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Reaktionen auf Urteil

Urteil zur Wahlrechtsreform: Union und Ampel sehen sich beide als Sieger

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum neu gestalteten Wahlrecht ist zurzeit Thema Nummer eins in der innenpolitischen Debatte. Sowohl die Union als auch die Ampel sehen sich durch das Urteil bestätigt. Kritik bleibt vor allem am möglichen Wegfall von Direktmandaten.

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Viel Aufmerksamkeit hat das Bundesverfassungsgericht wegen der Urteilsverkündung zur Wahlrechtsreform.

Foto: Uli Deck/dpa

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Lesedauer: 7 Min.

Das bereits vor der offiziellen Verkündung durchgesickerte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform der Ampel beschäftigt die Innenpolitik. Im Kern haben die Karlsruher Richter zentrale Elemente der Neuregelung als zulässig erachtet. Darunter auch das Risiko, dass einige Direktmandate aufgrund der strikten Begrenzung der Zahl der Abgeordneten auf 630 unter den Tisch fallen könnten. Die strikte Orientierung der Mandatsverteilung nach dem Zweitstimmenergebnis hat das Höchstgericht nicht beanstandet.
Allerdings kommt direkt gewählten Abgeordneten weiterhin eine potenziell entscheidende Rolle zu – nämlich dann, wenn sie aufgrund der Grundmandatsregelung über Einzug oder Nichteinzug in den Bundestag entscheiden. Diese Regelung, die das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich aufrechterhalten sehen will, kommt vor allem der Linkspartei und der CSU zugute.

Wegfall der Überhangs- und Ausgleichsmandate stößt auf Zustimmung

Parteiübergreifend findet lediglich Anklang, dass mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine effektive Begrenzung der Anzahl der Bundestagsabgeordneten stattfinden kann. Es wird keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben. Bis heute ist das Parlament vor allem durch diese auf derzeit 734 Abgeordnete angewachsen.
Die Union wertet das Urteil aus Karlsruhe zum Wahlrecht als eigenen Erfolg und als „Klatsche für die Ampel“. CSU-Chef Markus Söder sah im neuen Wahlrecht einen Versuch, „politische Konkurrenten mithilfe des Wahlrechts auszuschalten“. Dieser sei nun gescheitert. Die von der Ampel durchgesetzte Regelung hat die bislang geltende Grundmandatsregelung abschaffen wollen.
Diese hatte der CSU und der Linkspartei einen Bundestagseinzug auch für den Fall gesichert, dass beide die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen. Drei Direktmandate konnten das Scheitern an der Sperrklausel bislang aufwiegen. Die Streichung dieser Regelung betrachtete Söder als „versuchte Wahlmanipulation“.

Union will Änderungen im Wahlrecht zur Koalitionsbedingung machen

In der Ampel sieht man sich jedoch ebenfalls als Sieger. SPD-Fraktionsvize Wiese wies darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht die Verkleinerung des Bundestages und strikte Begrenzung der Abgeordnetenzahl als verfassungsgemäß bewertet hat. Auch FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle betonte:
„In der entscheidenden Frage der Verkleinerung des Bundestages bestätigt das Urteil die Reform voll und ganz.“
Die Union will im Fall eines Wahlsieges jedoch eine Änderung des Wahlrechts zur Koalitionsbedingung machen. Dabei geht es ihr vor allem um die errungenen Direktmandate. Dem Ampelwahlrecht zufolge könnte eine Partei nur noch so viele gewählte Wahlkreisabgeordnete in den Bundestag entsenden können, wie ihrem Zweitstimmenanteil entspricht.
Die Konsequenz daraus wäre, dass „schwache“ Direktmandate nicht mehr berücksichtigt würden. Hätte eine Partei beispielsweise 143 Direktmandate errungen, obwohl ihr nach dem Zweitstimmenergebnis nur 122 zustünden, fielen die 21 am schwächsten abgesicherten Mandate weg. Wer seinen Wahlkreis mit 40 Prozent gewinnt, könnte von einem sicheren Einzug ausgehen. Wem hingegen 20 Prozent ausreichten, um stimmenstärkster Erststimmenbewerber zu werden, bliebe höchstwahrscheinlich unberücksichtigt.

