Zwischen Handlungsfähigkeit und Selbstentmachtung
Am Tag der Beratungen im Bundestag über das Gesetz zum Epidemie-Notstand gibt es erste Lichtblicke. Erstmals seit Feststellung des Coronavirus in Deutschland hat die Zahl der Geheilten am gestrigen Dienstag (24.3.) einen deutlichen Sprung nach oben gemacht. Allein an diesem Tag betrug die Zahl der genesenen Infizierten 2837 Personen. Tags zuvor waren es 187 gewesen. Insgesamt haben bislang 3540 die Infektion überstanden.
Die Zahl der Toten stieg gestern allerdings auch auf 181. Jene der Neuinfektionen war mit 3935 niedriger als am 20. und am 23.3., jedoch ist sie damit nach wie vor höher als an den übrigen Tagen der Vorwoche. Die Zahl der aktiven Fälle stieg immerhin nur noch von 28 480 auf 29 542.
Obwohl diese Entwicklung einen ersten Schritt zu einer Verflachung der Ausbreitungskurve darstellen könnte, sollen Bundestag und Bundesrat noch im Verlaufe dieser Woche das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegte „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ auf den Weg bringen.
Handlungsfähigkeit in Zeiten von Epidemien erhalten
Dieses soll einige Regelungen des geltenden Infektionsschutzgesetzes abändern. Das Gesetz war in die Kritik geraten, weil es auch in Fällen wie der Coronakrise den lokalen Gesundheitsämtern die Hauptlast der Verantwortung für weitreichende Entscheidungen aufbürdet und eine bundesweite Koordination von Maßnahmen erschwert.
Die nun geplante Gesetzesnovelle soll es der Bundesregierung ermöglichen, schneller auf Herausforderungen zu reagieren, wie sie das Land derzeit erlebt. Dies soll gleichzeitig die Sorgen der Bevölkerung lindern, die fürchtet, mit den Folgen der Pandemie allein gelassen zu werden.
Neben dem Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates soll das Paket auch existenziellen Sorgen der Bürger und vor allem der Unternehmer entgegenwirken, die durch den Stillstand erheblich in ihrer Geschäftstätigkeit eingeschränkt werden. Unter anderem soll es Soforthilfen für Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten geben, für die Unterstützung von Unternehmen mit 250 oder mehr Mitarbeitern soll ein Stabilisierungsfonds geschaffen werden.
Bevölkerung steht mehrheitlich hinter Kernpunkten des Gesetzes
Die Bevölkerung steht mit zum Teil deutlicher Mehrheit hinter den geplanten Maßnahmen. Wie das „Handelsblatt“ schreibt, zeigen sich 57 Prozent von 1006 Teilnehmern einer Infratest-dimap-Umfrage vom Montag (23.3.) mit dem Krisenmanagement der Regierung zufrieden, 18 Prozent sind sogar sehr zufrieden. Die derzeit geltenden Kontaktverbote befürworten sogar 95 Prozent, 75 Prozent finden, die derzeit auf Länderebene geltenden Ausgangsbeschränkungen sollten für ganz Deutschland gelten.
Es deutet vieles darauf hin, dass dieses Stimmungsbild vor allem dadurch geprägt ist, dass das Coronavirus von den Bürgern als akute, potenziell tödliche Bedrohung ihrer selbst und ihrer Angehörigen wahrgenommen wird. Der Staatsmacht erweiterte Befugnisse zuzubilligen, solange die Bedrohungssituation aufrecht ist, erscheint daher als gerechtfertigt. Nimmt das Bedrohungsempfinden ab und dauern die Einschränkungen über längere Zeit an, ohne ein Ende erkennen zu lassen, ist damit zu rechnen, dass die Zustimmung mehr oder minder deutlich abnehmen und eine Rückkehr zur Normalität gefordert werden wird.
Ob dies jedoch dann noch so einfach sein wird, bezweifeln viele Kritiker, die jetzt schon Bedenken äußern ob der Abstriche an Grund- und Freiheitsrechten, auf die sich Bürger im Zeichen der Corona-Bekämpfung einstellen müssen.
Nur Parlament soll Notstand erklären dürfen
De facto ist es derzeit für Privatpersonen ohne entsprechende Sondergenehmigung nicht möglich, das Land zu verlassen. Reisen sind untersagt oder eingeschränkt, Versammlungen verboten, Kontakte auf eine Person reduziert, die Freiheit der Berufsausübung ist eingeschränkt, auch Informations- und Pressefreiheit sind nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet.
Nun sollen auch die Parlamente, Gremien und Ausschüsse, deren Aufgabe es wäre, das Gebaren der Regierung zu kontrollieren, in ihren Befugnissen eingeschränkt werden. Obwohl Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble noch vor zwei Wochen versichert hatte, den Parlamentsbetrieb aufrechtzuerhalten, werden vier von fünf geplanten Sitzungstagen dieser Woche nicht stattfinden, am Mittwoch sollten lediglich die geplanten Notstandsmaßnahmen abgesegnet und ein Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro zur Bewältigung der Krise gebilligt werden.
Infolge erster kritischer Stimmen überarbeitete das Gesundheitsministerium den Entwurf und entschärfte ihn dahingehend, dass künftig allein der Bundestag einen Epidemie-Notstand ausrufen könne, der zudem maximal auf ein Jahr befristet werden könne. Ein einmal ausgerufener Notstand kann auch jederzeit vorzeitig für beendet erklärt werden.
Minister kündigt Bericht an
Das Gesundheitsministerium darf in dieser Zeit unter erleichterten Voraussetzungen Güter beschlagnahmen, in Produktionsprozesse eingreifen oder medizinisches Personal versetzen. Im Gegenzug stellte Minister Spahn laut Handelsblatt in Aussicht, Maßnahmen, die in der Zeit des Notstands getroffen würden, transparent aufzuarbeiten. „Direkt nach der Krise werden wir dem Bundestag einen umfassenden Bericht vorlegen, was gesetzlich und organisatorisch dauerhaft für künftige Krisen dieser Art geändert werden muss.“
Auch die geplante Sammlung von Mobiltelefondaten und Bewegungsprofilen, um Kontaktpersonen ausfindig zu machen, wird es vorerst nicht geben.
Verfassungsexperten sind sich dennoch nach wie vor nicht sicher, ob alle Vorhaben, die im Gesetz Ausdruck finden, auch einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten würden. Der Bund soll, so die Vorstellung Spahns, mehr Befugnisse erhalten, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. Auch der grenzüberschreitende Reiseverkehr sollte bundeseinheitlich gestaltet werden können.
„Erhebliche Eingriffe in Grundrechte“ im Entwurf
Bedenken erregt aber beispielsweise, dass ein Bundesministerium per Verordnung in Grundrechte eingreifen könnte. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber, warnt immer noch, der Entwurf enthalte „erhebliche Eingriffe in Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger“, deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit „zweifelhaft“ sei.
Innenstaatssekretär Stephan Mayer gibt hingegen zu bedenken, dass Deutschland durch die Krise „in bisher nie gekannter Weise gefordert“ sei, auch „mit Blick auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“. Gegenüber dem Handelsblatt erklärte Mayer: „Kern unseres Bestrebens ist es, die Verlangsamung des Infektionsgeschehens zu erreichen, damit unser Gesundheitssystem diesen außerordentlichen Stresstest bestehen kann.“
Die aktuellen Beschränkungen mögen „gravierende Einschnitte in die persönlichen Freizügigkeits- und Versammlungsrechte“ darstellen, die Restriktionen seien jedoch „verhältnismäßig“ und „zeitlich limitiert“.
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