Umfassender Zugriff für Pharmaindustrie auf Daten von Patienten
Gesundheitsdatennutzungsgesetz: So holprig das Wort ist, so eben soll der Weg zur Umsetzung sein – jedenfalls wenn es nach den Interessenvertretern geht. So soll die Pharmaindustrie umfassenden Zugriff auf Gesundheitsdaten bekommen. Das teilt das „Ärzteblatt“ auf seiner Internetseite mit. Politiker der Regierungsparteien kündigten diesen Schritt im Verlauf einer Diskussionsrunde des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH) an.
Bisher gibt es noch keinen Gesetzentwurf
Die Pharmaindustrie spekuliert dabei auf möglichst umfangreiche Zugriffsrechte. Die Daten will sie für Forschung, Entwicklung und betriebswirtschaftliche Fragen verwenden. Allerdings liegt bislang noch kein Referentenentwurf für das Gesetz vor. Mit Aussicht auf die Zukunft hat der BAH laut „Ärzteblatt“ bereits eine Stabsstelle „Digitale Gesundheit“ gegründet. BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz fordert zudem, dass die Arzneimittelindustrie bei der Regulierung des Zugangs zu Gesundheitsdaten gleichberechtigt mit anderen Sektoren des Gesundheitswesens behandelt werden müsse.
Ohne Daten keine neuen Medikamente
Schließlich kämen Neu- und Weiterentwicklungen bei Arzneimitteln und Therapien den Patienten zugute. „Aus Sicht des BAH gilt es daher, den Zugang zur gesetzlich legitimierten und qualitativ hochwertigen Dateninfrastruktur auszubauen“, heißt es dazu in einem Positionspapier des Verbands. Die Verbesserung der Arzneimittelversorgung lebt von Innovationen und Weiterentwicklungen. „So wäre ohne klinische Daten die Entwicklung neuer Wirkstoffe undenkbar“, heißt es in dem Papier weiter.
Der Zugang zu deutschen Versorgungs- und Forschungsdaten im europäischen Kontext sei ebenfalls zu regeln. „Der BAH unterstützt den Gedanken des Europäischen Raumes für Gesundheitsdaten (EHDS) der EU-Kommission und setzt sich für eine Harmonisierung der nationalen Gesetzgebung ein“, betont Cranz.
Fünf Schreibweisen für das Geburtsdatum
Vom Gesetzgeber müssten dabei klare Interoperabilitätsvorgaben kommen, sagt Maximilian Funke-Kaiser. Der Bundestagsabgeordnete ist digitalpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Konkrete zeitliche Umsetzungsfristen wären zudem wünschenswert. Doch so einfach lässt sich das nicht realisieren, mahnt Stefan Höcherl an. Er ist Leiter von Strategie und Standards bei der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (Gematik). Zu den Gesellschaftern dieser 2005 gegründeten GmbH gehören Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens wie der Ärzte- oder Apothekerverband, aber auch das Bundesgesundheitsministerium. Höcherl sagte, das Unterfangen sei komplexer, als es scheine. Als Beispiel nannte er die Onkologie. Allein in diesem Bereich gebe es fünf verschiedene Schreibweisen für das Geburtsdatum.
Positiver Nutzen größer als Risiken
Als „herausragend“ bezeichnete der Wissenschaftliche Beirat für digitale Transformation der AOK Nordost die Vorteile einer verstärkten Gesundheitsdatennutzung. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz müsse daher schnell auf den Weg gebracht werden, forderte der Beirat im Sommer dieses Jahres in einem Positionspapier. Der positive Nutzen überwiege „deutlich“ gegenüber etwaigen Risiken. „Gesundheitsdaten können Leben retten. Das hat die Pandemie deutlich gezeigt. Sie nicht in dem erforderlichen Umfang zu nutzen, verletzt die staatliche Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit“, betonte Dirk Heckmann, Geschäftsführer des Expertengremiums.
Datenschützer fordern Gesetz seit 2004
Um den Datenschutz ging es unter anderem bei einem Streitgespräch am Vorabend der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder in der vergangenen Woche. Dabei erinnerte Bundesdatenschützer Ulrich Kelber daran, dass die Datenschützer bereits seit 2004 ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz fordern. Das solle nun Ende 2023 kommen. Aus Sicht der Datenschützer sei es nun spannend, dieses Gesetz und Gesetze zu Registerdaten und anderen Forschungsdatengesetzen zu begleiten.
Nur personenbezogene Daten nützlich
Dass die Interessen dabei durchaus weit auseinandergehen, zeigte sich in einem Streitgespräch, über das der „Tagesspiegel“ auf einer Plattform berichtete. Umfangreichen Zugriff auf Daten forderte dabei Sylvia Thun, Direktorin der Core Facility Digitale Medizin und Interoperabilität am Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). Sie forderte zum Beispiel mehr Zulassungen für personenbezogene Daten. Nur so lasse es sich etwa bei Krebsregistern vermeiden, dass dieselbe Person mehrfach auftauche – etwa bei Rückfällen und mehrfachen Behandlungen. Ohne einen Abgleich aber sei die sogenannte record linkage nicht möglich, betonte sie. Die Ergebnisse verlören an Aussagekraft.
Gefahr durch Künstliche Intelligenz und Big Data
Das sah Alexander Roßnagel, Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, anders. So sei es durchaus möglich, mit pseudonymisierten Daten zu arbeiten, wenn Forschungszweck und Sicherheitsvorkehrungen es hergäben. Er warnte aber auch davor, dass anonymisierte Daten leicht zu entschlüsseln seien. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn sie zu spezifisch seien. Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data sowie Verknüpfbarkeit mit anderen Daten könnten die Vertraulichkeit und Sicherheit dieser Daten gefährden. Als wichtigsten Punkt nannte Roßnagel die informationelle Selbstbestimmung des Patienten.
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