Verfassungsgericht sieht keine Pandemie-Engpässe: Beschwerde von COVID-19-Risikogruppe zurückgewiesen
Welche Patienten sollen Ärzte bei medizinischen Engpässen während der Corona-Krise zuerst behandeln? Eine verbindliche Regelung wird es nicht geben - einen entsprechenden Eilantrag wies das Bundesverfassungsgericht ab.

Richter des Bundesverfassungsgerichts
Foto: Getty Images
Das Bundesverfassungsgericht will sich eingehend mit den Pflichten des Gesetzgebers in der Covid-19-Pandemie befassen. Zumindest vorerst muss der Bundestag aber keine Regelungen für die Vergabe von Krankenhausintensivplätzen im Zusammenhang mit der der Covid-19-Pandemie treffen, wie die Karlsruher Richter mit einem am Freitag veröffentlichten Beschluss (Az. 1 BvR 1541/20) zu dieser sogenannten Triage entschieden. Sie wiesen einen entsprechenden Eilantrag kranker und behinderter Menschen ab, die somit in die vom Robert Koch-Institut definierte Risikogruppe eingeordnet werden.
Die Beschwerdeführer hatten im Fall knapper Behandlungsressourcen befürchtet, aufgrund ihrer Behinderung schlechtere Behandlungsmöglichkeiten zu haben oder gar von einer lebensrettenden medizinischen Behandlung ausgeschlossen zu werden. Ihre Behinderung sei durch Beeinträchtigungen geprägt, die in der medizinischen Wahrnehmung, insbesondere in den Klinisch-Ethischen Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, als Begleiterkrankung (Komorbidität) oder Gebrechlichkeit (Frailty) angesehen würden. Diese würden die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung statistisch beeinträchtigen.
Nach den bisherigen Empfehlungen sollen aber gegebene Erfolgsaussichten gerade entscheidend sein, um medizinische Ressourcen zuzuteilen. Die Beschwerdeführer verwiesen auf die mittelbaren Ungleichbehandlung. Es drohe eine Verletzung in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz in Zusammenschau mit der völkerrechtlichen Gewährleistung in Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention. Zudem verletze dies ihre Menschenwürde und ihre Rechte auf Leben und Gesundheit. Der Gesetzgeber müsse die entsprechenden Schutzpflichten erfüllen. Vorläufig solle die Bundesregierung ein Gremium einsetzen, das die Triage verbindlich regele.
Verfassungsbeschwerde wirft Fragen auf
Hierzu erklärte nun das Bundesverfassungsgericht, dass die Verfassungsbeschwerde „nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet“ sei. Sie werfe „schwierige Fragen“ zur staatlichen Schutzpflicht auf und zur Frage, „wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reicht“.
Dies erfordere „eine eingehende Prüfung“, betonten die Karlsruher Richter. Eine einstweilige Anordnung gegen den Gesetzgeber sei aber auch schon deswegen nicht erforderlich, weil das derzeitige Infektionsgeschehen nicht erkennen lasse, dass die befürchtete Situation einer Triage bald eintrete.
Der Vorschlag, ein Gremium einzusetzen, das entsprechende Regelungen trifft, helfe den Beschwerdeführern nicht weiter. Denn ein solches Gremium wäre „nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführenden gerade ankommt“.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte die „Klarstellung“ des Bundesverfassungsgerichts. Außerparlamentarische Gremien oder Fachgesellschaften seien nicht legitimiert, „bei Versorgungsengpässen die Verteilung von Lebenschancen festzulegen“, erklärte Vorstand Eugen Brysch. Nun sei der Bundestag „in der Pflicht, ein ethisches Regelwerk zu erlassen“. (dpa/afp/sua)
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