„Tichys Einblick“ gewinnt Prozess vor dem OLG Karlsruhe gegen „Correctiv“

Das Rechercheportal „Correctiv“ hat vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe verloren – gegen das Online-Magazin „Tichys Einblick“. In dem beanstandeten Artikel ging es um den Offenen Brief der 500 Experten an UN-Generalsekretär António Guterres im September 2019, den „Tichys Einblick“ auf Facebook veröffentlichte.
Von 28. Mai 2020

„Correctiv“ stempelte als Faktenchecker für Facebook im September 2019 einen Beitrag von „Tichys Einblick“ als „teils falsch“ ab. Der Prüfeintrag des Rechercheportals sei für den normalen Facebook-Nutzer „missverständlich“, erklärte nun der sechste Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe.

Denn es sei unklar, ob damit die Berichterstattung des Magazins „Tichys Einblick“ oder der Inhalt des Briefes der Wissenschaftler für fehlerhaft erklärt wurde.

Laut dem Urteil darf „Correctiv“ den besagten Post nicht mehr mit dem Hinweis „Nein: Es sind nicht ‚500 Wissenschaftler‘; Behauptungen teils falsch“ versehen. Der Hinweis auf das Faktenchecken darf nicht mehr erscheinen, auch nicht beim Teilen des Artikels. Falls das geschieht, droht dem Rechercheportal ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft von bis zu zwei Jahren.

Das OLG revidiert mit seinem jetzigen Urteil (siehe unten) die erste Entscheidung vom Landgericht Mannheim.

Wertung oder Faktencheck?

In dem von „Correctiv“ beanstandeten Artikel ging es um den Offenen Brief von 500 Experten an UN-Generalsekretär António Guterres im September 2019. Darin widersprachen über 500 Wissenschaftler und Experten der These vom menschengemachten Klimawandel. Das Schreiben mit der Überschrift „Es gibt keinen Klimanotstand“ wurde unter anderem durch den früheren Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) unterzeichnet. In dem Brief heißt es: „Die Klimamodelle, auf denen die internationalen Politikansätze derzeit aufbauen, sind ungeeignet.“

Das Recherchenetzwerk von „Correctiv“ prüfte den Bericht und versah ihn mit dem Zusatz: „Nein: Es sind nicht ‚500 Wissenschaftler‘; Behauptungen teils falsch“.

„Tichys Einblick“ klagte deswegen gegen das Rechercheportal: Dies sei eine Wertung, kein Faktencheck. Zudem sei der Sonderstatus von „Correctiv“ unlauterer Wettbewerb. Sowohl „Tichy“ als auch „Correctiv“ können als Medienunternehmen ihre Artikel bei Facebook veröffentlichen. Doch nur letzteres kann den anderen prüfen und bewerten.

Sobald „Correctiv“ einen Artikel „abstempelt“, reduziert Facebook gezielt dessen Reichweite. Leser, die den Beitrag überhaupt noch zu sehen bekommen, erhalten von Facebook gleichzeitig einen Artikel des Rechercheportals angehängt.

Facebook nahm die Bewertung des Artikels durch „Correctiv“ im Oktober 2019 zum Anlass, auch zwei Seiten der Epoch Times auf Facebook, Epoch Times Welt und Epoch Times Panorama, in ihrer Reichweite zu begrenzen und einzuschränken.

Wer soll entscheiden, ob die Meinungen anderer Journalisten richtig sind?

Anwalt Joachim Steinhöfel vertrat „Tichys Einblick“ in diesem Prozess. Er sieht den Faktencheck von Facebook in seiner derzeitigen Form „vor dem Aus“. Steinhöfel erklärt laut „FAZ“:

Die Frage, was wahr, falsch, richtig oder unrichtig ist, sollte nach diesem Urteil auch auf Facebook dem politischen Diskurs überlassen bleiben.“

Roland Tichy, früherer Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“, nennt in der „FAZ“ das Urteil „wegweisend“. Denn: „Es ist nicht Aufgabe von so genannten Faktencheckern darüber zu entscheiden, ob Meinungen und Einschätzungen anderer Journalisten richtig sind.“

Er verdeutlicht: „Was Correctiv auf Facebook betreibt, ist ein als Faktencheck getarnter Eingriff in die Meinungs- und Informationsfreiheit. Das ganze System dieser Grundrechtseingriffe, die institutionalisierte Rechthaberei, die unkontrollierte Anmaßung über Wahr oder Unwahr zu befinden, stehen zur Disposition, da diese jetzt auch wettbewerbsrechtlich angegriffen werden können.“

Prof. Dr. Peukert, Goethe-Universität, Frankfurt, sagte vor dem Prozess:

Nicht zuletzt steht die fundamentale Frage im Raum, wer in einer offenen Gesellschaft legitimerweise über wahre/richtige und falsche Meldungen entscheiden soll.“

„Correctiv“ sieht „weder das Facebook-Fact-Checking-System“ noch seine Tätigkeit generell durch das Urteil infrage gestellt. Das Netzwerk wird die Urteilsbegründung abwarten und anschließend entscheiden, wie damit weiter umgegangen wird.

Hier im Wortlaut die Pressemitteilung des OLG in Karlsruhe

Darstellung einer Faktenprüfung auf Facebook darf nicht missverständlich sein

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe, der unter anderem für Streitsachen wegen unlauteren Wettbewerbs zuständig ist, hat am 27.05.2020 eine Eilentscheidung über die Anforderungen an die Darstellung einer Faktenprüfung auf Facebook getroffen.

Die Klägerin hatte in einem Presseartikel über einen „offenen Brief“ zum Klimawandel berichtet und in einem Eintrag auf Facebook auf diesen Artikel hingewiesen. Die Beklagte unterzog im Auftrag von Facebook den „offenen Brief“ einer Faktenprüfung. Das Ergebnis wurde bei dem Eintrag der Klägerin auf Facebook dauerhaft angezeigt mit dem Zusatz „Nein: Es sind nicht ‚500 Wissenschaftler‘; Behauptungen teils falsch“. In einem dort verlinkten Beitrag kam die Beklagte zu dem Ergebnis, dass einige der Verfasser des „offenen Briefes“ nicht über einen wissenschaftlichen Hintergrund verfügten; außerdem seien einige der in dem „offenen Brief“ vertretenen Behauptungen unzutreffend und insgesamt wichtige Informationen nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Der 6. Zivilsenat hat dem auf einen Wettbewerbsverstoß gestützten Eilantrag auf Unterlassung des konkreten Eintrags der Beklagten bei dem Post der Klägerin stattgegeben und das Urteil des Landgerichts Mannheim, das zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen war, entsprechend abgeändert. Entscheidend war dabei, dass die konkrete Ausgestaltung des Prüfeintrags für den durchschnittlichen Facebook-Nutzer nach Auffassung des Senats missverständlich war. Insbesondere konnte die Verknüpfung der Einträge auf Facebook dahin missverstanden werden, dass sich die Prüfung und die Beanstandungen auf die Berichterstattung der Klägerin bezogen hätten, statt – wie es tatsächlich nach Ansicht des Senats weit überwiegend der Fall war – auf den „offenen Brief“, über den die Klägerin lediglich berichtet hatte. 

Über die Rechtmäßigkeit von Faktenprüfungen auf Facebook im Allgemeinen ist in diesem Verfahren nicht entschieden worden.

Die im Eilverfahren getroffene Entscheidung ist nicht mehr anfechtbar. Die Beklagte kann aber die Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren beantragen.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 27.05.2020, Az. 6 U 36/20

Vorinstanz: Landgericht Mannheim, Az. 14 O 181/19



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