
Viele Menschen warten nach eigenen Angaben auf die Zulassung von „klassischen Impfstoffen“ oder sogenannten Totimpfstoffen gegen COVID-19. Nun befinden sich mit den Impfstoffen Nuvaxovid (NVX-CoV237) des US-Unternehmens
Novavax und VLA2001 des österreichisch-französischen Unternehmens
Valneva zwei neue Kandidaten in einem verkürzten Prüfungsverfahren der EMA. Beide könnten in wenigen Wochen in Europa zugelassen werden.
Diese zwei Impfstoffe funktionieren anders als die bisher eingesetzten mRNA- und Vektorimpfstoffe. Obwohl beide Impfstoffe umgangssprachlich oftmals als „Totimpfstoffe“ bezeichnet werden, ist dieser Begriff missverständlich. Diese Bezeichnung trifft im klassischen Sinne eigentlich nur auf VLA2001 von Valneva zu, während es sich bei dem Vakzin von Novavax genau genommen um einen Protein-Impfstoff handelt.
Andererseits ist aber die Einteilung in Totimpfstoffe anhand neuer Technologien nicht mehr so eindeutig wie in der Vergangenheit, wo generell nur zwischen Lebendimpfstoffen (vermehrungsfähigen Viren) und Totimpfstoffen (nicht mehr vermehrungsfähigen Viren) unterschieden wurde. Wenn man nur diese Unterscheidung anwendet, wären streng genommen alle bisherigen Impfstoffe „Totimpfstoffe“.
Die pharmazeutische Technologie hinter den Impfstoffen
Während in der Vergangenheit zwischen Lebendimpfstoffen und Totimpfstoffen unterschieden wurde, sind die heute eingesetzten Technologien wesentlich komplexer geworden und nicht mehr so leicht in Schubladen zu unterteilen.
Die aktuell eingesetzten Impfstoffe von Pfizer, Moderna, Johnson&Johnson oder AstraZeneca basieren, wie mittlerweile bekannt, alle darauf, einen Bauplan für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 zu enthalten. Dieser wird dann im Körper ausgelesen und produziert Spike-Proteine. Als Transportmittel für die mRNA wurden zum einen Lipid-basierte Nanopartikel (Pfizer, Moderna) und zum anderen genetisch veränderte Viren, sogenannte Vektoren (Johnson&Johnson, AstraZeneca) verwendet. Während Vektorimpfstoffe bereits zuvor vereinzelt verwendet wurden, wie zum Beispiel gegen Ebola, war die verwendete mRNA-Technologie im Einsatz gegen COVID-19 eine Impf-Premiere.
Dagegen klingen die neuen Kandidaten von Novavax und Valneva schon nahezu nach alter Technik. Allerdings waren vor COVID-19 Proteinimpfstoffe wie der Kandidat von Novavax das höchste der pharmazeutischen Impf-Technologie und auch Valneva ist aus pharmazeutisch technologischer Sicht nicht so simpel, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Protein-Impfstoff von Novavax
Protein-Impfstoffe wurden bereits als Grippeimpfung verwendet und enthalten nicht das ganze Virus, sondern nur spezielle Virusproteine. Meist werden dafür Oberflächenproteine ausgewählt, die beim Infektionsgeschehen eine Rolle spielen. Im Fall des Novavax-Impfstoffs wurde auch hier das viel zitierte
Spike-Protein ausgewählt. Allerdings wird im Gegensatz zu den bereits verwendeten Impfstoffen das Spike-Protein nicht im Körper der geimpften Person produziert, sondern als fertiger Fremdkörper gespritzt.
Das Spike-Protein wird dabei mittels Zellkultur im Labor erzeugt. Konkret werden
Baculoviren genetisch verändert, sodass sie in der Lage sind, das Spike-Protein von SARS-CoV-2 zu produzieren. Da jedes Virus einen Wirt braucht, werden die Baculoviren in Insektenzellen eingebracht. Als Wirt der Wahl wurden Sf-9-Zellen verwendet. Dabei handelt es sich um Eierstockzellen des Nachtfalters
Spodoptera frugiperda. Diese Zelllinie ist in der Forschung bekannt und wurde auch schon für die Produktion von
HPV-Impfstoffen verwendet. Vor dem Einsatz im Impfstoff werden die Spike-Proteine gereinigt und die Überreste der Baculoviren und Falterzellen entfernt.
Bei dem COVID-19-Impfstoff von Novavax wird jedoch technologisch noch ein Schritt weiter gegangen. So werden nicht einzeln suspendierte Spike-Proteine gespritzt, sondern die Proteine werden als sogenannte VPLs verwendet. VPL steht für „Virus-like-Particles“, also Partikel, die dem Virus ähnlich sind. Das bedeutet, dass sich mehrere Spike-Proteine zusammenlagern und so eine größere Struktur ähnlich eines Virus formen. Diese Zusammenlagerung aus im Idealfall jeweils 14 Proteinen um einen Lipid-Nanopartikel werden dann in die Impfstoff-Formel eingearbeitet. Das Ziel von VPLs ist, die Immunantwort aufgrund der Ähnlichkeit zum Virus zu verbessern.
Studien in der Vergangenheit zeigten, dass einzelne Proteine meist schwächere Immunantworten auslösen als VPLs.
Um die Immunantwort noch weiter zu verstärken, werden sogenannte Adjuvantien, als Unterstützer eingesetzt. Dies sind im Fall von Novavax Nanopartikel, die aus einem Extrakt der Rinde des chilenischen Seifenrindenbaums hergestellt werden. Dieses Adjuvans wird bei Novavax abgekürzt als „Matrix-M1“ bezeichnet.
Ganzvirus-Impfstoff von Valneva
Eine traditionellere Technologie verwendet die Firma Valneva für ihren Impfstoff. Dabei handelt es sich um einen Ganzvirus-Impfstoff mit inaktivierten (nicht mehr vermehrungsfähigen) Viren. Also das, was man umgangssprachlich und klassisch als Totimpfstoff versteht.
Dabei wird das vollständige SARS-CoV-2 Virus zuerst in einer Zelllinie vermehrt. Hier wurden sogenannte
Vero-Zellen verwendet. Dabei handelt es sich um Nieren-Zellen der grünen Meerkatze, die bereits seit den
90er-Jahren für Forschung und Virusproduktion eingesetzt werden. Danach werden die Viren chemisch inaktiviert und gereinigt. Das Unternehmen Valneva wendet dabei ein Verfahren an, das bereits von seinem seit 2009 zugelassenen Impfstoff
Ixiaro gegen Japanische Enzephalitis bekannt ist.
Zur Verstärkung der Immunantwort wurden auch bei diesem Impfstoff Adjuvantien zugesetzt. Diese werden als „VLA2001 Alaun“ und „CpG 1018“ bezeichnet.
Alaun besteht aus Aluminiumhydroxid und ist eines der ältesten und meistverwendeten Adjuvantien bei Impfungen. Es kam unter anderen bereits bei Impfstoffen gegen Hepatitis A und B, HPV, Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten zum Einsatz.
Ein weitaus modernerer Zusatz ist das zweite Adjuvans mit der wissenschaftlichen Bezeichnung „
CpG 1018“. Dieses kam bisher bei einer Impfung gegen
Hepatitis B zum Einsatz, welche derzeit noch unter Beobachtung der EMA steht. Das Ziel dieses Zusatzes ist, T-Helferzellen und B-Gedächtniszellen zu aktivieren, um damit eine breitere und möglicherweise lang anhaltende Immunantwort auszulösen.
CpG 1018 besteht aus Oligonucleotiden. Dies sind kurze DNA oder RNA-Abschnitte. Im Falle von RNA spricht man von mikro-RNA (nicht zu verwechseln mit mRNA in den bisher zugelassenen Impfstoffen, was messenger-RNA bedeutet und ein wesentlich längerer Abschnitt ist). Diese wenige Basenpaare langen Abschnitte binden an bestimmte Rezeptoren, die noch zusätzliche Immunzellen aktivieren. Im Falle von CpG1018 werden sogenannte „Toll-like-Rezeptoren“ aktiviert, wodurch die Produktion der gewünschten T-Zellen und B-Zellen angeregt wird.
Das Missverständnis um „Eigentlich sind alle zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 Totimpfstoffe“
„Unter dem Totimpfstoff im weiteren Sinne des Wortes verstehen wir alle Impfstoffe, die nicht vermehrungsfähige Erreger oder Erregerkomponenten beinhalten. Und darunter fallen auch alle COVID-19-Impfstoffe, die derzeit bereits in Deutschland zugelassen sind und eingesetzt werden“, erklärte STIKO-Mitglied Professor Christian Bogdan
kürzlich.
Dies ist grundsätzlich eine richtige Aussage, wenn man von der anfangs erwähnten Unterscheidung zwischen Lebend- und Totimpfstoffen ausgeht. Allerdings ist dies anhand der neuen und komplexen Technologien, die aktuell eingesetzt werden, möglicherweise zu einfach und trifft daher nicht mehr den Punkt.
Denn wenn Menschen sagen, dass sie auf einen „Totimpfstoff warten“, meinen sie damit oft einen Ganzvirus-Impfstoff. Oder einen Protein-Impfstoff. Meist aber wohl nicht einen mRNA- oder Vektorimpfstoff.