Vor heutigem Kabinettsbeschluss: Planwirtschaftliche Krankenhausreform aus dem Mikrokosmos Berlin
Heute befasst sich das Bundeskabinett mit den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für eine umfassende Neuordnung des Krankenhauswesens. Die Reform soll die Finanzierung neu regeln und wirtschaftlichen Druck von den Krankenhäusern nehmen.
Lauterbach erhofft sich davon den Erhalt einer flächendeckenden medizinischen Versorgung, einen Abbau von Bürokratie und eine bessere medizinische Versorgung. Lauterbach stellt die Details in einer Pressekonferenz vor (12:30 Uhr).
Kliniken, Ärzteverbände und Krankenkassen haben die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scharf kritisiert und das Bundeskabinett aufgefordert, dem Vorhaben am Mittwoch nicht zuzustimmen. Auch Patientenschützer laufen Sturm.
Fallpauschalen beenden, Spezialisierung der Kliniken
Die geplante Reform soll die Finanzierung der Kliniken durch eine Abkehr vom System der Fallpauschalen sichern – sie werden dafür nicht mehr nur für einzelne Behandlungen bezahlt, sondern bekommen eine sogenannte Vorhaltepauschale dafür, dass sie bestimmte Behandlungen anbieten. Zudem sollen sich die Kliniken künftig auf jene Behandlungen spezialisieren, die sie besonders gut beherrschen.
„Wenn das Gesetz so umgesetzt wird, führt es zu langen Wartelisten, Fehlanreizen und mehr Bürokratie“, warnte der Chef der Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Zudem sei mit Verfassungsklagen von Bundesländern, Krankenkassen und niedergelassenen Ärzte zu rechnen.
Die bisherigen Reformpläne bedrohen die Stabilität der Krankenhausversorgung in Deutschland.“
Nötig sei eine genaue Analyse der Auswirkungen der Reform und eine kurzfristig wirksame Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage der Krankenhäuser, sagte Gaß. „All das macht deutlich, dass das Kabinett diesem Entwurf aus fachlichen Gründen die Zustimmung nur erteilen kann, wenn er grundlegend überarbeitet wurde“, so der Verbandschef.
Krankenhausgesellschaft: Einstieg in die Planwirtschaft
Thomas Lemke, Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, erwartet, dass die Krankenhausreform ihre Ziele nicht erfüllen wird. „Die Ziele, die diese Reform mit sich gebracht hat: Es darf nicht mehr ums Geld gehen, Entökonomisierung, weniger Bürokratie, mehr Qualität und dafür zu sorgen, dass die wenigen Menschen, die wir haben, besser eingesetzt werden, all diese Ziele wird diese Reform nicht erfüllen“, sagte Lemke am Mittwoch den Sendern RTL und ntv.
Die Krankenhausgesellschaft wirft Lauterbach vor, mit der Reform ein „planwirtschaftliches“ System im Krankenhaussektor einzuführen. „Die eigentliche Agenda hinter dieser Reform ist, dass Herr Lauterbach einen Systemwechsel plant, von einer zentralistisch planwirtschaftlichen Systemlogik auszugehen, von Berlin aus zentral zu organisieren im Mikrokosmos, was welche Klinik in jeder Region dieses Landes zu tun und zu leisten hat.“
Lemke weiter: „Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich auf der Insel Rügen bin, im Schwarzwald oder in einem urbanen Raum, wie in München oder in Berlin. Und zu glauben, mit kleinsteiligen Regelungen für alle gleiche Versorgung zu organisieren, wird scheitern. Und alle planwirtschaftlichen Systeme, gucken sie nach England etc., sind gescheitert. Sie führen zu Unterversorgung und zu Rationierung.“
Zudem werde die Reform den Fachkräftemangel befördern. „Grundsätzlich ist die Logik dieses Gesetzes und auch derjenigen, die das konzipiert haben, zu sagen: weniger Kliniken. Und dann verteile ich die Menschen, die heute in den anderen Kliniken sind, auf die dann Übriggebliebenen.“
Diese Rechnung werde ohne die Menschen gemacht, so Lemke. „Die Menschen entscheiden doch nicht, was Herr Lauterbach in Berlin möchte, sondern die sagen: Ich habe ein persönliches Lebensumfeld, ein Arbeitsumfeld.“ Heutige Insolvenzen zeigten bereits, wo sich die Menschen hinbewegen. „Viele verlassen das System, insbesondere Pflegekräfte. Ärzte weniger, die sind mobiler. Pflegekräfte verlassen das System und gehen nicht in das Nachbarkrankenhaus 30 Kilometer entfernt.“
Marburger Bund: Etikettenschwindel
Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, beklagte, bei näherer Betrachtung entpuppe sich die Reform als Etikettenschwindel. „Das ist nicht die Entlastung von ökonomischem Druck, die wir in den Krankenhäusern brauchen“, kritisierte sie.
