdeckt.

Es war diese polare Tragödie, die Sir Edward Belcher und seine kleine Flotte von Schiffen, darunter die HMS Resolute, 1854 in die Arktis führte. Belchers Reise jedoch stellte sich als fast genauso unglücklich heraus wie die von Franklin. Obwohl die Resolute für die raue arktische Umgebung gebaut war, blieb sie 1854 zusammen mit vier weiteren Schiffen Belchers im Eis stecken.

Belcher traf die schwierige Entscheidung, die Schiffe aufzugeben und sich auf den Landweg zu begeben, um von dort aus nach anderen Schiffen zu suchen, die sie nach England zurückbringen konnten.

Die Männer ließen ihre schwimmende Heimat, die ihnen Sicherheit und Wärme geboten hatte, zurück und begaben sich in die unendliche weiße Weite. Sie marschierten über die schier endlosen Ebenen des Eises, trafen schließlich auf die Schiffe ihrer Kameraden und konnten sicher nach England zurückkehren.

Von unsichtbaren Kräften geschützt

Dort kam Belcher – nicht zum ersten Mal – wegen des Verlassens seiner Schiffe vor ein Kriegsgericht, wurde aber freigesprochen, weil seine Befehle ihm volle Entscheidungsfreiheit ließen. Jedoch erhielt er nie wieder ein Kommando.

In der Leere der gefrorenen Nordsee, wo die langsam zusammendrückenden Kiefer des Eises ächzten und durch die eisige Luft hallten, wo die bleichen Winde pochten und seltsame Lichter am Himmel wie Geister flackerten, blieb die verlassene Resolute zurück.

Belcher und seine Männer hatten sie in gutem Zustand zurückgelassen, obwohl sie wussten, dass sie am Ende wahrscheinlich vom Eis zertrümmert werden würde. Doch ihr Schicksal sollte ein anderes sein.

Die Monate vergingen. Der Sommer kam und erwärmte selbst die eisigen Gewässer im Norden. Das Eis begann zu tauen und irgendwie brach die Resolute frei. Sie trieb fast 2.000 Kilometer weit, bis James Buddington, Kapitän eines US-Walfangschiffs namens George Henry, sie 1855 in der Nähe von Baffin Island sichtete.

Ein Artikel im „New York Journal“ von 1856 beschreibt den Moment, in dem die Amerikaner das Geisterschiff enterten:
„Als sie schließlich über die Bordwand kletterten, fanden sie alles in der korrekten Reihenfolge verstaut. […] Alles trug die Stille des Grabes. Schließlich erreichten sie die Kabinentür, brachen sie auf und fanden in der Dunkelheit den Weg zum Tisch. […] Eine Kerze wurde angezündet, und vor den staunenden Augen der Männer bot sich eine Szene, die eher magisch als real zu sein schien. Auf einem massiven Tisch stand eine metallene Teekanne, die glänzte, als wäre sie neu, außerdem ein großer Band von Scotts Familienbibel sowie Gläser und Karaffen, gefüllt mit erlesenen Spirituosen. In der Nähe stand der Stuhl von Kapitän Kellett, ein massives Möbelstück, über das die königliche Flagge Großbritanniens geworfen worden war, so als wolle man diesen Sitz vor vulgärer Besetzung schützen.“

Geste der Versöhnung

Buddington wies einen Teil seiner Besatzung dem Geisterschiff zu, und sie segelten es zurück in die USA. Nach dem Seerecht gehörte das Schiff denjenigen, die es gefunden hatten, also Buddington und seiner Mannschaft. Als die britische Regierung über den Fund informiert wurde, akzeptierte sie das. Aber die US-Regierung ersann etwas anderes.

Zu dieser Zeit waren die Beziehungen zwischen den USA und Großbritannien angespannt. Der Krieg von 1812 war noch sehr präsent, einschließlich des Moments, als die Briten die US-Hauptstadt niederbrannten. Die beiden Länder stritten weiterhin über die kanadische Grenze.

Mit dem Fund der Resolute bot sich für die US-Regierung eine Gelegenheit, den Gegnern auf der anderen Seite des großen Teichs eine Geste des guten Willens zu zeigen. Der Kongress bewilligte eine Summe von 40.000 US-Dollar, um das Schiff von Buddington zu kaufen und es zu reparieren.

Die Amerikaner gingen bei der Instandsetzung des robusten alten Molochs sehr sorgfältig vor, wie in einem Artikel der „New York Times“ von 1856 beschrieben: „Diese Arbeit wurde mit derartiger Vollständigkeit und Liebe zum Detail ausgeführt, dass nicht nur alles, was sich an Bord befand, erhalten blieb, einschließlich der Bücher in der Bibliothek des Kapitäns, der Bilder in seiner Kabine und einer Spieluhr und einer Orgel, die anderen Offizieren gehörten, sondern auch neue britische Flaggen in der Marinewerft hergestellt wurden, um die zu ersetzen, die während der langen Zeit, in der das Schiff ohne eine lebende Seele an Bord war, verrottet waren.“

Als großes Spektakel inszeniert, wurde die Resolute nach England zurückgebracht und als Geschenk an Königin Victoria übergeben, die das Schiff persönlich besuchte. Die Briten nahmen sich das Geschenk zu Herzen, und die Königin erinnerte sich noch viele Jahre lang an diese Geste der Amerikaner.

Der Resolute-Schreibtisch im Arbeitszimmer von Taft. Foto: Gemeinfrei

Wie man in den Wald hineinruft …

Als die Resolute 1879 ausgemustert und abgewrackt wurde, ordnete Königin Victoria an, dass einige ihrer Hölzer erhalten bleiben sollten. Das schwere Eichenholz, das so viele Stürme überstanden und sowohl Tragödien als auch Versöhnung erlebt hatte, wurde zu einem massiven, verzierten Schreibtisch verarbeitet, der fast 600 Kilogramm wog.

Victoria schickte ihn 1880 als Überraschungsgeschenk an Präsident Rutherford B. Hayes, um sich damit für die Rückgabe der Resolute all die Jahre zuvor zu bedanken. Vor allem aber wurde der Schreibtisch zu einem Symbol des gegenseitigen Wohlwollens und der Allianz zwischen den USA und Großbritannien, die seither nie ins Wanken geraten ist.

Die meisten US-Präsidenten haben den Schreibtisch seit seiner Schenkung Ende des 19. Jahrhunderts benutzt. Zwischen 1951 und 1962 diente er als Halterung für einen Projektor im Senderaum des Weißen Hauses, bis er von First Lady Jacqueline Kennedy wiederentdeckt wurde.

Sie ließ ihn zurück ins Oval Office bringen, wo er Teil der Kulisse für viele herausragende Momente in der Geschichte der US-Präsidentschaft war. Es gibt Fotos, auf denen Präsident Kennedy an dem Schreibtisch sitzt und John Kennedy Jr. darunter hervorschaut.

John Kennedy Jr. schaut durch das Loch des Resolute-Schreibtisches, während sein Vater, Präsident John F. Kennedy, arbeitet. Foto: Gemeinfrei

Der Resolute-Schreibtisch, wie er inzwischen genannt wird, ist Materie gewordenes Symbol für Kampf, Verlust, Wiederentdeckung, Erneuerung und Versöhnung. Damit ist er ein passendes Symbol für den resoluten Geist der USA.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion