Plötzlich Geisterstadt – Codogno im Griff des Virus aus China
Geschlossene Geschäfte und Restaurants, eine für einen Samstagabend ungewöhnliche Stille, kaum ein Mensch auf der Straße: Codogno, die 60 Kilometer von Mailand entfernte Kleinstadt mit ihren rund 15.000 Einwohnern, ist Opfer des Coronavirus aus China geworden. „Das ist eine Geisterstadt, die Menschen haben sich verbarrikadiert, es ist schrecklich“, sagt Paola, die sich als eine der wenigen nach draußen gewagt hat.
„Es ist unglaublich: Jetzt ist das China, das wir im Fernsehen sehen, bei uns“, sagt die Inhaberin einer Bäckerei, bevor sie ihren Laden schließt. Italien ist das erste europäische Land, in dem Einheimische an dem Virus gestorben sind und – mit inzwischen mehr als 130 Fällen – das Land mit den meisten Infizierten in Europa. Viele von ihnen stammen aus Codogno in der nördlichen Region Lombardei.
Ein 38 Jahre alter Wissenschaftler der Firma Unilever liegt auf der Intensivstation, mehrere weitere Bewohner des Ortes haben sich offenbar bei einem Treffen in der Kneipe bei ihm angesteckt. Wer aber das Virus nach Italien eingeschleppt hat, ist noch unklar.
Codogno ergriff von selbst drastische Maßnahmen
In einem Dorf in der Nähe von Codogno starb eine 77-jährige Italienerin. Ebenso wie ein 78-jähriger Maurer aus einem Dorf in der Nachbarregion Venetien war sie ins Krankenhaus eingeliefert und dort positiv auf den Erreger der neuen Lungenkrankheit Covid-19 getestet worden. Wo sich die beiden Todesopfer infizierten, blieb ebenfalls zunächst rätselhaft: Beide hatte nach Angaben der Behörden keinen Kontakt mit Rückkehrern aus China.
Noch bevor Ministerpräsident Giuseppe Conte am Samstagabend elf Städte im Norden Italiens in die Isolation schickte, hatten Codogno und andere Orte bereits selbst drastische Schutzmaßnahmen ergriffen. Der Bahnhof von Codogno blieb bereits tagsüber geschlossen, nur die Lautsprecher warnten unbeirrt weiter vor durchfahrenden Zügen.
Im Ortskern waren alle Läden und Kneipen verrammelt. Gegen 20.00 Uhr funktionierten nur noch ein Automat für Zigaretten und ein weiterer für Getränke und Snacks. Vor dem Zigarettenautomat stehen zwei Paare – sie gehen auf Abstand voneinander.
Kaum einer trägt bisher in Codogno eine Atemschutzmaske – Apotheke hat keine mehr
Die Straßen sind leer, die wenigen, die sich noch hinaustrauen, müssen mit ihren Hunden Gassi gehen oder zu einer der wenigen Apotheken, die geöffnet haben. Kaum einer trägt eine Atemschutzmaske. „Die Leute kommen zu uns, um ihre gewöhnlichen Medikamente zu holen, und dabei fragen sie auch nach Schutzmasken“, erzählt Rosa Cavalli, die Besitzerin einer Apotheke im Zentrum von Codogno. „Leider haben wir keine mehr, weil sie vorwiegend aus China kommen und dort dringender gebraucht werden“. Die meisten Kunden griffen stattdessen dann zu Desinfektionsmitteln.
Auch die Apothekerin hat Angst vor dem Virus. Doch unterkriegen lässt sie sich deshalb nicht: „Wir drücken die Daumen und hoffen, dass alles gut ausgeht“, sagt sie. Ihren Kunden rät sie, sich sofort bei den Rettungsdiensten zu melden, sollten sie sich krank fühlen. „Wenn sie erst ins Krankenhaus gehen, wenn ihr Zustand ernst ist, wird alles noch komplizierter“.
Inzwischen hat sich ein Paar vor dem Snack-Automaten eingefunden. Die Kellnerin Erica, deren Gaststätte für mindestens zwei Wochen dicht gemacht hat, sorgt sich, dass die Supermärkte ebenfalls geschlossen bleiben und die Lebensmittel knapp werden könnten. Sie befürchte, sich während ihrer Arbeit schon angesteckt zu haben, sagt die junge Frau.
Auch ihre Familie sei in Sorge. „Wir bleiben alle zu Hause.“ „In solchen Situationen wird man schnell panisch“, sagt Erica. „Doch wir versuchen, die Ruhe zu bewahren.“
Casalpusterlengo: Die Nerven liegen blank
Während die meisten Bewohner von Codogno am Samstag noch Ruhe bewahrten, sah die Lage nach Inkrafttreten der Quarantäne-Maßnahmen einen Tag später anders aus. Besonders im zehn Autominuten entfernten Casalpusterlengo, dem Sitz des Unilever-Werks von „Patient Nr.1“, liegen die Nerven am Sonntag blank.
Vor einem Supermarkt warten dutzende Menschen auf Einlass. Sie würden nur in Gruppen à 40 Kunden eingelassen, sagt ihnen ein Manager. „Jeder kommt dran, wir wollen nur Chaos vermeiden und für ausreichenden Schutz sorgen“, versucht er zu beruhigen.
„Das ist unmenschlich“, ereifert sich daraufhin ein Kunde. „Sich um vier belegte Brötchen prügeln zu müssen, ist einfach widerlich.“ „Ich habe große Angst“, sagt Emanuela, eine Krankenschwester aus der Region, während sie darauf wartet, an die Reihe zu kommen. „Die Situation ist ganz schön belastend.“
Obwohl Codogno und Casalpusterlengo von den Abschottungsmaßnahmen der Regierung betroffen sind, fahren die Autos am Sonntag zunächst noch ungehindert aus den Orten heraus und hinein. Drei Polizeiwagen stehen am Eingang von Codogno. „Wir richten gerade die ersten Kontrollpunkte für die Sperrzonen ein“, sagt die Leiterin des Polizeiteams.
Sie und ihre Kollegen wurden zur Verstärkung aus Bologna, Turin und Genua abberufen, berichtet die junge Frau. „Wir sind von der Kriminalpolizei, sind also mit einer Situation wie hier normalerweise gar nicht befasst.“
(afp/ks)
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