Es geht auch ohne Tüte: Bewusstsein für Plastikmüll wächst
Morgens einen Coffee to go in der U-Bahn, mittags einen knackigen Salat aus dem Kühlregal – und abends die Lieferung vom Vietnamesen um die Ecke.
Was nach dem Alltag vieler Großstadtmenschen klingt, hat eine Kehrseite: Ein Tag wie dieser produziert pro Person rund einen Eimer voll Plastikmüll, vom Becher bis zur Sushi-Box.
Zum Tag der Umwelt am 5. Juni wollen Naturschützer das Bewusstsein dafür schärfen – ohne erhobenen Zeigefinger. Positive Anreize wie Rabattsysteme für Kaffeefans mit Mehrwegbechern können nach Einschätzung der Umweltstiftung WWF auch Erfolg haben.
„Der Zusammenhang zwischen Plastikmüll und Meeresverschmutzung ist vielen Verbrauchern in Deutschland heute klar“, sagt Bernhard Bauske, Projektkoordinator Meeresmüll beim WWF. Viele bedrückten die Bilder von leidenden Tieren, verendeten Walen mit einem Magen voller Plastikmüll zum Beispiel. Oder Bilanzen vom Nordseestrand, an dem nach einer Studie des Umweltbundesamts (UBA) im Mittel auf 100 Metern 389 Müllteile gefunden werden – fast zu 90 Prozent aus Kunststoff. Plastik, das belegen viele Studien, verrottet nicht. Ist es einmal in der Umwelt, zerfällt es in immer kleinere Teile bis das menschliche Auge es nicht mehr sehen kann, warnt die Umweltschutzorganisation Greenpeace.
Viele wollten etwas gegen diese Last für die Umwelt tun, sagt Bauske. Woran es oft noch fehle, sei ein Anreiz zum Umdenken im Alltag. Dabei zeigt das Beispiel Plastiktüte, wie das mit einer EU-Richtlinie funktionieren kann. Seit 2016 können Händler in Deutschland für die Tüten Geld nehmen – und schon haben mehr Kunden einen eigenen Einkaufsbeutel dabei. Nach der UBA-Statistik nutzt jeder Bundesbürger im Durchschnitt heute zwar immer noch rund 45 Plastiktüten pro Jahr. „Im Jahr 2015 waren es aber noch 68“, sagt Bauske. Noch nicht mitgerechnet sind in der Statistik allerdings die transparenten, dünnen Tütchen, die es an Obst- und Gemüseständen weiterhin kostenlos gibt. Auch für diese Einkäufe gibt es Mehrzweck-Beutel. Durchgesetzt haben sie sich bisher nicht.
„Unverpackt“-Läden sind oft nur ein Phänomen in ökobewussten Szene-Stadtteilen. Wer seine eigene Box zur Fleisch- oder Käsetheke mitbringe, werde sonst manchmal schräg angeschaut, sagt Bauske. Viele Verkäufer fürchteten Verstöße gegen ihre Hygiene-Richtlinien. „Wir brauchen hier Unterstützung und einheitliche Regelungen“, fordert er. „Eine Möglichkeit wie eine Extra-Theke zum Abstellen und Befüllen zum Beispiel.“
Verpackungen machen mit einem guten Drittel (35,2 Prozent) nach UBA-Berechnungen heute den Löwenanteil der deutschen Verarbeitungsmenge von Kunststoffen aus. Das ist kein Wunder, denn mit dem Boom von Online-Versand, dem Trend zur To-Go-Gastronomie sowie Fertiggerichten wächst der Anteil von Verpackungsmaterial stetig – und damit auch der Müllberg.
Dazu kommt der Demografie-Faktor: Es gibt immer mehr Single- und Seniorenhaushalte. Sie alle kaufen zum Beispiel nicht mehr den Familienpott Joghurt, sondern mehrere kleinere Becher. Noch mehr Verpackung, viel davon aus Plastik. Kunststoffabfälle machen in Deutschland nach der jüngsten UBA-Tabelle für 2015 fast sechs Millionen Tonnen aus – ein Plus von fünf Prozent allein seit 2013.
Beim Verpackungs-Recycling liegt Deutschland mit fast 70 Prozent nicht schlecht. Nach einer Eurostat-Erhebung für 2015 ist das inzwischen aber fast Durchschnitt. Belgien, Tschechien, Dänemark, die Niederlande und Schweden können das besser. Bei Plastik liegt Deutschland beim Verpackungsrecycling mit 46 Prozent immerhin auf dem zweiten Rang hinter Tschechien. Doch auch hier sieht Bauske noch viel Luft nach oben.
„Etwa die Hälfte des Inhalts der gelben Tonne wird bei uns immer noch verbrannt“, sagt er. „Und wir belohnen Unternehmen noch nicht, die Verpackungen recyclinggerechter gestalten.“ Das ginge zum Beispiel über niedrigere Lizenzgebühren für Verpackungen. Erst für 2019 ist das im neuen deutschen Verpackungsgesetz vorgesehen. In Italien oder Frankreich seien Gebühren für Verpackungen bereits heute auch von ihrer Recyclingfähigkeit abhängig, berichtet der Experte.
Die jüngste Drohung der EU, Plastikbesteck und -geschirr oder Strohhalme zu verbieten, sieht Bauske positiv. Allein in Deutschland wurden 2017 rund 105 500 Tonnen Kunststoff für Einweggeschirr, Einwegbesteck und Mitnehm-Verpackungen für Fast Food verbraucht. Weltweit nutzt das bisher nur angedachte Verbot jedoch wenig, wenn viele südostasiatische Staaten bisher weder Mülltrennung noch ein finanziertes Rücknahmesystem für Kunststoffe haben – samt einer Produktverantwortung der Hersteller. Für Bauske ist das der wichtigste Hebel für Veränderungen.
Doch auch in Deutschland steht der Reduktion des Plastikmüllbergs noch einiges entgegen. Marketing-Strategien zum Beispiel – Brauereien, die durch eine eigene Flaschenform auffallen wollen oder Softdrink-Hersteller, die auf quietschbunte Farben setzen. „Einheitliche Flaschen wären für Mehrwegsysteme und Recycling von Einwegflaschen viel besser“, sagt Bauske. „Schon Produzenten müssen wissen und beachten, was Müll-Sortieranlagen heute verarbeiten können und was nicht.“ Doch es fehle auch am Willen zu Gesprächen. (dpa)
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