Steinmeier will Aufarbeitung der Pandemie, lehnt aber „Suche nach Schuldigen“ ab

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht nach wie vor die Notwendigkeit der Corona-Einschränkungen, doch sie waren eine „Belastung für eine Demokratie“. Wichtig sei nun, die Zeit aufzuarbeiten, sagte er, jedoch ohne sich auf die „Suche nach Schuldigen“ zu machen. Das Staatsoberhaupt lud zu einer Gesprächsrunde ins Schloss Bellevue ein.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue. (Archiv)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue (Archiv).Foto: Carsten Koall/dpa
Von 14. März 2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die strikten Maßnahmen während der Corona-Pandemie verteidigt. „Viele Einschränkungen waren notwendig, um die Ausbreitung der Seuche aufzuhalten, und dazu gehörte eben leider auch, Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren“, sagte er am Freitag, 14. März, im Schloss Bellevue. Der SPD-Politiker hatte Gäste dort zu einer Gesprächsrunde eingeladen, um über die Folgen der Pandemie und die Aufarbeitung zu sprechen. Dabei waren Vertreter aus den Bereichen Medizin, Pflege, Bildung, Wirtschaft, Kommunen, Kultur und Ehrenamt.

 „Riesige Belastung für eine Demokratie“

In seiner Begrüßung sprach er auch heruntergefahrene Betriebe und geschlossene Läden, Schulen und Universitäten an. „Begegnungen zu verhindern, das ist eben gleichzeitig auch eine riesige Belastung für eine Demokratie“, sagte Steinmeier. „Zu diskutieren, sich auseinanderzusetzen, zu kritisieren, zu protestieren, all das war nicht mehr oder kaum noch möglich in dieser Zeit.“ Der Demokratie habe etwas ganz Wesentliches gefehlt, „das permanente Gespräch der Gesellschaft mit sich selbst“.

Steinmeier erkannte an, dass viele Verletzungen der Corona-Zeit tief säßen. Einige Menschen seien einen einsamen Tod gestorben, junge Menschen hätten besonders unter den Kontaktsperren gelitten und manche hätten „an ihrer Seele Schaden genommen“. Das werde die Gesellschaft noch lange beschäftigen. Dennoch glaube er, „dass wir besser durch die Pandemie gekommen sind als viele andere Länder“ – obwohl 180.000 Tote zu beklagen gewesen seien.

Um die Dramatik der Anfangszeit der Pandemie zu untermauern, bemühte das Staatsoberhaupt frühe Fernsehbilder: „Und wir alle erinnern uns an die verstörenden und beängstigenden Bilder aus dem norditalienischen Bergamo, wo die Armee lange Reihen von Särgen abtransportieren musste und die Menschen zutiefst traumatisiert waren.“

Die Pandemie habe zu Verletzungen geführt: „Auch in unserem Land, zu ganz offensichtlichen, aber auch solchen, bei denen man genauer hinschauen muss, um sie zu erkennen.“

Daher halte er es für „sehr wichtig, dass wir aufarbeiten“, fuhr er fort. Es gehe darum herauszufinden, „was gut gelaufen ist in der Zeit der Pandemie, was weniger gut – und was sogar zu Schäden geführt hat“. Es stelle sich etwa die Frage, ob flächendeckende Schulschließungen nötig gewesen seien, ob Grundrechtseinschränkungen wie die der Versammlungsfreiheit unvermeidbar gewesen seien oder ob die Art und Weise, wie die Impfpflicht diskutiert worden sei, geschadet habe.

Vertrauen der Menschen zurückgewinnen

„Die Menschen in unserem Land erwarten, dass wir uns gründlich mit dieser Zeit befassen, und ich bedaure es, dass in der letzten Legislaturperiode eben genau darüber keine Einigung möglich war“, sagte der Bundespräsident weiter. Die Aufarbeitung sei auch eine „riesige Chance“ für die Demokratie und er vertraue darauf, „dass der neue Bundestag und eine neue Bundesregierung diese Chance auch sehen werden“.

Es gehe darum, möglichst viele Menschen und deren Vertrauen zurückzugewinnen, die zu Pandemie-Zeiten an der Demokratie und ihren Institutionen gezweifelt hätten. „Nach den jüngsten Wahlergebnissen ist die Aufgabe noch dringender geworden.“ Dabei stellte Steinmeier auch klar, dass es bei der Aufarbeitung „nicht um Rache und Vergeltung“ gehe. Auch nicht um die Suche nach Schuldigen. Das würde nur zu neuen Verhärtungen führen. Vielmehr müsse es darum gehen, „in einer ähnlichen Krisensituation in Zukunft noch resilienter, noch stärker zu sein – und damit auch unsere Demokratie zu schützen“.

