Scholz wünscht sich die Vereinigten Staaten von Europa

Olaf Scholz könnte als Bundeskanzler einer linksgerichteten Regierung alsbald als „Architekt der Schuldenunion“ in Erscheinung treten.
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SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.Foto: INA FASSBENDER/AFP via Getty Images
Von 25. September 2021

Schon 1925 hatte die deutsche Sozialdemokratie die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“ formuliert. Diese Vision von einst hat für den Kanzlerkandidaten der SPD, Olaf Scholz, nach wie vor seine Gültigkeit und findet in den Visionen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron deren konkrete Umsetzung. Macron hatte im Jahr 2017 in einer Ansprache an der Universität Sorbonne in Paris die Zukunft eines vereinten Europa als ernst zu nehmenden Gegenspieler zu den USA und China entworfen.

Olaf Scholz und die SPD könnten mit einer linksgerichteten neuen Regierung diesem Ziel rasch näher kommen. Dank des Machtkampfes zwischen Armin Laschet und Markus Söder von CDU und CSU und der etwas unbedarft wirkenden Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, stehen die Chancen gut für Olaf Scholz, Bundeskanzler von Deutschland zu werden.

Im Gegensatz zu seinen Mitkonkurrenten wirkt der Bundesfinanzminister ruhig, professionell und verlässlich. Es macht tatsächlich den Anschein, als könnte er für heimatlose CDU-Wähler eine veritable Alternative darstellen. Kritische Stimmen warnen davor, dass Olaf Scholz, der nicht dafür bekannt ist, in seiner Partei das Sagen zu haben, eine „Mogelpackung“ sein könnte. Wähler mit konservativen und traditionellen Werten würden sich nach der Wahl wohl nicht gut repräsentiert fühlen oder sogar enttäuscht sein.

Auf der Website von Olaf Scholz sind viele schöne Worte zu lesen: Von einem starken, sozialen Land für alle – mit Respekt voreinander – ist da die Rede. Unter den Sozialdemokraten soll es alles geben: gerechte Steuern, stabile Renten, bezahlbare Mieten, mutige Schritte zur Klimarettung und sichere Arbeitsplätze mit guten Löhnen – eine Art Paradies ohne Schattenseiten.

Dem widerspricht der Umstand, dass Scholz einer derjenigen war, die sich für die Reformen von Gerhard Schröders Agenda 2010 aussprachen und sich maßgeblich an deren Umsetzung beteiligten. Bei der Betrachtung seines politischen Berufslebens fallen diverse Punkte auf, in denen weiterhin unklar bleibt, wie sich der Bundesfinanzminister wirklich verhalten hat. Beispiele dazu sind etwa der Cum-Ex-Skandal im Zusammenhang mit betrügerischen Steuerrückforderungen der Privatbank M.M.Warburg & Co oder der Zusammenbruch der Wirecard-Bank. Freiwillig geben Olaf Scholz und die Ministerien gegenüber dem Wähler keine Auskunft darüber, ob sich der Kanzlerkandidat in irgendeiner Form etwas hat zuschulden kommen lassen.

Mission „besseres Europa“

Der Kanzlerkandidat und die SPD als Partei setzen sich für ein souveränes und solidarisches Europa ein. So steht es auch in ihrem aktuellen Wahlprogramm geschrieben. Die Gestaltung dieses „besseren Europas“ obliegt Frankreichs Präsident Macron, der die EU längerfristig in ein zentralistisch geführtes System überführen möchte. Während seiner Rede sprach er über die praktische Umsetzung dieses Vorhabens in den unterschiedlichen Sektoren wie des europäischen Haushaltsbudgets, einer europäischen Armee, harmonisierte Steuern und vielerlei mehr.

Für Hans Michelbach von der CDU/CSU-Fraktion bedeuteten die Vorschläge Macrons, dass die Eurozone in eine unbegrenzte Transferunion umgewandelt würde. FDP-Chef Christian Lindner sagte, eine stärker integrierte Eurozone mit eigenem Haushalt würde bedeuten, dass Deutschland für Rechnungen aufkommen müsste, die in anderen Staaten unbezahlt blieben. Für die sozialistischen Pläne eines vereinten Europa sind die FDP und besonders die AfD hinderlich. Mit diesen Parteien in einer deutschen Regierung würde es um einiges schwieriger, eine tiefere europäische Integration an die deutschen Wähler zu verkaufen.

