Freibetrag: Steuerzahler gegenüber Bürgergeld-Empfängern benachteiligt?
Derzeit sind Finanzämter angewiesen, ihre Einkommenssteuerbescheide lediglich als vorläufig zu deklarieren. Dies hat das Bundesfinanzministerium den „Kieler Nachrichten“ auf Anfrage mitgeteilt. Die Order bezieht sich auf den Grundfreibetrag, heißt es weiter. Hintergrund ist eine anhängige Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts Kiel vom vergangenen September vor dem Bundesfinanzhof. Diese hat der Steuerberater Jan Osterloh aus Bordesholm eingereicht.
Grundfreibetrag für Steuerpflichtige und Regelbedarf für Bürgergeld-Empfänger unterschiedlich
Wie „Bild“ berichtet, hatte das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht in Kiel festgestellt, dass bei der Berechnung des Grundfreibetrages für 2024 ein Regelbedarf angesetzt wurde, der um 312 Euro niedriger liegt als jener, der für Bürgergeldempfänger gilt. Kläger Osterloh hält dies für verfassungswidrig.
Der Steuerberater sieht in dieser Praxis eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Artikel 3 des Grundgesetzes. Diesem zufolge müsse der Gesetzgeber alle Menschen bei gleichen Sachverhalten gleich behandeln – so auch bei der Definition des Existenzminimums. Entscheidend müsse dabei das sozialrechtliche Existenzminimum sein.
Im Steuerrecht werden der Berechnung des Existenzminimums jedoch offenbar andere Parameter zugrunde gelegt. Zudem beruft sich der Kläger auf ein Abstandsgebot, das vonseiten des Bundesverfassungsgerichts formuliert worden sei. Diesem zufolge müssten Menschen, die arbeiteten und Steuern abführten, ein höheres steuerfreies Existenzminimum haben als jene, die dies nicht täten. Als Richtwert für den Abstand seien 25 Prozent zu veranschlagen.
Im Fall des Erfolgs kann von Amts wegen Anpassung erfolgen
Sollte sich der Bundesfinanzhof dieser Einschätzung anschließen, könnte dies Auswirkungen auf die Einkommenssteuerbescheide von etwa 46 Millionen Menschen haben, betont Osterloh. Das Bundesfinanzministerium stellt sich offenbar bereits vorsorglich darauf ein, dass dies der Fall sein könnte.
Die Anweisung, Einkommenssteuerbescheide unter Vorbehalt zu stellen, ermöglicht es den Finanzbehörden, Bescheide von sich aus zu ändern und nachträglich an eine neue Rechtslage anzupassen. Dies ist insbesondere für Personen von Vorteil, die sich die Dienste von Steuerberatern oder Anwälten nicht leisten können oder wollen. Diese müssten andernfalls einen Einspruch einlegen, was vielfach eine professionelle Beratung erfordert.
Der Weg einer vorläufigen Steuerfestsetzung wird häufig beschritten, wenn es offene Verfahren vor obersten Bundesgerichten über die Vereinbarkeit von Steuergesetzen mit höherrangigen Normen gibt. Hat Osterloh Erfolg, könnte eine Vielzahl von Bürgern mit Steuerrückzahlungen rechnen.
Finanzgericht von Verfassungswidrigkeit bei Grundfreibetrag „nicht restlos überzeugt“
Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es diesbezüglich jedoch nicht. Zwar hatte auch das Finanzgericht Kiel Zweifel an der Zulässigkeit unterschiedlicher Maße bei der Definition des Existenzminimums angemeldet. Die zuständige Kammer zeigte sich jedoch nicht restlos „überzeugt“ von der Verfassungswidrigkeit dieser Praxis.
Immerhin erkennt auch das Bundesverfassungsgericht einen bestimmten Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers bei der Festlegung des steuerlichen Existenzminimums an. So könnten etwa unterschiedliche Zielsetzungen abweichende Berechnungsgrundlagen rechtfertigen.
So stellt der Grundfreibetrag im Steuerrecht ein „steuerliches Existenzminimum“ fest. Das Bürgergeld soll demgegenüber das „soziokulturelle Existenzminimum“ sicherstellen. Außerdem spielen bei der Festlegung des Grundfreibetrages potenziell auch Faktoren wie Inflationsprognosen, wirtschaftliche Entwicklungen oder haushaltspolitische Erwägungen eine Rolle.
Steuerrechtler spricht von „Weihnachtsgeschenk für Menschen mit kleinem Einkommen“
Häufig kommt es zwar zu einer Angleichung der Sätze für das Existenzminimum, im Steuerrecht schlägt diese jedoch oft erst mit einer gewissen Verzögerung gegenüber dem Sozialrecht durch.
Derzeit seien in diesem Kontext bereits Hunderttausende Einsprüche von Steuerberatern im Namen ihrer Mandanten anhängig, äußerte er gegenüber den „Kieler Nachrichten“. Dies ziehe eine erhebliche Belastung der Finanzbürokratie nach sich.
Steuerrechtsprofessor Michael Stöber von der Universität Kiel spricht jetzt schon von einem „großen Erfolg für den Kläger“ und einem „Weihnachtsgeschenk gerade für Menschen mit kleineren Einkommen“. Zu tragen kommt dies allerdings erst im Fall einer für die Steuerzahlenden vorteilhaften Entscheidung des Bundesfinanzhofs.
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