Frankreich: Gerangel bei Opposition – Über eine halbe Million Menschen auf der Straße

Im Eiltempo muss Frankreichs Opposition sich für die von Präsident Macron angesetzte Parlamentswahl formieren. Laut französischen Kommentatoren könne Macron mit der kurzfristig angesetzten Wahl die Unordnung bei seinen Gegnern absichtlich provoziert haben – um als politischer Ruhepol bessere Karten zu haben.
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Während einer Demonstration gegen den Rassemblement National in Nantes, Frankreich, am 15. Juni 2024.Foto: Adrien Auzanneau/Hans Lucas/AFP via Getty Images
Epoch Times16. Juni 2024

Seit Präsident Emmanuel Macron als Reaktion auf die Niederlage seiner liberalen Kräfte bei der Europawahl Neuwahlen angesetzt hat, greift ein Gerangel um Bündnisse, Posten und Wahlkreise in Frankreichs Politik um sich.

Präsident Macron könnte das Chaos links und rechts seines Mitte-Lagers bei der Wahl durchaus in die Karten spielen – auf jeden Fall präsentierte er sich und seine Bewegung als den einzigen Garanten für Stabilität in Frankreich. Die linken und rechten Blöcke seien sich bei keiner Zukunftsfrage einig und könnten keine regierungsfähige Mehrheit bilden.

„Ich glaube fest, dass nur die politischen Kräfte, die heute die Präsidentenmehrheit bilden, die Fähigkeit haben, ein kohärentes, realistisches und zukunftsweisendes Regierungsprojekt voranzubringen“, sagte Macron.

Kommentatoren in Frankreich meinten auch, Macron könne mit der kurzfristig angesetzten Wahl die Unordnung bei seinen Gegnern absichtlich provoziert haben, um als politischer Ruhepol bessere Karten zu haben.

Vier Festnahmen in Paris

Bei landesweiten Demonstrationen gingen nach Angaben der Organisatoren rund 640.000 Menschen gegen den Rassemblement National auf die Straße. In Paris schlossen sich am Samstag 250.000 Teilnehmer einer Kundgebung an, wie die Gewerkschaft CGT mitteilte.

Während der Kundgebung gegen den Rassemblement National und für die Volksfront in Lyon, Frankreich, 15. Juni 2024. Foto: Romain Costaseca / Hans Lucas / Hans Lucas/AFP via Getty Images

Landesweit soll es demnach insgesamt 182 Veranstaltungen gegeben haben, zu denen ein Bündnis aus fünf Gewerkschaften, linken Parteien und Organisationen aufgerufen hatte. Für Sonntag sind weitere Demonstrationen geplant, vor allem in Lyon.

Am Rande mehrerer Protestzüge kam es zu Sachbeschädigungen und Konfrontationen von Demonstranten mit der Polizei, wie Medien berichteten.

Die Polizeipräfektur von Paris gab für Paris zunächst von vier Festnahmen während der Demonstration. Aus Polizeikreisen hatte es zuvor geheißen, dass landesweit rund 21.000 Polizisten und Gendarme im Einsatz sein sollten.

Demonstration der neuen linken Volksfront, zu der Gewerkschaftsverbände und -vereinigungen aufgerufen haben (15. Juni 2024 in Paris). In der ersten Reihe führende Vertreter der wichtigsten französischen Gewerkschaften. Foto: Laure Boyer/Hans Lucas/AFP via Getty Images

„Entweder es ist die extreme Rechte, oder es sind wir“, sagte die Fraktionschefin von Frankreichs Linkspartei, Mathilde Panot, an der Spitze des Pariser Demonstrationszugs mit Blick auf die Parlamentswahl.

Wie Panot hatten sich zahlreiche weitere Spitzenpolitiker der linken Parteien, die am Vortag ein Linksbündnis für die Wahl vorgestellt hatten, in den Demonstrationszug in der Hauptstadt eingereiht. „Man muss nicht RN wählen, um Frankreich zu lieben“ und auch „Nie wieder“ stand auf Transparenten von Demonstranten in Marseille.

Die Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hatte bei der Europawahl vor rund einer Woche rund 31,5 Prozent der Stimmen eingesammelt. Als Reaktion darauf hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Parlament aufgelöst und kurzfristig Neuwahlen zur Nationalversammlung ausgerufen. Diese finden in zwei Runden am 30. Juni und 7. Juli statt.

