Wirtschaftsverbände: Renten und soziale Sicherungssysteme ab 2025 in Gefahr
Führende Wirtschaftsforschungsinstitute kritisierten in ihrem Herbstgutachten, dass die Koalition trotz Konjunkturschwäche keine neuen Schulden mache. Alles nütze nichts, wenn die sozialen Sicherungssysteme, vor allem die Rentenversicherung, nicht demographiefest gemacht würden.
Das Gutachten trägt den Titel „Industrie in der Rezession – Wachstumskräfte schwinden“.
Gebot der Stunde: Soziale Sicherung demographiefest machen
Allem voran die wichtigste Nachricht: Ohne neue Weichenstellung, insbesondere in der gesetzlichen Rentenversicherung, werde es ab Mitte 2025 große Probleme geben. Danach steigen entweder die Rentenversicherungsbeiträge erheblich oder die Lebensarbeitszeit verlängert sich, verkündete Prof. Dr. Stefan Kooths (Institut der Weltwirtschaft Kiel) auf der Pressekonferenz.
Daher der Appell von Kooths:
Man muss die sozialen Sicherungssysteme demographiefest machen. Das sind sie bislang nicht. (…) Umso früher man die Menschen aufklärt, umso weniger heftig werden die sozialen Zumutungen sein.“
Die Schuldenbremse soll hierfür aber nicht ausgeweitet werden. Sonst mache man sich „schlanken Fußes“ und entledige sich des Problems durch Zuschüsse aus dem Staatshaushalt.
Außerdem müsse das „Produktionsergebnis den Möglichkeiten anpasst“ werden. In der Rentenpolitik war in den letzten Jahren genau das Gegenteil der Fall. Es wurden sogar noch zusätzliche Ansprüche formuliert wie „Mütterrente“ und „Rente mit 63“.
Industrie in der Rezession
Für das Jahr 2019 gehen die Institute nur noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent aus. Gegenüber dem Frühjahr haben sie die Prognose um 0,3 Prozentpunkte herabgesetzt. Auch für 2020 senkten die Forscher ihre Prognose von 1,8 Prozent auf nun noch 1,1 Prozent. Eigentlich seien es sogar nur 0,7 Prozent, ziehe man die ungewöhnlich hohe Anzahl an Arbeitstagen ab.
„Die gesamte Industrie ist in einen Abwärtssog geraten,“ sagte Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Ganz besonders ausgeprägt ist die Schwäche in der deutschen Automobilindustrie.“
Dort sei das Wachstum seit Mitte des Jahres 2018 um 20 Prozent eingebrochen. Inzwischen färbe die Industrieschwäche sogar schon auf andere Wirtschaftsbereiche und vielleicht sogar den Bau ab, sagte Prof. Dr. Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut in einem Interview mit der ARD.
Auch der Beschäftigungsaufbau verliere an Fahrt, so Wollmershäuser weiter. In der Industrie gehe die Beschäftigung bereits zurück. Auch Anzeichen für Kurzarbeit und steigende Arbeitslosigkeit machen sich breit. 2020 soll sich die Arbeitslosenquote laut Gutachten von derzeit fünf auf 5,1 Prozent erhöhen.
Hauptgründe: Außenwirtschaftliche Faktoren
„Neben dem strukturellen Wandel im Fahrzeugbau sind vor allem außenwirtschaftliche Faktoren für das Schwächeln maßgeblich. Und gerade Deutschland als so bedeutende Exportindustrie spürt die Folgen besonders stark,“ so Michelsen weiter.
Allen voran die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China sowie „innerasiatische Konflikte“. Die durchschnittlichen US-Zölle auf Importe aus China beliefen sich mittlerweile auf rund 21 Prozent, die Vergeltungszölle aus Peking auf 22 Prozent, erklärte Michelsen. US-Importe seien um 15 Prozent eingebrochen. Exporte nach China schrumpften um bis zu 30 Prozent.
„Unsicherheit ist Gift für die Investitionstätigkeit“, sagte Michelsen. Der Konflikt zwischen USA und China erzeuge Unsicherheit und hemme Investitionen.
Auch ein ungeregelter Brexit dürfte die europäische Wirtschaft und insbesondere auch die deutsche Wirtschaft belasten. Die Experten rechnen mit einem ungeregelten Brexit. Dann würde das Wirtschaftswachstum um 0,4 Prozent weiter sinken.
Festhalten an schwarzer Null ist Selbstzweck
Trotz der rückläufigen Wirtschaftsleistung könne derzeit nicht von einer „tiefen Konjunkturkrise“ gesprochen werden, wenngleich die konjunkturellen Abwärtsrisiken hoch sind. „Für kurzfristig angelegte Interventionen der Wirtschaftspolitik sehen die Forscher aber keinen Bedarf,“ erklärt Michelsen weiter.
Ein „Festhalten an der schwarzen Null als Selbstzweck“ wäre allerdings „grundfalsch“ und sei keine vernünftige Wirtschaftspolitik, mahnten die Experten. So werde „dem Abschwung hinterhergespart“, was die Probleme nur vergrößere.
Die Konjunktur könne sich nur stabilisieren, wenn der Haushalt „atmen“ könne. Dafür biete die Schuldenbremse explizit Spielraum – sie lässt Kredit in kleinem Umfang zu.
Industrieverbände fordern Sofortprogramm
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erklärte, die Forscher lägen „vollkommen richtig“ mit ihrer Einschätzung zur Verschuldung. Das Festhalten an der schwarzen Null kommendes Jahr dürfe „kein Dogma sein“. Vielmehr wäre es „klug, jetzt damit zu beginnen, ein Sofortprogramm zur Stärkung der privaten und öffentlichen Investitionen auszuarbeiten“. Den Optimismus der Institute für kommendes Jahr teile der BDI nicht, hieß es.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag bezeichnete die rückläufige Industrieproduktion als „Warnsignal“.
Die Betriebe bräuchten „bezahlbare Energie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, einen schnelleren, auch digitalen Infrastrukturausbau und ein wettbewerbsfähiges Steuersystem“. Der Außenhandelsverband BGA forderte eine moderne Unternehmensbesteuerung. Investitionen müssten zeitnah geplant und umgesetzt werden können.
(bm mit Material der Agenturen)
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