Frankreich: 1063 Kirchen geschändet – Bischofsvikar: „Gelbwesten geben schlechtes Beispiel“
Der Brand in der weltberühmten Kathedrale zu Notre-Dame hat, obwohl in seinem Fall nach bisherigem Ermittlungsstand keine erhärteten Verdachtsmomente in Richtung Vorsatztat gehen, ein bislang weitgehend unbeachtet gebliebenes Thema in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt: die zunehmende Anzahl an Angriffen auf Gotteshäuser in Frankreich.
Die Katholische Kirche selbst hatte sich in der Öffentlichkeit selten und sehr zurückhaltend über die Vorfälle geäußert, der französische Inlandsgeheimdienst hingegen hat im Kern bestätigt, was christliche Nachrichten in ganz Europa und den USA mehrfach schon angedeutet hatten: Allein im Vorjahr kam es zu 1063 Akten von Vandalismus oder Brandstiftung in französischen Kirchen oder auf Friedhöfen.
Die Tathandlungen reichen vom Aufbrechen von Hostienschreinen über die Zerstörungen von Statuen bis hin zum Schmieren von Exkrementen an Wände oder in Altarräume.
Gegenüber „Vatican News“ schilderte der Bischofsvikar von Straßburg, Didier Muntzinger, einen Fall, der sich in seiner eigenen Pfarre, der Église Saint-Louis zugetragen hatte. Schüler im Alter zwischen 12 und 15 Jahren hatten zunächst in der Kirche geraucht und hinter den Altar uriniert, dann hatten Unbekannte den Inhalt von Feuerlöschern auf den Kirchenbänken entleert, Wachs auf dem Sandsteinboden vergossen und eine Josephs-Statue umgeworfen.
Wahrscheinlich keine Vorsatztat in Saint-Sulpice
Die Jugendlichen konnten gestellt werden und gestanden, den Vandalismus verübt zu haben. Sie gaben selbst an, nicht zu wissen, was ein Altar oder ein Tabernakel sei. Sie hätten sich „ausgetobt wie auf einem Spielplatz“. Auch der Brand in der Kathedrale von Saint-Alaoin in Lavaur im Südwesten Frankreichs soll auf eine Mutprobe zweier Jugendlicher zurückgehen, im Zuge derer eine Kerze umstürzte und den Altar in Brand setzte. Der folgenschwere Brand in der Kirche zu Saint-Sulpice im März, der europaweit für Entsetzen in christlichen Gemeinden sorgte, brach Berichten zufolge aus, nachdem Obdachlose dort Kleider verbrannten.
Im Regelfall, so Muntzinger, wüssten die Betreffenden aber sehr wohl, was sie täten, und es sei von absichtlichen Handlungen auszugehen – wie etwa im Fall der Kotschmierereien in Notre-Dame-des-Enfants in Nîmes. Im elsässischen Reichstett seien erst jüngst Satanssymbole an die Außenwand geschmiert und ein Kirchenfenster eingeschlagen worden. Der aus Kamerun stammende Priester der Gemeinde, Pater Gabriel Tchonang, erklärt gegenüber der „Welt“ fassungslos:
Wir leben in einer Gesellschaft, die das Christentum abgeschafft hat.“
Die Übergriffe richteten sich nicht nur gegen christliche Einrichtungen. In Relation zur Anzahl der religiösen Stätten der jeweiligen Religionen seien solche des Judentums und des Islam in ähnlichem Ausmaß von Zerstörungswut und Hass betroffen. Bischofsvikar Muntzinger spricht von „Antisemitismus, Rassismus und Christianophobie“, die sich in der Region breitmachten. In jüngster Zeit seien unter anderem Friedhöfe in Quatzenheim und weiter südlich in der Gemeinde Saint-Julien-de-Cassagnas geschändet worden. Unter anderem seien Hakenkreuze auf Grabsteine geschmiert worden.
„Proteste zeigen, was man alles folgenlos zerstören kann“
Ohne einen kausalen Zusammenhang zu behaupten, argwöhnt Muntzinger, die Ausschreitungen am Rande der „Gelbwesten“-Proteste in französischen Städten würden Jugendlichen ein schlechtes Beispiel liefern. Seit mehr als drei Monaten sähen Jugendliche quasi täglich im Fernsehen, was man alles kaputt machen könne, ohne erwischt und dafür bestraft zu werden.
