Wie die Abgeordneten bei Scholz‘ Vertrauensfrage abstimmen wollen
Unter Berufung auf Artikel 68 des Grundgesetzes wird Bundeskanzler Olaf Scholz die Abgeordneten heute im Parlament auffordern, ihm das Vertrauen auszusprechen. Erreichen will er das Gegenteil.
Ab 11 Uhr kommen im Bundestag zunächst die Fraktionen separat zusammen, um sich auf die Abstimmung vorzubereiten. Um 13 Uhr beginnt die Plenarsitzung. Scholz wird seine Beweggründe für die Vertrauensfrage in einer etwa 25-minütigen Rede begründen. Es schließt sich eine zweistündige Aussprache an, in der Abgeordnete aller acht im Bundestag vertretenen Parteien zu Wort kommen werden. Anschließend wird namentlich abgestimmt.
Wenn Scholz wie beabsichtigt keine Mehrheit im Bundestag bekommt, wird er nach der Sitzung ins Schloss Bellevue fahren und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Dann fehlt nur noch dessen Zustimmung.
Wie lautet der Antrag von Olaf Scholz?
Scholz hat die Vertrauensfrage am 11. Dezember bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas fristgerecht mehr als 48 Stunden vor der Abstimmung beantragt. Das von ihm unterzeichnete Schreiben besteht aus zwei Sätzen: „Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin, gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes stelle ich den Antrag, mir das Vertrauen auszusprechen. Ich beabsichtige, vor der Abstimmung am Montag, dem 16. Dezember 2024, hierzu eine Erklärung abzugeben.“
Scholz hatte nach dem Bruch der Ampel-Koalition am 6. November Neuwahlen angekündigt. Er regiert nach dem Ausscheiden der FDP derzeit mit einer rot-grünen Minderheitskoalition.
Als Termin für die vorgezogenen Bundestagswahlen ist mit Steinmeier bereits der 23. Februar vereinbart. Er hat nach dem Bundestagsbeschluss bis zu 21 Tage Zeit, die Auflösung des Parlaments zu prüfen. Entscheidet er sich für Neuwahlen, müssen diese danach spätestens binnen 60 Tagen stattfinden.
Was bedeutet „namentliche Abstimmung“?
Das heißt, das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten wird etwa eine Stunde nach der mündlichen Verkündung des Ergebnisses durch Bundestagspräsidentin Bas veröffentlicht. Dann wird man sehen, ob es sogenannte Abweichler gibt, also Abgeordnete, die gegen die Linie der eigenen Fraktion oder Gruppe gestimmt haben.
Ist sicher, dass Scholz keine Mehrheit bekommt?
Das gilt als sicher. Dem Bundestag gehören 733 Abgeordnete an. Um das Vertrauen des Parlaments zu bekommen, müsste Scholz 367 Stimmen erhalten – die absolute Mehrheit aller Parlamentarier, auch „Kanzlermehrheit“ genannt.
Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler das Vertrauen aussprechen.
Die Grünen-Fraktionsspitze hat ihren 117 Parlamentariern eine Enthaltung empfohlen. „Denn um zu einer Neuwahl des Deutschen Bundestags zu kommen, muss die Vertrauensfrage scheitern. Mit unserer Enthaltung können wir dies sicherstellen und damit Neuwahlen ermöglichen“, erklärt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic.
Die Grünen wollen damit ausschließen, dass die AfD die Neuwahl-Pläne der Koalition durchkreuzt. Würden die Grünen für Scholz stimmen, wären das zusammen schon 324 Stimmen, also nur 43 weniger als die Kanzlermehrheit. Dann hätte die AfD mit ihren 76 Abgeordneten Scholz rein rechnerisch zu einer Mehrheit verhelfen können. Das gilt mit der Entscheidung der Grünen nun als ausgeschlossen.
Wie will die AfD abstimmen?
AfD-Politikerin Beatrix von Storch kündigte an, die AfD werde gegen Scholz bei der Vertrauensfrage stimmen. „Keinesfalls“ vertraue die AfD Olaf Scholz, sagte sie dem Nachrichtenmagazin „Politico“.
„Wir haben die ganze Zeit dagegen argumentiert. Wir haben die ganze Zeit darauf hingewirkt, dass diese Kanzlerschaft zu Ende geht.“ Mit einer Ausnahme: Jürgen Pohl, der angekündigt hatte, für Olaf Scholz zu stimmen, um Friedrich Merz zu verhindern. Pohl vertrete nicht die Parteilinie, so von Storch. „Die AfD steht ansonsten sehr klar und wird dem Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen.“ Sie fügte hinzu: „Das ist eine strategische Überlegung, die die meisten nicht teilen.“
Was wäre, wenn Scholz eine Mehrheit bekäme?
