EU-Geheimpapier: Deutschlands Wirtschaft steuert auf Zusammenbruch zu

Ein Geheimpapier der EU-Kommission sieht die Wirtschaft in Deutschland nahe am Zusammenbruch. Die Energiekrise treibt immer mehr Unternehmen ins Ausland.
Serumwerk
Serumwerk in Bernburg. Gewerkschaften, DIHK und ein EU-Geheimpapier sehen die chemische Industrie in Deutschland enorm unter Druck.Foto: Textbüro Freital
Von 21. März 2023

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Die Situation der deutschen Wirtschaft scheint noch dramatischer zu sein, als Analysten zuletzt angenommen hatten. Ein Geheimpapier der EU-Kommission, das der „Bild“ zugekommen war, zeichnet ein düsteres Bild. Die hohen Energiepreise gefährdeten Jobs und den Mittelstand. Immer mehr Unternehmen spielten mit dem Gedanken, Investitionen zu unterlassen – oder gleich komplett abzuwandern.

USA und China bewältigen Energiekrise besser als EU

Dem Geheimpapier zufolge treffe die Energiekrise die EU deutlich stärker als etwa die USA oder China. Dabei gehöre die Wirtschaft in Deutschland zu den meistgefährdeten. Dort waren die Energiepreise bereits vor dem Ukraine-Krieg im europäischen Spitzenbereich angesiedelt – und betrugen ein Vielfaches des Niveaus der beiden weltgrößten Volkswirtschaften.

Wie „Bild“ aus dem Bericht zitiert, ist die Stimmung in der Industrie mittlerweile schlechter als zu Beginn der Corona-Pandemie. Einer Umfrage des „European Roundtable for Industry“ zufolge halten 34 Prozent aller Entscheidungsträger in Unternehmen derzeit Investitionen zurück. Nicht weniger als 15 Prozent planen dies sogar dauerhaft. Die Geschäftsintensität reduzieren bereits knapp 50 Prozent der Befragten.

Gewerkschaften fordern wettbewerbsfähigen „Industriestrompreis“

Jedes vierte Unternehmen plant außerdem, Produktionsstätten und Arbeitsplätze ins Ausland auszulagern. Bereits im vergangenen Herbst hatte BASF-CEO Martin Brudermüller in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit Europas gewarnt. Die Energiekosten in Europa, so der Spitzenmanager, könnten in der EU bald das Dreifache jener in den USA erreichen. Auch im Mittleren Osten seien die Konditionen deutlich günstiger.

Zu Beginn des Monats hatten auch die Gewerkschaften Alarm geschlagen und einen Aktionstag gegen die drohende Deindustrialisierung abgehalten. Bereits jetzt hätten beispielsweise 40 Prozent der Unternehmen der chemischen Industrie ihre Produktion gedrosselt.

Im Vorjahr hatte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi vor „ökonomischem Selbstmord“ unter dem Banner des Klimaschutzes gewarnt. IG Metall, IGBCE und IG BAU warnen nun vor drohenden Arbeitsplatzverlusten und Standortschließungen in energieintensiven Bereichen der Industrie. Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, fordert einen „Industriestrompreis“. Widrigenfalls könnten energieintensive Branchen wie Stahlerzeugung oder Aluminiumindustrie „über kurz oder lang aus Deutschland […] verschwinden“.

Deutschland könnte 2023 zum Wachstumsschlusslicht der EU werden

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bestätigt die alarmierende Einschätzung des Geheimpapiers. Er hat 27.000 Unternehmen befragt und zur Antwort erhalten, dass jedes vierte deutsche Unternehmen eine Verlagerung seiner Produktion oder Dienstleistungen ins Ausland erwägt. Als Gründe nennen die Befragten auch hier hohe Energiepreise und mangelnde Versorgungssicherheit. Neben Chemie und Stahl zeigen sich auch im Maschinenbau zunehmend Abwanderungsambitionen.

Die EU-Kommission hält es zudem für wahrscheinlich, dass Deutschland 2023 zum Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in Europa wird. In ihrer Herbstprognose geht die Kommission davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr um 0,6 Prozent schrumpft. Dies ist mit Schweden der schlechteste Wert aller 27 EU-Länder.

Neben der Inflation macht sich auch eine Versorgungslücke bemerkbar

Gründe für den Pessimismus sind die Folgen der Energiekrise, aber auch schon seit Längerem bestehende Unwägbarkeiten wie der Fachkräftemangel oder strukturelle Probleme in Schlüsselsektoren. Dazu gehöre unter anderem auch die Automobilindustrie.

Zudem ist die Inflation nach wie vor hoch und es deutet wenig darauf hin, dass diese auch im Jahr 2023 auf das von der EZB gewünschte Maß von zwei Prozent sinkt. Die Teuerung belastet jedoch Unternehmen und Haushalte, senkt die Kaufkraft und sorgt für zurückhaltenden Konsum. All diese Faktoren schmälern das Vertrauen in die Wirtschaft.

Investitionen in Wissenschaft und Forschung sowie eine rasche Stabilisierung und Senkung der Energiepreise wären ein Weg zur Schadensbegrenzung. Sie könnten dazu beitragen, Unternehmen und Verbrauchern Sicherheit zurückzugeben.

Stattdessen droht Deutschland auch eine Energieversorgungslücke. Ein Bericht aus dem Haus McKinsey spricht von einem Fehlbetrag von vier Gigawatt bis 2025. Bis 2030 könnte sich der Nachfrageüberhang sogar auf 30 Gigawatt summieren. Die Gesamtleistung der noch aktiven Kernkraftwerke in Deutschland liegt immerhin bei 4,2 Gigawatt. Auf Druck von Grünen und SPD nimmt die Bundesregierung ab April jedoch von einer Verlängerung der Laufzeiten Abstand.



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