Steinmeier ging nach seiner Rede ins Gespräch mit Gästen über die gesellschaftlichen Nachwirkungen der Corona-Zeit. An der Diskussion im Schloss Bellevue nahmen etwa Menschen aus den Bereichen Medizin, Pflege, Bildung, Wirtschaft, Kommunen, Kultur und Ehrenamt teil.

In der Gesprächsrunde wurde es nur selten konkret. Im Mittelpunkt standen die Erfahrungen aus der Pandemiezeit. So sprach Katrin Andres, die mit ihrer Familie ein Hotel in Freyung (Bayern) betreibt, von einem massiven Umsatzeinbruch. „Wirtschaftlich war es bis heute ein Desaster“, sagte sie. Privat sei es aber ein „super“ gewesen, weil die Familie ungewohnt viel Zeit füreinander hatte.

Themen werden ausgeklammert

Wie groß die gesundheitlichen Schäden durch die Pandemiemaßnahmen sind, wurde nur angedeutet. So blieb das Thema Impfschäden außen vor. Allerdings fehlte zu diesem Thema auch ein kompetenter Vertreter in der Runde.

Wie negativ sich Schulschließungen, Maskenpflicht und Online-Unterricht auf kleine Kinder ausgewirkt haben, war von der Paderborner Grundschulleiterin Maxi Brautmeier-Ulrich zu erfahren. Die Folgen seien für die Jüngeren „extrem negativ“, sage sie. „Die Schulschließungen wirken nach“, vielen Eltern und Kindern sei die Angst vor Erkrankung geblieben. Oder auch vor Konflikten in der Schule. Viele Mädchen und Jungen litten unter emotionalen und sozialen Defiziten durch die damalige Isolation.

Auch habe sie sprachliche Defizite bei den Kindern beobachtet, die zu Beginn der Pandemie im Kindergartenalter waren. „Das geht auch nicht mehr weg“, so die Schulleiterin. Sie forderte, dass man die Kleinen viel mehr im Blick haben müsste. Die Arbeit im psychologischen Bereich müsse weiter ausgebaut werden. Dies sei dringend notwendig, doch passiere nichts. Abschließend stellte Brautmeier-Ulrich fest, dass das Thema auch bei der neuen Bundesregierung nicht ganz oben stehe.

Steinmeier: Die nächste Pandemie wird anders laufen

Auch Dennie Rufflett, Präsident des FC Deetz (Brandenburg), berichtete, wie der Verein versuchte, die jungen Fußballer in Zeiten, in denen Begegnungsverbot und Abstand halten regierten, bei der Stange zu halten. Der Aufwand sei groß gewesen, doch habe der Club unterm Strich Mitglieder dazugewonnen.

„Die nächste Pandemie wird womöglich anders laufen“, sagte Steinmeier. Der SPD-Politiker wollte von der Runde wissen, ob man denn glaube, darauf vorbereitet zu sein. Verschiedene Maßnahmen und Prozesse hätten sich eingespielt, meinte Leif Erik Sander, Infektiologe an der Charité Berlin und Mitglied des ExpertInnenrats Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung. „Die Leute wissen, was sie tun müssen“, sagte er.

Sander wies aber auch darauf hin, dass der Mangel an Fachkräften „spürbar“ sei. Viel Lob spendete er den Politikern. Sie wollten sich „ehrlich informieren“, bevor sie Entscheidungen trafen und hätten ihn oder auch andere Fachleute angerufen.

Vier Monate Lieferzeit für Desinfektionsmittel

Patrick Hahmann, Leiter eines ambulanten Pflegedienstes mit 120 Mitarbeitern in Sachsen, haderte mit der mangelhaften Ausstattung während der Pandemie. So waren im März 2020 beispielsweise keine Schutzanzüge zu bekommen. Auf Desinfektionsmittel habe man vier Monate warten müssen. Auch erinnerte er daran, dass es zu wenige Corona-Tests gab und die seiner Ansicht nach auch falsch eingesetzt wurden. So mussten sich „Fußballer testen, damit sie einsatzfähig sind“. Hingegen seien Pfleger nicht getestet worden, „damit sie einsatzfähig bleiben“, kalauerte er. „Das darf nie mehr passieren“, forderte Hahmann.

Die 142 Minuten dauernde Begrüßungsrede des Bundespräsidenten und anschließende Gesprächsrunde ist auf YouTube in voller Länge zu sehen.

(Mit Material Nachrichtenagenturen)



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