Theoretisch könnte Scholz mit seiner Minderheitsregierung dann einfach bis zum eigentlich vorgesehenen Wahltermin am 28. September 2025 weiterregieren. Oder er stellt die Vertrauensfrage ein weiteres Mal, in der Hoffnung auf ein anderes Abstimmungsverhalten.
Ist der Bundestag nach der Auflösung noch handlungsfähig?
Ja. Er bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Bundestags mit all seinen Rechten und Pflichten bestehen. Das Parlament kann jederzeit wieder zusammentreten, es kann weiter Gesetze beschließen, auch seine Gremien wie Untersuchungsausschüsse bestehen bis zum Ende der Wahlperiode fort. Dieses Ende ist mit dem ersten Zusammentreten des neu gewählten Bundestags erreicht.
Der Kanzler und seine Regierung bleiben im Amt – und zwar im vollen Umfang und nicht nur geschäftsführend. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestags höchstens 30 Tage nach der Wahl endet laut Artikel 69 Grundgesetz das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition noch nicht abgeschlossen sind, kann der Bundespräsident die alte Regierung bitten, die Amtsgeschäfte bis zur Vereidigung der neuen weiterzuführen.
Gibt es nach der Vertrauensfrage noch neue Gesetze im Bundestag?
Scholz wirbt für die Verabschiedung mehrerer Gesetzesvorhaben mit finanziellen Entlastungen noch vor Weihnachten. „Ein Schulterschluss der demokratischen Mitte in diesen wichtigen Fragen wäre ein starkes Zeichen“, sagte der SPD-Politiker.
Die Unionsfraktion will nach der Vertrauensfrage von Olaf Scholz nicht mehr mit SPD und Grünen über gemeinsame Gesetzesbeschlüsse im Bundestag verhandeln. „Olaf Scholz hatte drei Jahre Zeit und ist mit seiner Ampel krachend gescheitert“, sagte CDU/CSU-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.
„Wir beschaffen in den letzten acht Wochen der Legislatur nicht die Mehrheiten für Vorhaben, die klar eine rot-grüne Handschrift tragen.“ Frei hob hervor, dass die Union am 23. Februar „einen Politikwechsel herbeiführen“ wolle. „Wir werden deshalb nach der Vertrauensfrage in keine großen Verhandlungen einsteigen, sondern mit Rot-Grün nur über Vorhaben sprechen, die dringlich und zwingend geregelt werden müssen“, sagte er dem RND.
Als eine der Ausnahmen nannte der Unionspolitiker das Gesetz zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor politischen Einflüssen. Dieses „ist abgemacht und wird kommen“, so Frei.
Einem Gesetz zum Ausgleich der kalten Progression bei der Einkommensteuer und für mehr Kindergeld will die FDP zustimmen – es könnte dann aber im Bundesrat an den unionsgeführten Ländern scheitern. Auch ein Gesetz zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxids (CO2) könnte noch kommen – hier haben Union und FDP Zustimmung signalisiert.
„Wir haben den Abbau der kalten Progression immer gefordert und in unserer Regierungszeit auch umgesetzt, um schleichende Steuererhöhungen zu verhindern“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Deshalb werde man „einem Gesetzentwurf der gescheiterten Ampel, wenn er sich genau darauf bezieht, zustimmen“.
SPD-Chefin Saskia Esken warnte die Union vor einer Blockade drängender Gesetze bis zur vorgezogenen Bundestagswahl.
Führt die Auflösung des Bundestags zu außenpolitischen Problemen?
Günter Verheugen (SPD) bezeichnet die vorzeitige Auflösung der Bundesregierung als außenpolitisches Problem. „Für Europa hat dieser Vorgang eine grundlegende Bedeutung“, sagte Verheugen dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.
„Bisher galt Deutschland innerhalb der Europäischen Union und ihrer Vorläufer als Hort politischer Stabilität. Wenn das sich ändert, hat ganz Europa ein Problem. Und international kann die Neuwahl in kaum einer ungünstigeren Zeit kommen.“
Im Januar übernehme Donald Trump erneut die US-Präsidentschaft. „Dass die EU-Führungsnationen Deutschland und Frankreich gerade vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, führt zu einer Starre, die nicht hilfreich ist“, sagte Verheugen.
(dpa/dts/afp/red)
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