SPD-Politiker Michael Roth steigt aus: Täglicher Überlebenskampf und Kühlschrank-Atmosphäre

Sozialdemokrat zieht nach Bundestagswahl 2025 einen Schlussstrich. Nach 27 Jahren als Bundestagsabgeordneter spürt er eine steigende Entfremdung von Partei und Politikbetrieb
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Michael Roth will sich nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr aus der Politik zurückziehen.Foto: John Thys/AFP/Getty Images
Von 27. März 2024

Michael Roth beschreibt die Arbeit von Spitzenpolitikern als täglichen Überlebenskampf, bei den Sitzungen seiner Partei fühlte sich der Sozialdemokrat zunehmend unbehaglich. Grund genug für den 53-Jährigen, nun einen Schlussstrich unter die Politik zu ziehen. Nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr „bin ich raus“, erklärte der SPD-Außenpolitiker dem Magazin „Stern“ im Verlauf eines dreistündigen Interviews (hinter Bezahlschranke).

Gedanke an Rückzug ist „ein gutes Gefühl“

27 Jahre, sein halbes Leben, hat er, aktuell Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, dann für die SPD im Bundestag gesessen. Doch jetzt räumt er ein, dass er nicht mehr die Begeisterung für seinen Job spürt, stattdessen eine steigende Entfremdung von Partei und Politikbetrieb. „Als Politiker muss man sich ohnehin alle vier Jahre fragen, ob man noch will, noch kann, noch darf. Und ich will nicht mehr“, bekräftigt Roth in dem Gespräch.

Es sei auch nie sein Ziel gewesen, bis zum Rentenalter Abgeordneter zu sein. Der Biss fehle, die Entscheidung zum Rückzug gebe ihm „ein gutes Gefühl“.

Bei der Arbeit dominierte in letzter Zeit hingegen oft das Gegenteil: „Im letzten Jahr habe ich gemerkt, dass ich mit unseren Sitzungen immer mehr fremdele, dass mich die Gremien stören, die Stimmung darin. Wenn die Tür zum Fraktionssaal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschrank“, beschreibt Roth.

Seine Haltung zur Unterstützung der Ukraine hat ihn innerhalb der Partei zunehmend isoliert: „Die Frage von Krieg und Frieden hat in der SPD für eine neue Härte gesorgt. Mein früher Einsatz für die Ukraine gefiel nicht allen.“

Nachdem er kurz nach dem Ausbruch des Krieges vor zwei Jahren in die Ukraine gereist sei, hätten ihn seine Fraktionskollegen nicht einmal mehr gegrüßt, heißt es im „Stern“-Interview weiter.

In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ hatte Roth vor wenigen Tagen gesagt, dass er sich beim Thema Taurus „eine andere Entscheidung gewünscht hätte“. Doch habe das Kanzler Olaf Scholz zu verantworten, der die Entscheidung gefällt habe.

Bei Taurus nicht einig mit Kanzler Scholz

Doch Roth findet auch selbstkritische Worte: „Ich habe öffentlich viel für meine Positionen gekämpft, das Gespräch mit Kollegen dafür vernachlässigt.“

Die Belastungen seien hoch: „Spitzenpolitiker brauchen heutzutage eine absolute Stressresistenz, eine bis ins Übermenschliche gehende mentale und physische Stärke.“ Wer in die Politik gehe, müsse mit einem starken Selbstbewusstsein ausgestattet sein. Spitzenpolitiker müssten bereit sein, fast bis zur Selbstaufgabe zu gehen. „Das ist brutal. Spitzenpolitiker müssen heute jeden Tag einfach nur überleben.“

Stress mündete in mentale Erschöpfung

Für Roth mündete der Stress des politischen Betriebs in einer mentalen Erschöpfung, die er im Sommer 2022 öffentlich machte. „Es ging mir mental sehr schlecht“, erinnert er sich. Er habe sich gefühlt wie ein „Zirkuspferd“. Auf Veranstaltungen habe er sich stets gut gelaunt gezeigt, dass er am Limit war, habe er verborgen. „Mein Leben bestand nur noch darin, zu performen, zu schlafen, zu performen, zu schlafen.“

Roth wird auch privat, spricht über seine schwierige Kindheit in einer Bergarbeiterfamilie („Ich war der Typ mit dem Vater, der gern einen zu viel trinkt“). Er und seine drei Brüder galten in seinem nordhessischen Heimatdorf Heringen bei einigen als asozial.

Für ihn änderte sich das, als er sich in der Schülervertretung engagierte. „Da hat man mich plötzlich anders wahrgenommen, mich respektiert, da wusste ich: Das könnte was für mich sein“, erläutert er seinen Weg in die Politik. Auf die Frage, ob Politik die Gier nach Anerkennung steigere, sagt Roth, dass Bekanntheit und Popularität in der Politik schon immer wichtig gewesen seien.

Er habe aber den Eindruck, dass da „etwas gekippt“ sei. Viele zögen ihr Selbstwertgefühl nur noch aus der Anerkennung anderer, „aus Likes, aus Beifall, dem Scheinwerferlicht. Ich jedenfalls habe das viel zu lange so gemacht. Ich musste lernen, wie zerstörerisch das sein kann“.

Michael Roth trat der SPD 1987 noch als Schüler bei. Seit 1998 ist er Bundestagsabgeordneter. Von 2013 bis 2021 war er Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt und Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Seit 2021 ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.



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