„Ich habe keine roten Linien, ich habe nur Horizonte“, sagte Macron, als er 2017 über Haushalt und Finanzen sprach. Rote Linien ignorieren – und ferne Horizonte ansteuern. Schritt für Schritt. Kurz nach dieser Rede im März 2018 übernahm Olaf Scholz das Finanzministerium. Im selben Jahr gab Angela Merkel ihren Widerstand gegen ein gemeinsames EU-Budget auf. Sie benötigte Macrons Hilfe bei der Migrationspolitik. Macron kam ihr entgegen und gab sein Einverständnis und erhielt im Gegenzug Merkels „Ja“ zu einem gemeinsamen EU-Budget. Dieser Schritt wird als das Unterzeichnen des dritten Versailler Vertrages bezeichnet – in Anlehnung an den ersten Versailler Vertrag, der nach dem Ersten Weltkrieg um 1919 von Deutschland unterzeichnet werden musste und dem Land die alleinige Schuld am Krieg zuschob. Es könnte fast schon als die ewige Haftung Deutschlands für die Schuldenstaaten bezeichnet werden.

Frankreich und Deutschland brechen die europäischen Verträge

Während der Corona-Krise unterlief Angela Merkel ein strategischer Fehler, worauf sie die Flucht nach vorn ergriff und mit Emmanuel Macron einen Plan vorstellte, der einen 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds (NextGenerationEU) vorsah, bei dem die EU-Kommission erstmals im Namen der Mitgliedstaaten eigenes Geld an den Finanzmärkten aufnehmen würden.

Der Fonds wurde 2020 als Konjunkturpaket im Zuge der COVID-19-Krise verabschiedet. Zwar ist vorgesehen, dass jedes Land nur für seinen eigenen Anteil am Wiederaufbaufonds haftet – Deutschland wird dabei trotzdem der größte Nettozahler sein und voraussichtlich 52,3 Milliarden mehr zur Finanzierung des Fonds beitragen, als es aus dem Fonds erhält. Um diese Leistung zu erbringen, wird Deutschland Schulden aufnehmen müssen.

Mit Blick auf das finanzielle Risiko des Wiederaufbaufonds reichte ein Bündnis um den ehemaligen AfD-Chef Bernd Lucke eine Verfassungsbeschwerde gegen den Fonds ein. Die Kläger vertraten die Ansicht, dass eine gemeinschaftliche Verschuldung gemäß den europäischen Verträgen nicht zulässig sei. In den Verträgen stehe klar, „dass der EU-Haushalt vollständig aus Eigenmitteln“ finanziert werden müsse. Die Schulden des Wiederaufbaufonds gehörten nicht zu den „Eigenmitteln“, sondern wären eindeutig „Fremdkapital“. In seiner Beschwerde schrieb das Bündnis weiter, dass der „Vertragsbruch“ mit wohlklingenden Begriffen wie „Next Generation EU“ verharmlost würde: Deutschland habe bisher keine Verschuldung des EU-Haushaltes zugelassen, „weil Deutschland nicht nur für die EU-Schulden haften würde, wenn ein anderer Staat insolvent ist, sondern auch dann, wenn er aus der EU austreten würde“, so die Argumentation des Bündnisses.

Die AfD war mit ihrer Kritik nicht alleine. Auch der Bundesrechnungshof sah in dem milliardenschweren Aufbaufonds hohe Risiken für den Bundeshaushalt. „Faktisch handelt es sich um eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haftung – eine Zäsur“, sagte Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller.

Im Maastrichter Vertrag wurde vereinbart, dass ein Mitgliedstaat maximal mit 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet sein darf und dass die jährliche Neuverschuldung maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf.  Im Lissabonner Vertrag wurde festgehalten, dass kein EU-Land die Verbindlichkeiten eines anderen Landes übernimmt. Deutschland und Frankreich brachen als erste Staaten diese Kriterien – und verhinderten es, für ihr Vorgehen sanktioniert zu werden.

Der Krisenzustand scheint Paris und den südeuropäischen Ländern als Dauerzustand zu gefallen; nicht zuletzt mit dem Argument des Klimaschutzes. Ausgaben in diesem Zusammenhang sollen nicht auf die Verschuldungskriterien des Maastrichter Vertrages angerechnet werden. So kann jedes Land seine Schulden nach Bedarf grün färben und sie jeglicher Kontrolle entziehen.

SPE-Vorsitzender Sergei Stanichev „Das soziale Europa ist zurück“

Im Juni trafen sich in Berlin nach längerer coronabedingter Pause die Mitgliedsparteien der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) zu einer Konferenz unter dem Titel „Mit Mut. Für Europa.“ Ziel der Konferenz sei „ein starkes Signal des Aufbruchs für Europa und der gemeinsamen progressiven Zukunftsgestaltung zu geben“, sagte der SPE-Generalsekretär Achim Post.

