Stimmung in Italien und Spanien kippt: Proteste und Unruhen wegen Corona-Lockdown
Die neuerlichen Corona-Lockdowns haben in mehreren Städten Italiens und Spaniens zum Teil mehrere Tausend Menschen zu Protesten auf die Straßen getrieben. Neben besorgten Gewerbetreibenden sollen sich auch radikale Gruppen und Hooligans daran beteiligen.
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In Spanien und Italien gab es große Streiks der Taxi-Fahrer. Hier ein Bild aus Turin am 26. Oktober 2020.
In Italien und Spanien haben sich seit dem Wochenende regelmäßig mehrere Tausend Personen versammelt, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren, die in den vergangenen Wochen eingeführt wurden.
Beide Länder, die zu den am stärksten vom Virus betroffenen in Europa zählen, hatten bereits im Frühjahr einen mehrmonatigen strikten Lockdown zu verkraften. Viele Wirtschaftszweige, unter anderem der für beide wichtige Tourismus, erlitten große Verluste. Nach einer Beruhigung über die Sommermonate stiegen die Zahlen der positiv Getesteten jüngst wieder an.
In Triest sangen Polizisten und Demonstranten die Nationalhymne
Wie die „New York Times” berichtet, haben sich unter anderem in Catania, Mailand und Turin am Montag, 26. Oktober, Hunderte Demonstranten versammelt. Dabei wurden Verkehrswege blockiert, Mülleimer angezündet und Feuerwerkskörper geworfen. Auch sei es zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen.
„BBC“ schreibt, dass es in Turin zu Zusammenstößen gekommen sei, bei denen Molotowcocktails auf Beamte geworfen wurden. In Mailand sei die Menge mit Tränengas auseinandergetrieben worden, in Neapel hingegen sei es friedlich geblieben.
Proteste gab es zudem in Rom, Palermo, Cremona und Genua. Die Menge rief unter anderem „Freiheit, Freiheit“. In den sozialen Medien richtet sich die Wut vieler Italiener vor allem auf die „Fünf-Sterne-Bewegung“ (M5S), die vom Blogger Beppe Grillo Mitte der 2000er als Protestbewegung gegründet wurde und nach dem Auseinanderbrechen der Koalition mit der rechtsgerichteten Lega im Vorjahr einen Koalitionswechsel zu den Sozialisten (PD) vollzog.
Ein Facebook-Nutzer namens Francesco Filini schreibt:
„Tut mir leid, dass ich das so brutal schreiben muss. Aber wer 2018 diesen Clowns 34 Prozent der Stimmen gegeben hat, trägt Mitverantwortung an der jetzigen Situation. Sie haben alle Versprechen gebrochen, sie haben ihre Seele verkauft, um an ihren Mandaten festzuhalten. Nur dank ihnen ist der PD zurück in die Regierung gekommen und führt sein zehnjähriges Programm zur Zerstörung der Mittelschicht fort. Grillismus bringt Italien um.“
Ausschreitungen in Italien bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen.
Foto: TIZIANA FABI/AFP via Getty Images
Stimmung in Italien ist gekippt
Erst kürzlich hat die Regierung angeordnet, dass bis zum 24. November Restaurants, Bars, Fitnessstudios und Kinos geschlossen werden müssen. Bildungseinrichtungen schränken ihren stationären Betrieb um 75 Prozent ein. Wo es möglich ist – und die Qualität der Internetverbindung mitspielt – wurde auf Onlinebetrieb umgesattelt.
Einige Regionen wie die Lombardei oder Piemont verhängten sogar nächtliche Ausgangssperren. In Italien wurden am gestrigen Mittwoch, 28. Oktober, fast 25.000 Personen positiv auf das Virus getestet. Es gibt derzeit 276.457 aktive Fälle, allerdings nur ein Prozent davon in ernstem oder kritischem Zustand.
Wie „BBC“-Korrespondent Mark Lowen schreibt, sei die Stimmung gegenüber der Situation im Frühjahr gekippt. Damals habe es nur wenig Widerstand gegen den Lockdown gegeben, stattdessen sogar Applaus für das medizinische Personal und Regenbogenbanner, die verhießen, dass „alles gut“ werde.
Mafia als Lockdown-Gewinner
Während sich kleine Unternehmen noch nicht vollständig von den Folgen des ersten Lockdowns erholt haben, wird ihnen erneut ihre gewerbliche Freiheit beschnitten. Jetzt fürchten sie um ihre Existenz. Vorhersagen wie, dass das BIP im Land um etwa zehn Prozent schrumpfen könnte, stellt auch die Geduldigen, die eine unkontrollierte Verbreitung des Virus fürchten, zunehmend auf die Probe.
Neben verzweifelten Gewerbetreibenden, die friedlich protestieren, versuchten Radikale von links und rechts sowie gelangweilte Fußball-Hooligans, die Kundgebungen für ihre Zwecke zu nutzen. Das Innenministerium warnt vor einem „Herbst der sozialen Spannung“, Premierminister Giuseppe Conte versprach rasche finanzielle Hilfe für die von den Maßnahmen Betroffenen und appellierte: „Das Virus ist der Feind.“
Schon im Frühjahr hatte die Regierung schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen. In vielen Fällen ging die Abwicklung dennoch zäh und bürokratisch vonstatten. Zu den Profiteuren gehörten unter anderem Mafia-Familien, die sich als Notkreditgeber erbötig machten.
Proteste der Mediziner in Madrid am 27. Oktober 2020.
Foto: PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP via Getty Images
In Spanien streiken die Ärzte
Auch in Spanien kam es zu Protesten gegen die neuerlichen Lockdown-Maßnahmen. Unter anderem in Barcelona nahmen Medienberichten zufolge mehrere Hundert Personen an Protesten gegen eine nächtliche Ausgangssperre teil, die von 23 bis 6 Uhr gelten soll. Auch dabei soll es zum Entzünden von Containern und Zusammenstößen mit der Polizei gekommen sein. Die Polizei erklärte später, etwa 800 Menschen hätten in der katalanischen Hauptstadt demonstriert, es habe eine Festnahme gegeben.
Am Dienstag traten Ärzte und Krankenhauspersonal in einen Warnstreik gegen die Bedingungen im Gesundheitssystem. Krankenhäuser mussten mit einer Notbesetzung arbeiten. Die Ärzte wollen den Protest nun an jedem letzten Dienstag eines Monats wiederholen.
Der Ausnahmezustand gilt in Spanien für alle Regionen mit Ausnahme der Kanarischen Inseln. Er wurde vorerst auf 15 Tage anberaumt. Am Ende dieser Phase will die Regierung das Parlament jedoch um die Ermächtigung bitten, gleiche oder ähnliche Maßnahmen für weitere sechs Monate über Verordnungen einzuleiten.