„Es ist verrückt“: Kerbers famose Karriere endet in Paris
Nach ihrem denkwürdigen Abschied von der Tennis-Bühne fiel es Angelique Kerber schwer, die Tränen zu unterdrücken. Das irre Viertelfinale bei den Olympischen Spielen in Frankreich gegen die Chinesin Qinwen Zheng wird als dramatisches finales Match der 36-Jährigen in die Sport-Geschichte eingehen. Die Ausnahmespielerin tritt zwar ohne Medaille in Paris ab. Beim 7:6 (7:4), 4:6, 6:7 (6:8) bewies Kerber aber noch einmal ihren immensen Kampfgeist.
„Natürlich ist es traurig, dass man die letzten zwei Punkte nicht gewonnen hat. Aber besser hätte ich mir das Szenario nicht vorstellen können“, sagte Kerber gerührt und musste sich bei all den Emotionen, die hochkamen, zwischenzeitlich sammeln: „Ich werde das Match für immer in Erinnerung bleiben. Es ist vorbei irgendwie. Es ist auch verrückt.“
Zwei Punkte fehlen zur Medaillenchance
Die Niederlage bedeutete, dass die einstige Nummer eins der Welt ihre Karriere ohne den märchenhaften Medaillencoup beendet. Alexander Zverev bleibt nach seinem 7:5, 6:3 gegen den Australier Alexei Popyrin einziger deutscher Tennis-Hoffnungsträger für eine Olympia-Platzierung unter den Top Drei. Der Tokio-Olympiasieger kann am Donnerstag mit einem Sieg gegen den Italiener Lorenzo Musetti ins Halbfinale einziehen.
Kerber ist als erfolgreichster deutschen Tennisspielerin seit Steffi Graf dennoch ein würdiger Abgang geglückt. Im dritten Satz führte die deutsche Hoffnungsträgerin noch mit 4:1 und 6:5, ausgelaugt von der Hitze konnte sie die Führung aber nicht halten.
Auch die Zuschauer versuchten, ihr mit „Angie, Angie“-Rufen zu helfen. Mit allem Mut wehrte sie im Tiebreak noch einmal drei Matchbälle in Serie ab. Doch nach 3:04 Stunden blieb das Happy End aus. „Der Tiebreak allgemein war schon sehr emotional“, berichtete die Kielerin. Dass es das letzte Match war, versuche sie noch ein wenig von sich zu schieben.
Erfolgreichste deutsche Tennisspielerin nach Steffi Graf tritt ab
„Ich kann es im Moment noch gar nicht realisieren“, gestand die prominenteste deutsche Tennisspielerin der vergangenen Jahre. Das werde sie wohl erst „in zwei, drei Tagen“ oder „vielleicht in zwei, drei Wochen“. „Aber es sind viele Emotionen. Als ich aus der Kabine rauskam, war es schon nicht so einfach.“
Eine der populärsten und bekanntesten deutschen Sportlerinnen des vergangenen Jahrzehnts zieht sich nun zurück. Ihre Laufbahn hatte Höhen und Tiefen. Aber insbesondere die Glanzpunkte werden in Erinnerung bleiben. Kerber ist Australian-Open- und US-Open-Champion 2016, Wimbledon-Siegerin 2018 und stand an der Spitze der Weltrangliste. In Rio de Janeiro gewann sie 2016 Olympia-Silber. Eine solch eindrucksvolle Erfolgsliste wird der Deutsche Tennis Bund im Damen-Bereich voraussichtlich lange nicht erleben.
Boris Becker gratulierte zu einer „einzigartigen Karriere“ und schrieb auf X: „Du hast heute nochmal alles auf dem Platz gelassen (wie immer) und kannst stolz auf deine Leistung sein! Wir werden dich sehr vermissen.“
Kerber war einfach nur „stolz“, was sie in den vergangenen Tagen und in den vergangenen zwei Jahrzehnten geleistet hat. „Ich habe alles erreicht, was ich mir erträumt habe. Was will man am Ende mehr?“, so die frühere deutsche Sportlerin des Jahres, die bei ihrem Abgang nun auch ihren Frieden mit den zuvor wenig geliebten Sandplätzen in Paris geschlossen hat.