Bei dem Treffen war Olaf Scholz der letzte Redner und vermittelte seinem Publikum, wie er sich die Zukunft der Europäischen Union vorstellt. Unter anderem sagte er, dass die SPD die geeignete Partei für die Zukunftsprojekte des „Green Deal“ und der „zweiten Industriellen Revolution“ wäre. Die SPD stehe für den Fortschritt Europas und für eine gelingende Integration der Europäischen Union. Die Globalisierung solle dereinst von den Bürgern als etwas Gutes empfunden werden, Arbeitsplätze und ein sicheres Leben ermöglichen. Das könne gelingen durch eine faire Besteuerung anstatt eines Wettbewerbs der Länder um die niedrigsten Steuersätze. „Wir als Sozialdemokraten sind bestens geeignet, dieses Projekt voranzutreiben.“

Den 750-Milliarden-Euro-Fonds sieht Scholz als „ersten Schritt“, Europa im Konzert der Weltmächte zu stärken. „Es ist der Wille der Europäischen Union, besser zu werden“, ist Olaf Scholz überzeugt. Der Wiederaufbaufonds zeige das. Dass die EU – im Unterschied zur Finanzkrise 2008 – gemeinsam reagierte, habe nur gelingen können, weil alle Staaten einvernehmlich gehandelt hätten.

Es sei entscheidend, sich „nicht hilflos der Globalisierung zu ergeben“, sondern auch außenpolitisch gemeinsam zu handeln. „Wenn wir Frieden und Sicherheit auf dem ganzen Kontinent haben wollen, müssen wir anknüpfen an die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt der 70er- und 80er-Jahren“, sagte Scholz. Gemeinsame Sicherheitspolitik verlange nach einer „neuen Ostpolitik“, im Gegensatz zu damals allerdings nicht national ausgerichtet, sondern europäisch.

Wir müssen „politisch mutig sein“

Für all das „müssen wir politisch mutig sein“, betonte Olaf Scholz. Dazu gehöre auch, die Europäische Union weiter zu reformieren und etwa das geltende Einstimmigkeitsprinzip durch Mehrheitsentscheidungen zu ersetzen, damit nicht einzelne Staaten die anderen ausbremsen. Und es müsse jedes Land stärker „aus einer europäischen Perspektive handeln“, statt zu versuchen, immer nur möglichst viel für das eigene Land herauszuholen. „Ein souveräner Kontinent funktioniert nicht, wenn man ihn nicht als gemeinsame Aufgabe begreift.“

Der Wiederaufbaufonds, so Scholz, sei ein Weg, „wie man gemeinsam die Zukunft erobern kann“. Dass es diese nur in einer starken Europäischen Union geben kann, ist für den SPD-Kanzlerkandidaten klar. Er verspricht: „Ich werde dafür sorgen, dass Deutschland der Motor ist für eine weitere europäische Integration.“

Das würde bedeuten, dass die Bundesbürger in Zukunft möglicherweise nicht mehr bestimmen können, wie der Staat seine Mittel verwendet, da sie möglicherweise für soziale Wohltaten in anderen Ländern benötigt werden. Olaf Scholz treibt seit vielen Jahren die Haftung Deutschlands für die EU-Schulden voran. Nicht umsonst bezeichnet die „Welt“ ihn als „Architekten der Schuldenunion“.

Ein Beispiel dafür wäre die Idee der EU-Arbeitslosenversicherung, die der 63-Jährige gerne einführen möchte. Dabei sollen die Arbeitslosen nicht mehr in ihrem eigenen Land, sondern direkt in Brüssel die Arbeitslosengelder beziehen. Das bedingt jedoch, dass die EU-Staaten einen Topf mit Milliarden Reserven anlegen müssen, an dem sich notleidende Staaten bedienen können, schreibt „Bild“. Auch diese Idee ging auf die Initiative von Frankreichs Präsident Macron zurück. 2018 scheiterte das Vorhaben jedoch am breiten Widerspruch aus Politik und Fachgremien.

Der Hamilton-Effekt

Kanzlerkandidat Scholz sagte vor wenigen Monaten, der Beschluss für den Corona-Fonds sei der „Hamilton- Moment“ der EU. Alexander Hamilton war US-Finanzminister und wandelte um 1790 die Schulden der Einzelstaaten in Bundesschulden um. Jene sollten mit Einnahmen aus Importzöllen beglichen werden.

Nach Meinung von Olaf Scholz war diese Vergemeinschaftung ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika gewesen und nannte die Kreditaufnahme der EU, um die erhöhte Gefahr der Staatskonkurse mit deutschen und französischen Zahlungen im südlichen Europa zu minimieren, den „Hamilton-Moment“ der EU.

Wovon Scholz nicht spricht, ist, dass die laxen Schuldenregeln Hamiltons in den nachfolgenden Jahrzehnten zu Unfrieden führten und ursächlich für den amerikanischen Bürgerkrieg waren. Nach Kriegsende verschärften die USA klugerweise die Schuldenregeln wieder.

Würde SPD-Politiker Olaf Scholz die Kanzlerkandidatur gewinnen, so wäre er der vierte sozialdemokratische Bundeskanzler nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Mögliche Koalitionspartner wären die Linken, die Grünen oder die FDP. Die neue Bundesregierung würde entweder Rot-Grün-Rot oder Rot-Grün-Gelb regiert mit der CDU/CSU in der Opposition.



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