Wissenschaftlerin: Es ist höchste Zeit den Judenhass der gebildeten linken Schichten ins Visier zu nehmen
Der Hass auf Juden und auf Israel hat nach Ansicht einer Expertin weite Teile der Bevölkerung in Europa erfasst.
„Wir müssen aufhören, den Fehler zu begehen, Antisemitismus und Antizionismus nur am rechten Rand zu lokalisieren“, sagte die Wissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin der Deutschen Presse-Agentur vor einer internationalen Antisemitismus-Konferenz in Wien.
Speziell durch die tausendfachen Kommentare in den sozialen Medien erfahre der Antisemitismus einen gefährlichen Normalisierungseffekt. „Diese Kommentare werden einfach akzeptiert, es gibt keinen Widerstand“, sagte Schwarz-Friesel nach der Auswertung einer Flut von Kommentaren. Der Gewalt der Worte folge ganz leicht die Gewalt der Taten, wie der jüngste Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania zeige, fügte die Professorin hinzu, die Herausgeberin des Buchs „Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft“ aus dem Jahr 2015 ist. Dabei hat laut Schwarz-Friesel ganz Europa ein massives Antisemitismus-Problem. In Ländern wie Schweden und Frankreich sei der muslimische Judenhass besonders virulent, in Polen, Ungarn und Großbritannien die linke Israelfeindschaft.
Bei der Antisemitismus-Konferenz am Mittwoch wollen Politiker und Vertreter jüdischer Organisationen über Konzepte beraten, wie für Juden weiter ein sicheres Leben in Europa möglich ist. Zu der Konferenz hatte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz als aktueller EU-Ratsvorsitzender eingeladen.
Schwarz-Friesel, Leiterin des Fachgebiets Allgemeine Linguistik an der TU Berlin, stützt sich unter anderem auf eine eigene Langzeit-Studie, bei der die antijüdischen Kommentare von Nutzern angesehener deutscher Zeitungen ausgewertet wurden. Der Anteil solcher Kommentare stieg zwischen 2007 von 7,5 Prozent auf mehr als 30 Prozent.
Aus Sicht der Wissenschaftlerin wird es höchste Zeit, gerade den Judenhass der gebildeten linken Schichten ins Visier zu nehmen. „Der linke Antisemitismus versteckt sich gern hinter der Kritik an der israelischen Politik.“ Dabei sei Kritik an Israels Politik selbstverständlich im Grund zulässig, aber es komme auf die Wortwahl an.
Zu sagen, dass die israelische Regierung aktuell wenig für den Friedensprozess in Nahost tue, sei noch kein Antisemitismus. Aber es sei eine entlarvende Grenzüberschreitung gleich vom „Unrechts- und Apartheidsregime“ der Israelis zu reden und die Gewalt der Palästinenser kleinzureden, sagte Schwarz-Friesel. Auch in solchen Äußerungen komme das alte Juden-Bild vom „kollektiv gierigen Zersetzer und Zerstörer“ zum Tragen. Sie beobachte eine Doppelmoral in der öffentlichen Diskussion. „Bei einem linken Nobelpreisträger akzeptiert man dessen Ressentiment, bei den Rechten prangert man es an.“
Unterdessen warnten 34 israelische Gelehrte in einem gemeinsamen Appell davor, Antisemitismus und Kritik an Israel zu vermischen. Legitime Kritik an Tel Aviv – immerhin seit mehr als 50 Jahren auch eine Besatzungsmacht, die die Rechte von Palästinensern unterdrücke – müsse weiter möglich sein, ohne sich dem Verdacht des Antisemitismus auszusetzen, mahnten die Wissenschaftler in einem Gastkommentar für die Wiener Zeitung „Die Presse“ (Dienstag).
Im Kampf gegen Antisemitismus reicht es laut Schwarz-Friesel nicht, entsprechende Äußerungen meist eher pflichtschuldig zu verurteilen. „Die Floskelkultur ohne Konsequenzen ist das Hauptproblem“, sagte die Forscherin. Nötig seien unter anderem eine ehrliche, offene Debatte und das Ende der Doppelmoral. Judenhass sei in seiner Qualität nicht mit anderen Vorurteilen vergleichbar. „Der Antisemitismus ist die Schattenseite der europäischen Kultur.“ (dpa/so)
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