In vielen Fällen konnten bis dato keine Tatverdächtigen ermittelt werden. Die wenigsten Kirchen oder Friedhöfe sind mit Überwachungskameras ausgestattet. Dem katholischen Selbstverständnis entsprechend sind die Kirchenräumlichkeiten auch nicht verschlossen: Im Unterschied zu protestantischen Gotteshäusern, die der Pastor bei Bedarf auch abschließen kann, um sich dem häuslichen Familienleben zu widmen, werden vom zölibatär lebenden katholischen Priester die jederzeitige Verfügbarkeit im Pfarrhaus und offene Kirchenräumlichkeiten erwartet.
Offiziellen Zahlen des Innenministeriums für 2018 zufolge gab es 1063 Übergriffe auf christliche Einrichtungen. Etwa 700 davon standen im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten wie Diebstählen, in etwa 100 Fällen wurde Gewalt gegen das Inventar von Gotteshäusern ausgeübt. Dazu kamen 541 mutmaßlich antisemitisch motivierte Akte (81 im Zusammenhang mit Gewaltdelikten, 102 mit Vermögensdelikten) und 100 offenbar anti-muslimisch motivierte.
Zahl der Übergriffe in den ersten Monaten des Jahres weiter angestiegen
Ein Rückgang der Anzahl der Vorfälle ist nach derzeitigem Stand auch für dieses Jahr nicht zu erwarten. Allein im Februar 2019 soll es in ganz Frankreich 47 dokumentierte Schändungen von Kirchen und religiösen Stätten gegeben haben. Die Beobachtungsstelle von Intoleranz und Diskriminierung gegen Christen in Europa (OIDACE) spricht von einer Zunahme von Angriffen insbesondere gegen katholische Kirchen in den ersten beiden Monaten des Jahres um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die Direktorin der Vereinigung, Ellen Fantini, erklärte gegenüber „Newsweek“, dass die meisten Vorfälle dieser Art ungeklärt blieben und auch die Motive der Täter. Sie spricht von einer „steigenden Feindseligkeit gegen die Kirche und ihre Symbole“ und dass diese Akte der Kirchenschändung eine stärkere persönliche Note verrieten als bloße Sprayereien an Außenwände.
Die Hasskriminalität gegen christliche Einrichtungen kommt offenbar aus unterschiedlichen Richtungen. Radikal-islamische Terroristen hatten bereits mehrfach Anschläge auf christliche Einrichtungen oder Veranstaltungen mit christlichen Bezügen angedroht und zum Teil auch durchgeführt. Erst vor wenigen Monaten gab es bei einem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt von Straßburg mehrere Tote. Kürzlich verurteilte ein französisches Gericht einen IS-Sympathisanten zu mehreren Jahren Haft, der vor drei Jahren einen Gaskanister-Anschlag auf die Kathedrale von Notre Dame geplant hatte.
Innenminister will „alle Täter finden und bestrafen“
Dem Ministerium zufolge sei die Zahl der anti-christlichen Übergriffe gegenüber dem Jahr zuvor auf etwa gleicher Höhe geblieben, die auf muslimische Einrichtungen auf etwa das Level von 2010 zurückgegangen und die auf jüdische Einrichtungen weiter angewachsen. Innenminister Christophe Castaner verurteilte in einem Statement Hassattacken gegen religiöse Einrichtungen in jedweder Form und gelobte Entschlossenheit:
„Hass hat in unserer Republik keinen Platz. Wir sind dazu entschlossen, alle Menschen in Frankreich zu schützen, den Säkularismus zu schützen, die Freiheit, nicht zu glauben, ebenso wie die Freiheit zu glauben, und das in vollständiger Sicherheit. Die Zahlen zeigen, dass wir die Wachsamkeit nicht verringern dürfen. Ob antisemitisch, islamophob, antichristlich, rassistisch oder fremdenfeindlich: Es gibt keine geringfügige Attacke, keinen geringfügigen Übergriff. Nichts wird toleriert: Jeder Schuldige wird gefunden und verurteilt werden.“
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