Lockdown und Diesel-Fahrverbote – trotzdem kein Stickoxid-Rückgang in Stuttgart
Bereits im Mai waren ungeachtet in Stuttgart geltender Diesel-Fahrverbote und Lockdown-bedingter Verkehrsberuhigung mancherorts unveränderte Stickoxid-Werte zu verzeichnen. Experten erklärten dies mit der Wetterlage. Im Winter sieht die Bilanz nun aber ähnlich aus.

Dieselfahrverbot.
Foto: iStock
Im Mai des Jahres, als der erste Corona-bedingte Lockdown mehrere Wochen alt war, berichtete das ARD-Magazin „Kontraste“ unter Berufung auf Umweltbehörden der Bundesländer von einem Rückgang der Stickoxid-Werte in deutschen Städten. Wie das Magazin selbst einräumte, ließ sich dieser Trend aber nicht an allen Messstationen beobachten.
In Stuttgart, wo auch ein Diesel-Fahrverbot galt, war die mittlere NO2-Konzentration im März und April gegenüber den Februarwerten trotz der Einschränkungen im Verkehr mancherorts sogar leicht angestiegen. Mittlerweile gelten seit November wieder Corona-Beschränkungen – und am Neckartor bleiben die Stickstoffoxid-Messwerte stabil.
Höchstbelastung am vergangenen Freitag
Das Magazin „Tichys Einblick“ hat die Entwicklung bei den NO2-Werten unter die Lupe genommen, wie sie an den einzelnen Messstationen ausgewiesen wurden. Die Bilanz: Trotz weiterhin in Kraft befindlicher Diesel-Fahrverbote und geringerem Verkehrsaufkommen infolge von Pandemie-Maßnahmen pendelten die Messwerte in der Stadt zuletzt stabil zwischen 40 und 50 µg/m³.
Am Neckartor wurden am gestrigen Montag (21.12.) um 10 Uhr 44 µg/m³ gemessen, in Bad Cannstatt 40. Der 12-Monats-Mittelwert liegt mit 23 µg/m³ dennoch unter dem festgelegten Grenzwert eines Jahresmittels von 40 µg/m³. In den USA liegt dieser übrigens bei 100 µg/m³. In Innenräumen darf der Wert in Deutschland 80 µg/m³ betragen, am Arbeitsplatz sogar 950.
Wenig Bewegung bei den Messwerten in Stuttgart
Diplom-Ingenieur Martin Schraag, Experte im Bereich internationaler Sicherheits- und Risikomanagement-Normen, hat die Entwicklung der Messwerte jener des von Navi-Dienst Tomtom dokumentierten Verkehrsflusses gegenübergestellt. Er kommt zu dem Schluss:
„Das tägliche Muster der Verkehrs-Messstellen Am Neckartor und Pragstraße hat sich praktisch ab dem Lockdown nicht geändert.“
Die Messwerte schwankten wie gehabt in einer Größenordnung von 40 µg/m³, mit Maximalwerten um 17 Uhr. Der Spitzenwert wurde dabei im Freitagnachmittagsverkehr des 18.12. festgestellt, als die Corona-bedingten Einschränkungen bereits in Kraft waren.
Die Fragwürdigkeit des Kampfes gegen den Diesel zeige sich in der baden-württembergischen Landeshauptstadt umso mehr angesichts der Tatsache, dass dort seit 1. Juli sogar Euro 5 Diesel aus der kleinen Umweltzone verbannt seien. Fahrzeuge der Euro-Normen 3 und 4 sind bereits seit Jahresbeginn 2019 nicht mehr in der Stadt zugelassen.
Fahrverbote noch verhältnismäßig?
Die Landeshauptstadt hatte wie viele andere Städte weitreichende Diesel-Fahrverbote verhängt, um nicht ins Visier von Verbandsklagen der umstrittenen „Deutschen Umwelthilfe e. V.“ zu geraten. Diese hatte bereits zuvor mehrere Kommunen verklagt, weil die Stickoxid-Grenzwerte, die von der EU festgesetzt worden waren, überschritten würden.
Der Vorsitzende des Verbands, Jürgen Resch, forderte insbesondere Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, um die Werte zu senken. Gerichte gaben ihm Recht, das Bundesverwaltungsgericht mahnte immerhin „Verhältnismäßigkeit“ an.
Gegner der Maßnahmen, die vor allem die in Stuttgart bedeutende Autoindustrie belasten und zum Verkauf älterer Dieselmodelle nach Osteuropa geführt hatten, sehen in Messergebnissen wie den von Martin Schraag präsentierten ein Indiz für die Unwirksamkeit der Fahrverbote.
Stickoxide im Frühjahr wegen Hochdrucks gestiegen?
Den Anstieg der NO2-Werte im Mai erklärte der Stuttgarter Stadtklimatologe Rainer Kapp mit einem Wetterumschwung. Demnach habe im Februar eine regen- und windreiche Witterung für außergewöhnlich niedrige Stickoxidwerte gesorgt. Ab Mitte März hingegen habe es eine „stabile Hochdruckphase mit wenig Wind und vertikalem Luftaustausch“ gegeben, die im Talkessel von Stuttgart zu einer stärkeren Anreicherung von Schadstoffen führe. Messdaten zeigen jedoch erst für Ende Februar eine Phase weit unterdurchschnittlichen Luftdrucks an.
Auch eine Studie über die Entwicklung im Frühjahr aus Großbritannien deutete darauf hin, dass eine eindimensionale Verknüpfung zwischen Verkehr mit Diesel-Fahrzeugen und Schadstoffemissionen im städtischen Bereich möglicherweise zu kurz greift.
Studie aus Großbritannien gegen eindimensionale Erklärungen
Umweltforscher der Universität Liverpool analysierten die Luftqualität vor und während der Corona-Pandemie. Im Vergleich mit den Werten für Schwefel- und Stickoxide, Feinstaub (PM2,5) und Ozon der letzten sieben Jahre wollten sie herausfinden, welche Auswirkung die Ausgangssperre und der wirtschaftliche Stillstand bei COVID-19 auf das Klima hatten.
Die Studie zeigte für den Zeitraum vom 23. März bis 13. Juni 2020 um bis zu 44 Prozent sinkende Werte für Stickstoffdioxid (NO2). Dies hänge, so die Forscher, mit der Verringerung der Fahrzeugemissionen zusammen. Auf der anderen Seite überraschte die Forscher der Anstieg der Werte von Schwefeldioxid (SO2). Diese stammen typischerweise von der britischen Industrie und hätten ebenso stark rückläufig sein müssen. Stattdessen steigen sie auf mehr als das Doppelte der Vorjahreswerte.
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