Wirecard-Prozess: Früherer Chefbuchhalter will aussagen

Im Wirecard-Prozess beendete der frühere Chefbuchhalter sein Schweigen. Er räumt Fehler in seiner Tätigkeit bei dem insolventen früheren DAX-Konzern ein und entschuldigt sich.
Der im Leitindex Dax notierte Zahlungsdienstleister Wirecard war 2020 zusammengebrochen.
Der im Leitindex Dax notierte Zahlungsdienstleister Wirecard war 2020 zusammengebrochen.Foto: Peter Kneffel/dpa
Epoch Times17. Juli 2024

Im Münchner Wirecard-Prozess hat der frühere Chefbuchhalter Stephan Freiherr von E. nach gut anderthalb Jahren Prozessdauer sein Schweigen beendet und Fehler in seiner Tätigkeit bei dem insolventen früheren Dax-Konzern eingeräumt. „Ich hatte sehr, sehr viele Themen auf dem Tisch und kam mir zeitweise vor wie ein Jongleur“, sagte von E. am Mittwoch vor dem Landgericht München I.

Inzwischen erkenne er, dass es wichtig gewesen wäre, innezuhalten. „Ich sehe, dass ich leider auch selbst Fehler gemacht habe, die ich bereue.“ Er bittet dafür um Entschuldigung.

Von E. betonte, sich nicht persönlich bereichert und stets das Beste für das Unternehmen gewollt zu haben. Zudem habe er sich mit vielen Dingen nur sehr knapp beschäftigt und sich auf die Fachabteilungen verlassen. Er habe keine Zeit gehabt, sich mit den einzelnen Themen eingehender zu beschäftigen. Heute sehe er aber ein, dass er innehalten und dies hätte tun sollen.

Nicht die Kraft, alles zu hinterfragen

Insgesamt zeichnete E. ein Bild von schlechter personeller Ausstattung, schlechten Prozessen und überforderndem Arbeitsvolumen. „Es war eigentlich immer so, dass zwei Leute gleichzeitig etwas von mir wollten“, beschrieb er seinen typischen Arbeitstag. Insbesondere bei den Jahresabschlüssen habe es viel Zeitdruck gegeben.

„Man hat nicht die Zeit und die Kraft, alles zu hinterfragen. Dafür gibt es die Fachabteilung“, sagte E. Auf deren Informationen müsse man vertrauen können. Oft habe man deren Antworten nur an die Wirtschaftsprüfer weitergeleitet. „Wenn die zufrieden damit waren, waren wir es auch.“

Zum Drittpartnergeschäft, das beim Zusammenbruch von Wirecard eine zentrale Rolle spielte, äußerte er sich zunächst nicht. Er schränkte Erwartungen bereits zu Beginn seiner Aussage ein. Dies sei nicht Schwerpunkt seiner Arbeit gewesen, viele Informationen dazu habe er nur vom Hörensagen. Er könne nur „von vielen Jahren Schreibtisch“ bei Wirecard erzählen.

Scheingeschäfte in Milliardenhöhe

Der seit Dezember 2022 laufende Prozess um die Milliardenpleite des früheren Dax-Konzerns versucht, einen der größten deutschen Wirtschaftsskandale aufzuarbeiten. Bei Wirecard hat es Scheingeschäfte in Milliardenhöhe gegeben.

Hauptangeklagter ist der frühere Konzernchef Markus Braun, außerdem sind von E. und der als Kronzeuge der Anklage geltende frühere Asien-Manager Oliver B. vor Gericht. Der als möglicher Haupttäter geltende frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek ist seit Juni 2020 flüchtig.

Von E. ist wegen Beihilfe zur unrichtigen Darstellung, gewerbs- und bandenmäßiger Marktmanipulation, Beihilfe zur Untreue und zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug angeklagt. Das Gericht hatte ihm zuletzt angeboten, im Gegenzug für ein Geständnis die Strafe für ihn auf sechs Jahre bis maximal acht Jahre zu begrenzen.

Schweigen wegen Misstrauen gegen die Justiz

Von E. will nun zwei Tage lang aussagen. Sein bisheriges Schweigen in dem Prozess erklärte er mit Misstrauen gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Gericht. „Ich habe den Eindruck gewonnen, dass entlastende Beweise nicht gewünscht waren.“

Der Zahlungsdienstleister Wirecard war im Juni 2020 in die Insolvenz gegangen, weil auf Treuhandkonten verbuchte 1,9 Milliarden Euro nicht mehr auffindbar waren.

Die Anklage wirft den drei Angeklagten sowie dem abgetauchten früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek und weiteren Komplizen vor, Umsätze in Milliardenhöhe schlicht erfunden zu haben, um den eigentlich defizitären DAX-Konzern über Wasser zu halten.

Braun hat ausgesagt, eine eigene Schuld aber bestritten – nun könnte von E. offene Fragen klären. Er will neben seiner eigenen Stellungnahme nach seinem langen Schweigen nun auch Fragen aller Prozessbeteiligten beantworten. (afp/dpa/red)

 

 



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