Thüringens Ministerpräsident bereut Mittelfingergeste gegenüber AfD-Abgeordnetem
Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow bedauert, einem AfD-Abgeordneten im Thüringer Landtag den Mittelfinger gezeigt zu haben. „Natürlich hätte mir das nicht passieren dürfen. Es wäre besser gewesen, wenn ich auf meinen Instinkt gehört und den Plenarsaal verlassen hätte“, sagte Ramelow der „Welt“.
Seine Reaktion sei ein „Ausdruck von politischer Hilflosigkeit“ gewesen. „Das gehört sich nicht für einen Ministerpräsidenten.“
In der Thüringer Parlamentsdebatte ging es um die rechtsextreme Terrorzelle NSU. Der AfD-Abgeordnete Stefan Möller habe versucht, „mich in der Frage der Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz quasi zum Kronzeugen zu machen, weil ich selbst mal vom VS beobachtet wurde. Er hat mit dem Finger auf mich gezeigt und ich habe reflexartig mit dem Mittelfinger zurückgezeigt, weil der Vergleich unverschämt ist“, so Ramelow.
Die Kritik an seinem Verhalten nehme er an, sagte Ramelow. „Ich bitte nur darum, nicht nur über Ästhetik zu sprechen, wenn wir über politischen Anstand reden.“ Ramelow erinnerte daran, dass er in den 90er-Jahren selbst vom NSU ausgespäht wurde.
„Die haben mich während eines Prozesses gegen einen Rechtsextremisten, an dem ich teilgenommen habe, intensiv beobachtet.“ Sie seien ihm bis nach Hause gefolgt. „In einem Büro wurde Feuer gelegt, beim Auto eines Mitarbeiters wurden die Bremsschläuche durchgeschnitten, es gab einen versuchten Wohnungseinbruch. All das hat mir große Angst gemacht damals, ich war zeitweise panisch“, sagte der Linken-Politiker. „Und natürlich kommen diese traumatischen Erinnerungen manchmal hoch, wenn heute vom NSU die Rede ist. Das lief als innerer Film bei mir ab, als Möller seine Rede in der NSU-Debatte hielt.“
Ramelow betonte zugleich: „Aber ich bin nicht mehr bereit, mir von Rechtsextremisten Angst einjagen zu lassen. Auch nicht von denen, die im Thüringer Parlament sitzen.“ Insofern habe seine Reaktion auch „etwas Befreiendes“ gehabt, „auch wenn die Geste falsch war“.
Die Zeit im Februar nach der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten mithilfe der AfD-Fraktion beschrieb Ramelow als „Ohnmachtserfahrung“. Und weiter: „Dass sich ein Vertreter der politischen Mitte mit Stimmen einer Fraktion, die von einem Faschisten geführt wird, wählen lässt, hätte ich mir nicht träumen lassen. Aber diese Wochen sind mit dem Beginn der Coronakrise bei mir hinter einer Nebelwand verschwunden.“ Er hätte keine Zeit gehabt, sich damit noch lange intensiv zu befassen. „Ich musste sofort ins Krisenmanagement wechseln.“ (dts)
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