Eine Reform, die bewusst darauf angelegt sei, die Zahl der Kliniken zu reduzieren, habe komplexe Folgen für die Patientenversorgung, warnte sie.
„Es ist völlig inakzeptabel, dass ein solcher Großversuch ohne flächendeckendes Versorgungskonzept, ohne vorherige Bedarfsanalyse und ohne Folgenabschätzung auf den Weg gebracht werden soll“, so die Chefin des Marburger Bundes, der insbesondere Krankenhausärzte vertritt.
Barmer: Es droht massive Kostenlawine für gesetzlich Versicherte
Der Chef der zweitgrößten Krankenkasse Barmer, Christoph Straub, warnte vor hohen Kosten für die gesetzlich Versicherten. „Sollte das Bundeskabinett dem Entwurf eines Krankenhausreformgesetzes in dieser Form zustimmen, droht den Beitragszahlern eine massive Kostenlawine“, sagte Straub dem RND.
So sollten innerhalb der nächsten zehn Jahre bis zu 25 Milliarden Euro aus Beitragsgeldern für den Umbau der Krankenhauslandschaft aufgebracht werden, obwohl die Investitionsfinanzierung Kernaufgabe der Bundesländer sei.
„Die im Raum stehende Kliniksteuer zu Lasten der Versicherten muss zurückgenommen werden“, forderte der Barmer-Chef. „Die Belastungsgrenze der beitragszahlenden Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist angesichts chronisch steigender Kosten im Gesundheitswesen ohnehin längst erreicht“, mahnte er.
Überversorgung in Ballungszentren, Unterversorgung auf dem Land
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat die geplante Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisiert und eine Bestandsgarantie für 200 Kliniken gefordert.
„Die Krankenhausreform beendet nicht die Überversorgung in Ballungszentren und die sich immer mehr zuspitzende Unterversorgung auf dem Land“, sagte Stiftungs-Chef Eugen Brysch der „Rheinischen Post“. „Kein wirksames Konzept hat Karl Lauterbach für die schwindenden Einnahmen und steigenden Kosten der Krankenhäuser.“
Bisher hätten sich Bund und Länder nicht mal auf die erhaltenswerten Kliniken in den ländlichen Regionen verständigen können, so Brysch. „Dabei ist jetzt ein Bestandsschutz für rund 200 Häuser angezeigt.“
Strukturwandel für die Patienten überfällig
Brysch sieht in der Reform keinerlei Verbesserung für Patienten. „Leidtragende bleiben auch nach der Krankenhausreform die Patienten. Deren Bedarfe blendet der Bundesgesundheitsminister weitgehend aus.“
Die Prozesse von Aufnahme über Behandlung bis Nachsorge liefen weitgehend planlos. „Ansprechpartner haben keine Zeit, Untersuchungen und Therapien werden kurzfristig verschoben. Wartezeiten sind an der Tagesordnung. Gerade für die größte Patientengruppe der hochbetagten und pflegebedürftigen Menschen ist das verheerend“, sagte der Patientenschützer.
Er mahnte eine bessere Patientensteuerung an. „Allein mehr Geld ins System zu pumpen, wird an der Misere nichts ändern. Ein Strukturwandel und eine Patientensteuerung zum Wohle der kranken Menschen sind überfällig“, so Brysch. (dts/red)
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