Kerber ist inzwischen Mutter einer rund 17 Monate alten Tochter. Ihre Prioritäten haben sich ein wenig verschoben. Ihr Comeback nach der Babypause gestaltete sich über Monate schwierig und war lange von schwachen Ergebnissen geprägt. Erst nach der Ankündigung, dass die Sommerspiele ihr letztes Turnier werden, spielte die Linkshänderin befreit auf. Bis zum letzten Punkt zeigte die Vorzeigesportlerin noch einmal, was sie besonders auszeichnete: der Kampfgeist.
Kerber nervt ihre Gegnerin
Welche Dramatik sich in diesem letzten Kerber-Match entwickeln würde, war anfangs nicht abzusehen. Das Viertelfinale gegen die chinesische Top-Ten-Spielerin endete mit außergewöhnlicher Party-Atmosphäre, begann aber auf dem noch fast leeren Court Philippe-Chatrier. Nach der Niederlage von Dominik Koepfer gegen den serbischen Wimbledon-Finalisten Novak Djokovic (5:7, 3:6) hatten die Zuschauer die Pause für eine Auszeit genutzt.
Kerber sicherte sich bei einem fehlerhaften Start der Chinesin ein frühes Break und führte mit 3:1. Doch als sich die Weltranglisten-Siebte steigerte und sie immer mehr unter Druck setzte, verlor die Norddeutsche kurzzeitig den Faden und vier Spiele nacheinander.
Doch wer dachte, der erste Satz würde ihr aus den Händen gleiten, sah sich getäuscht. Mit taktisch klug eingestreuten höheren langsamen Bällen nervte die Linkshänderin die 15 Jahre alte jüngere Gegnerin und brachte sie aus dem Rhythmus. Ein 3:5 drehte sie zum 6:5.
Es entwickelt sich ein irres Match
Hätten Kerber in den vergangenen Monaten enge Situationen noch verunsichert, blieb die dreimalige Grand-Slam-Turniersiegerin auch in ihrem vierten Match dieser Olympischen Spiele konzentriert und selbstbewusst. Dass sie ihr Aufschlagspiel noch einmal verlor und in den Tiebreak musste, schüttelte sie ab und bewahrte die Nerven.
Auf der Tribüne fieberten ihre Mutter Beata, ihr Lebensgefährte Franco Bianco, ihr Trainer Torben Beltz und ihr Manager Aljoscha Thron mit. Bei drückender Hitze schien sich bei Kerber die Anstrengung der vergangenen Tage Ende des zweiten Satzes bemerkbar zu machen. So musste der dritte Durchgang unter dem wegen des einsetzenden Regens geschlossenen Hallendach die Entscheidung bringen, in dem ging Kerber an ihre Grenzen ging und die erst 21 Jahre alte Kontrahentin ebenfalls zermürbte. „Ein würdiger und beeindruckender „Last Dance““, schrieb ihre langjährige Weggefährtin Barbara Rittner auf x.
In der vergangenen Woche war nach der Rücktrittankündigung noch zu befürchten gewesen, dass Kerber ein trostloser Abschied in Runde eins drohe. Nun fehlten am Ende nur zwei Punkte bis zum Halbfinale. „Ich habe gemerkt, dass ich oben noch mitspielen kann“, stellte Kerber klar und berichtete, dass sie es sich genauso gewünscht habe: „Ich wollte nie wegen einer Verletzung aufhören. Ich wollte nie aufhören, weil mein Ranking zu schlecht ist. Ich wollte es immer für mich selber in der Hand halten.“
Umstimmen lassen wolle sie sich nicht. „Ich bin mir weiterhin sicher, es ist der richtige Moment hier in Paris aufzuhören.“ (dpa/red)
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