Europäische Sicherheit und Handel ganz oben auf der deutsch-französischen Agenda
Erst wird gefeiert, dann gearbeitet: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird am Sonntag in Berlin zu einem dreitägigen Staatsbesuch und anschließend zu einem deutsch-französischen Ministerrat erwartet. So viel Zeit hat der Präsident noch nie am Stück im Nachbarland verbracht.
Während beim Staatsbesuch die gemeinsame Geschichte und gemeinsame Initiativen im Vordergrund stehen sollen, wird es auf Schloss Meseberg am Dienstag voraussichtlich um die heikleren Fragen gehen. Ein Überblick zu den Themen in Meseberg:
Verteidigung
Der Ukraine-Krieg hat auch die deutsch-französischen Beziehungen in Mitleidenschaft gezogen. Vorhaltungen über unterschiedlich hohe Beiträge für die Ukraine-Hilfe und Macrons nicht abgesprochener Vorstoß zu einer Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine, die er zum Entsetzen der Deutschen „nicht ausschließen“ wollte, hatten zu einem ungewohnt heftigen Schlagabtausch zwischen beiden Ländern geführt.
Mehrere Treffen im Format des Weimarer Dreiecks – gemeinsam mit Polen – trugen zuletzt dazu bei, in der Öffentlichkeit den Fokus wieder auf das gemeinsame Ziel der Unterstützung für die Ukraine zu lenken.
Bei den gemeinsamen Rüstungsprojekten mit den sperrigen Kürzeln FCAS und MGCS, die den Kampfjet und den Kampfpanzer der Zukunft bezeichnen, gab es zuletzt Fortschritte. Die wegen Eifersüchteleien der beteiligten Unternehmen verzögerte Aufgabenteilung für den Kampfpanzer wurde inzwischen weitgehend festgelegt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützte in einem Meinungsbeitrag in der Zeitschrift „The Economist“ kurz vor Macrons Besuch ausdrücklich die vom Präsidenten seit Langem geforderte Stärkung der europäischen Verteidigung.
Zudem begrüßte er es, „dass der französische Präsident die europäische Dimension der französischen Atomstreitmacht betont hat“. Auf den von ihm selbst angestoßenen und von Frankreich kritisierten Aufbau einer europäischen Luftabwehr mithilfe israelischer und US-Technologie ging Scholz dabei nicht ein.
Energie
Im Dauerkonflikt um die EU-Einstufung von Atomkraft als klimafreundliche und daher förderungswürdige Energiequelle gibt es Fortschritte, aber auch immer neue Konfliktfelder. Nachdem beide Seiten bei der Taxonomie und beim Strommarkt einen Kompromiss gefunden hatten, geht es nun um den langfristigen Wandel des europäischen Energiesystems.
„Wir werden zusammenarbeiten, um eine gemeinsame Basis zu finden“, heißt es dazu vage in einer Initiative beider Wirtschaftsministerien mit Blick auf die Strategie bis 2040.
Frankreich hat in den vergangenen Jahren immer mehr Länder für eine Atomallianz gewonnen, die mit Atomkraft die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern wollen. Deren Ziel ist es unter anderem, die Finanzierung dieser Vorhaben zu sichern.
Deutschland setzt hingegen weiter auf erneuerbare Energien und den Import von Wasserstoff – der mit erneuerbarer Energie, in Frankreich aber auch mithilfe von Atomkraft hergestellt werden kann.
Europa
Frankreich und Deutschland sind sich einig, dass sie nur gemeinsam die Agenda der nächsten EU-Kommission bestimmen können. Beide Seiten setzen sich dafür ein, vor der EU-Erweiterung institutionelle Reformen auf den Weg zu bringen – etwa durch die Einführung des Mehrheitswahlrechts in bestimmten Fragen.
Einigkeit besteht auch darüber, dass massive Investitionen nötig sind, um die grüne und die digitale Wende voranzubringen. Dafür soll unter anderem die Kapitalmarktunion vorangebracht werden, über die bereits seit zehn Jahren diskutiert wird.
Macron verweist aber auch regelmäßig auf den Vorschlag der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas, für die Rüstungsindustrie gemeinsame Anleihen zu ermöglichen. Dies stößt in Berlin auf Ablehnung.
Spannungen gibt es auch in der Handelspolitik, wo Frankreich einen zunehmend protektionistischen Kurs einschlägt. So will Macron Freihandelsabkommen wie MERCOSUR mit Spiegelklauseln versehen, um „gleiche Standards“ auf beiden Seiten zu fordern.
Er plädiert zudem für Strafzölle auf chinesische E-Autos – was die deutsche Autoindustrie in Rage bringt. Zum einen produzieren deutsche Autobauer teils selber in China, zum anderen fürchten sie Gegenzölle, die ihren Zugang zum chinesischen Absatzmarkt behindern würden.
Deutsch-französische Beziehungen
Auf der Arbeitsebene sind die Kontakte sehr eng und routiniert. Es gibt zahlreiche Austauschbeamte in verschiedenen Ministerien und häufige bilaterale Treffen. Dass Macron und Scholz sich im Auftreten und Charakter stark unterscheiden, ist kein Geheimnis. Beiden ist bewusst, dass sie aufeinander angewiesen sind.
Um frischen Wind in die Beziehungen zu bringen, setzen sie auch auf ungewohnte Formate: Dazu zählt auch der Staatsbesuch, der der erste Besuch in dieser Form seit 24 Jahren und erst der sechste überhaupt ist. Im Oktober hatten sich beide Regierungsmannschaften zu einer Klausurtagung in Hamburg getroffen, samt Hafenrundfahrt im Regen und Fischbrötchen im Stehen.
Seit dem Regierungswechsel in Polen zeigen beide Seiten auch wieder Interesse an Dreiertreffen mit Regierungschef Donald Tusk oder auf Ministerebene. Wenn Deutschland, Frankreich und Polen sich einig sind, können sie in Europa viel bewegen. (afp)
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