Ampel sieht sich weitgehend bestätigt

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, äußerte, die Entscheidung des Gerichts sei zu akzeptieren. Dies gelte auch dort, wo sie Direktmandate entwerte. Allerdings sei „nicht alles, was rechtlich möglich ist, auch politisch klug“. Frei bot der Ampel neuerliche Verhandlungen über eine Reform des Wahlrechts an.
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz zeigt sich mit dem Urteil zufrieden. Auf X äußert er: „Lediglich eine Norm ist nicht verfassungskonform, der Rest ist prima.“ Die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Katrin Helling-Plahr, tritt den Behauptungen der Union über die Wahlrechtsreform entgegen:
„Das Bundesverfassungsgericht entkräftet in seinem Urteil die Mythen, welche die Union vorab über die Zweitstimmendeckung verbreitet hat.“
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht äußerte grundsätzliche Zustimmung zum Anliegen der Wahlrechtsreform. „Einen weiteren XXL-Bundestag, der immer mehr Steuergeld verschlingt, zu verhindern, war ein richtiges Anliegen“, äußerte die Abgeordnete.
„Aber der Vorschlag der Ampel war ebenso wie die Ideen dieser Regierung auf vielen Ebenen: undurchdacht und verfassungsrechtlich fragwürdig.“

Wahlkreise ohne Abgeordnete vor allem in ostdeutschen Städten zu erwarten

Bambergs CSU-Abgeordneter Thomas Silberhorn erklärte auf X, es sei „kein schlechtes Urteil, aber es bleibt ein schlechtes Wahlrecht“. Er begrüßte, dass die Richter die „Streichung der Grundmandatsklausel, um die CSU aus dem Bundestag zu drängen“, als verfassungswidrig gewertet hätten.
„Aber Wahlkreise ohne Abgeordnete schaden der Bevölkerung und unserer Demokratie.“
Der frühere Spitzenkandidat der AfD zur EU-Wahl, Maximilian Krah, nannte den nun geltenden Zustand „vollkommen intransparent, unverständlich und nach meiner Einschätzung undemokratisch“. Es sei jetzt möglich, dass der Sieger eines Wahlkreises nicht in den Bundestag einzieht, der Verlierer aber über die Liste. Vor allem in Städten wie Dresden könnten Direktmandate dauerhaft entwertet werden.

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In Dresden wurde 2021 im Wahlkreis I CDU-Kandidat Markus Reichel mit 21,1 Prozent der Erststimmen direkt gewählt, im Wahlkreis II gewann Lars Rohwer mit 18,6 Prozent.

Grundmandat kein Muss – Wahlrecht darf jedoch Fraktionsgemeinschaften nicht benachteiligen

Einige Social-Media-Nutzer weisen darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht die Grundmandatsklausel nicht als zwingende Regelung ausgewiesen hat, um Fraktionsgemeinschaften nicht zu benachteiligen. Diese solle nur bis zum Inkrafttreten einer verfassungskonformen Neuregelung in Kraft bleiben.
Es gebe demzufolge auch Alternativen; einige Nutzer bringen eine mögliche Senkung oder Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde ins Spiel. Die Hürde bezeichnete das Bundesverfassungsgericht jedoch explizit als sachgerecht. Als mögliche Option böte sich möglicherweise eine Zulassung von Listenverbindungen an, wie es in mehreren EU-Ländern (Italien) üblich ist.

Kommentare

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Gerhard Schweickhardtvor 9 Monaten

Der Wegfall eines Direktmandats ist ein eklatanter Verstoß gegen das Demokratiegebot GG Art 20.

Die Verringerung der Mandate ist diesbezüglich nachrangig.

Das Direktmandat hat eine höhere Legitimität, als auf einer Parteiliste zu stehen.

Gysi hatte das Problem im Interview aufgezeigt.

Die direkte Demokratie wird geschwächt, die Parteien werden gestärkt.

Das ist ein unguter Weg.

Capilonvor 9 Monaten

Man hätte bspw. die Grundmandatsregelung auch so gestalten können, dass nur die jeweils mindestens drei gewählten Direktkandidaten in den Bundestag einziehen, und dort eben nicht in Fraktionsstärke gemessen am Zweitstimmenanteil auftreten, sondern nur als Gruppe (wenn’s zur Fraktion nicht reicht).

Der Bundestag wäre geschrumpft, ohne dass gewählte Direktkandidaten ihr Mandat gegen Zweit- oder Drittplatzierte aus der Konkurrenz verlieren..

Klaus R.vor 9 Monaten

,,Urteil zur Wahlrechtsreform: Union und Ampel sehen sich beide als Sieger,,

Man könnte auch sagen, eine Krähe hackt der anderen nicht die Augen aus !

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