Demonstranten, darunter der französische Aktivist Jean-Baptiste Redde (unten links), auch bekannt als Voltuan, neben und auf der Statue auf dem Place de la Nation in Paris am 15. Juni 2024. Foto: Sameer Al-Doumy/AFP via Getty Images

Umfragen zufolge könnte der RN auch bei der Parlamentswahl auf ein ähnlich hohes Ergebnis wie bei der Europawahl kommen. Damit wäre die Partei die stärkste Kraft im Parlament und könnte unter Umständen sogar den Premierminister stellen. RN-Chef Jordan Bardella ist bei vielen jungen Franzosen beliebt.

Konservative werfen ihren Parteichef zweimal binnen drei Tagen raus

Der Chef der bürgerlich-konservativen Partei Les Républicains, Éric Ciotti, hatte Anfang der Woche unabgestimmt eine Kooperation mit dem Rassemblement National sondiert. Führungskräfte der einstigen Volkspartei, die zuletzt mit Nicolas Sarkozy von 2007 bis 2012 den Präsidenten stellte, empörten sich über diesen Tabubruch und warfen Ciotti aus der Partei – am Ende binnen drei Tagen gleich zweimal, weil Ciotti den Entscheid nach den Statuten für ungültig hielt.

Ein Pariser Gericht hab am 15. Juni Ciottis Rauswurf in einem Eilentscheid vorläufig auf: Binnen acht Tagen müsse Ciotti in der Streitfrage ein Hauptsacheverfahren anstrengen, so lange bleibe er Parteichef.

Die Partei erklärte danach, sie werde zur Parlamentswahl mit unabhängigen Kandidaten antreten – Ciottis Plan nach Beratungen mit Bardella war gewesen, bei der Kandidatenaufstellung in den Wahlkreisen mit dem RN zu kooperieren.

Auch Maréchal wird aus Partei geworfen

Gleich am Montag nach der Europawahl hatte auch die Spitzenkandidatin der Partei Reconquête für die Europawahl, Marion Maréchal, mit dem RN-Chef über eine Kooperation gesprochen.

Dem Reconquête-Präsidenten Éric Zemmour, der sich anders als Maréchal mit der Le Pen-Partei überworfen hatte, passte das gar nicht. Am Mittwoch warf er Maréchal, eine Nichte der RN-Führungsfigur Marine Le Pen, aus der Partei. Diese hatte mit Maréchal als Zugpferd bei der Europawahl gerade erst 5,47 Prozent der Stimmen erhalten.

Eine neue „Volksfront“ von links

Auch beim linken Lager läuft es nicht rund. Zwar kündigte ein neues Linksbündnis aus Sozialisten, Linkspartei, Grünen und Kommunisten ein gemeinsames Antreten zur Wahl an.

Wer Spitzenkandidat des Bündnisses Le nouveau Front populaire (Die neue Volksfront) werden soll, ließen sie offen. Denn trotz der vor den TV-Kameras inszenierten Einigkeit gibt es ein Kräftemessen zwischen Sozialisten und Linkspartei.

Die Führungsfigur der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, will bei einem Sieg Premierminister werden. Anders als vor der Europawahl ist aber nicht mehr die Linkspartei stärkste linke Partei, sondern die Sozialisten sind es, die bei der Europawahl mit ihrem Kandidaten Raphaël Glucksmann punkteten.

Jean-Luc Mélenchon (l.), Mitglied der linken Partei La France Insoumise (LFI), im Gespräch mit Medienvertretern.

Jean-Luc Mélenchon (l.), Mitglied der linken Partei La France Insoumise (LFI), im Gespräch mit Medienvertretern. Foto: Nicolas Tucat/AFP/dpa

Alt-Linker Mélenchon gibt sich nicht geschlagen

Glucksmann sprach sich gegen Mélenchon als Spitzenkandidaten aus – und auch anderen im linken Lager ist der Alt-Linke ein Dorn im Auge. Beim Familienfoto und den programmatischen Reden zum neuen Linksbündnis am Freitag fehlten beide. Offenbar aber gibt der Strippenzieher und Stratege Mélenchon sich längst nicht geschlagen.

Es gab zugleich große Aufregung in der Linkspartei über die Kandidatenliste zur Wahl, von „Säuberung“ und „Sektierertum“ war die Rede.

Verdiente Abgeordnete fanden sich nicht auf der Liste wieder, wie etwa Alexis Corbière, der Mélenchon vorwarf, „seine Rechnungen zu begleichen“, wie der Sender „France Info“ berichtete.

Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier äußerte sich „extrem schockiert“ über die Vorgänge bei der Linkspartei und forderte Beratungen – wahrlich kein guter Start für das neue Linksbündnis. (afp/dpa/red)



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