Verfassungsgericht: „Containern“ von Lebensmitteln kann bestraft werden
Wer weggeworfene Lebensmittel aus Containern von Supermärkten mitnimmt, kann sich damit strafbar machen. Auch bei wirtschaftlich wertlosen Sachen dürfe der Gesetzgeber grundsätzlich das zivilrechtliche Eigentum schützen, erklärte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung zweier Studentinnen wegen Diebstahls nahm das Verfassungsgericht nicht zur Entscheidung an. (Az. 2 BvR 1985/19, 2 BvR 1886/19)
Die beiden Studentinnen hatten im November 2019, unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Verfassungsbeschwerde gegen ihre Verurteilung eingelegt. Aus Protest gegen Lebensmittelverschwendung hatten sie unter anderem Obst und Gemüse aus einem verschlossenen Supermarkt-Müllcontainer geholt. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck verurteilte sie deshalb im Januar 2019 wegen Diebstahls zu jeweils acht Sozialstunden sowie einer Geldstrafe von 225 Euro auf Bewährung. Das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigte dieses Urteil im Oktober.
Gegen die Beweisführung der Fachgerichte sei aus Verfassungssicht nichts einzuwenden, erklärten die Karlsruher Richter. Die Gerichte hatten unter anderem darauf verwiesen, dass der auf dem Gelände des Supermarktes abgestellte Container verschlossen gewesen sei und die Abfälle zur Übergabe an ein spezialisiertes Entsorgungsunternehmen bereitgestanden hätten. Daraus sei zu schließen, dass das Unternehmen weiterhin Eigentümer der Abfälle habe bleiben wollen.
Außerdem erklärte das Verfassungsgericht, dass der Eigentümer die Lebensmittel bewusst durch den Abfallentsorger habe vernichten lassen wollen, „um etwaige Haftungsrisiken beim Verzehr der teils abgelaufenen und möglicherweise auch verdorbenen Ware auszuschließen“. Bereits dieses Interesse des Eigentümers daran, rechtliche Streitigkeiten auszuschließen, sei im Rahmen der im Grundgesetz gewährleisteten Eigentumsfreiheit zu akzeptieren. Im Übrigen gebe es im Straf- und Strafprozessrecht hinreichende Möglichkeiten, „im Einzelfall der geringen Schuld des Täters Rechnung zu tragen“.
Grundsätzlich sei es Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht könne diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die „zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung“ gefunden hat. Bislang habe der Gesetzgeber Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte reagierte enttäuscht und appellierte an die Politik. „Die Verwertung genießbarer Lebensmittel ist angesichts der Ressourcenknappheit gesellschaftlich wünschenswert“, erklärte Vorstandsmitglied Boris Burghardt. „Wir sind weiterhin der Überzeugung, dass entsorgte Lebensmittel keinen strafrechtlichen Schutz verdienen.“ Denn das Strafrecht diene der Ahndung von sozialschädlichem Verhalten. „Nun muss die Politik gegen Lebensmittelverschwendung aktiv werden.“
„Containern“ als Mittel im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ist politisch allerdings umstritten. Im Sommer 2019 war auf der Justizministerkonferenz der Länder eine Initiative Hamburgs gescheitert, es straffrei zu stellen. Nach Angaben der GFF hängt die strafrechtliche Ahndung in den Bundesländern stark vom Einzelfall ab, etwa ob der Container auf dem Gelände des Supermarkts steht oder unverschlossen an der Straße.
Nach Angaben der Gesellschaft werden in Deutschland jährlich etwa 18 Millionen Tonnen Lebensmittel vergeudet. Bei der Vermeidung dieser Lebensmittelverschwendung gebe es jedoch noch keine klaren Vorgaben – anders als beispielsweise in Frankreich. Dort sind Supermärkte seit 2016 verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen zu spenden, bei Zuwiderhandlungen drohen Geldstrafen. (afp)
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