RKI im „akademischen Streit“ um Toten-Zählweise – Kostenlose Corona-Datenspende-App gestartet
Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht neue Wege. Nicht nur die Pressekonferenz fand im Online-Portal in neuem technischen Format statt, sodass Journalisten ihre Fragen direkt per Zuschaltung stellen konnten. Auch für die Auswertung will das RKI zukünftig digitale Daten heranziehen – mittels der „Corona-Datenspende-App“. Darüber informierte RKI-Chef Lothar Wieler in der Pressekonferenz am 7. April. Doch auch der Streit um die Zählweise der „Corona-Toten“ war ein Thema.
Derzeit wird in Hamburg untersucht, ob die Menschen durch oder mit einer Corona-Infektion gestorben sind. Auf die Frage eines Journalisten, ob diese Unterscheidung sinnvoll sei, antwortete der RKI-Chef: „Das ist ein akademischer Streit. Den kennen wir seit Jahrzehnten.“
„Es ist oft so bei an Infektionskrankheiten Verstorbenen, dass Sie im Obduktionsmaterial das Virus nicht mehr nachweisen können.“ Oft werde auch gestritten, ob die Patienten an einer Sepsis gestorben seien oder an einer direkten Folge des Virus. Wieler verstehe diese Diskussion und findet sie auch „akademisch sehr, sehr wichtig“. Gleichzeitig betonte er, dass „jede Gruppe bestimmte Annahmen hat. Das ist in dem Fall wirklich für die Bewertung für unsere Infektionsdynamik nicht von so hoher Bewertung.“
Was für den RKI-Chef wichtig an den Obduktionen sei: „Woran sind die Menschen verstorben?“ Bezüglich COVID-19 hätte man noch gar nicht so viel Wissen. Beispielsweise wüsste man nicht, woran jüngere Menschen sterben. Liegt das an einem Immunsystem, das überreagiert, oder hängt es mit Herzmuskelentzündungen zusammen? Insoweit sei nicht immer festzustellen, was der auslösende Faktor war. „Aber das sind Daten, die auf Dauer epidemiologisch erfasst werden.“ Dem fügte Wieler hinzu:
„Wir werden nach dieser Krise sehr, sehr viel genauer sagen können, was dieses Virus wirklich initiiert hat und wo die Reaktion des Körpers zum Tode beigetragen hat. Das sind Daten, die wir brauchen. Daher ist es sehr wichtig, dass Obduktionen durchgeführt werden.“
Corona-Datenspende-App
Ab sofort können Teilnehmer kostenlos die neue Corona-Datenspende-App nutzen. Sie wurde vom RKI gemeinsam mit dem e-Health-Unternehmen Thryve und unter Einbeziehung des Bundesdatenschutzbeauftragten entwickelt. Die App für iOS und Android-Geräte funktioniert in Kombination mit Fitnessarmbändern und Smartwatches verschiedener Hersteller und soll Aufschluss über die Verbreitung des Virus Sars-Cov-2 in Deutschland bringen: „Je mehr Menschen die Daten zur Verfügung stellen, desto genauer werden wir Daten über die Verbreitung bekommen“, sagte Wieler.
Die Nutzung der App ist freiwillig und pseudonymisiert. Das RKI habe zu keiner Zeit Kenntnis über persönliche Informationen wie Name oder Anschrift der App-Nutzer, heißt es vom Anbieter. Ortungs- und Handydaten würden nicht erfasst werden.
Erfasst werden die Postleitzahl des Teilnehmers, Körperdaten wie Geschlecht, Alter, Größe und Gewicht sowie Vitaldaten. Sofern das Gerät die Körpertemperatur kontrolliert, ist dies besonders ausschlaggebend, um einen Einblick auf mögliche potenzielle Corona-Infektionen zu ermitteln. Denn mit Hilfe der App können durch das RKI Symptome, die auf COVID-19 hinweisen, erkannt werden. Die App ersetze jedoch keine Corona-Tests und würde auch nicht den Teilnehmern melden, ob sie krank sein könnten, betonte Wieler.
Wie kann der Nutzer seine Daten teilen?
- Corona-Datenspende-App installieren: Die App ist für iOs und Android in den jeweiligen App-Stores kostenlos zum Download verfügbar.
- Datenspende zustimmen: Nach Installation der Corona-Datenspende-App wird der Nutzer um Zustimmung zur Weitergabe der Daten an das Robert-Koch-Institut gebeten.
- Postleitzahl eingeben: Der Nutzer wird gebeten, einmalig die Postleitzahl einzugeben.
- Fitnessuhr/Fitnessarmband verbinden: Der Nutzer wird gebeten, sein jeweiliges Gerät mit der Corona-Datenspende-App zu verbinden.
Weitere Informationen dazu gibt es auf der Website www.corona-datenspende.de
Interaktive Karte zeigt „potenzielle“ Infizierte
Alle übermittelten Daten werden durch das RKI wissenschaftlich aufbereitet und fließen in eine interaktive Karte ein. Diese gibt sodann einen Überblick über „potenziell“ Infizierte und wird im Internet veröffentlicht. Auf diese Weise könne das RKI einsehen, inwieweit die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie greifen.
Der RKI-Chef zeigte sich „fest überzeugt“, dass die App etwas bringt. Dazu reiche es schon aus, wenn lediglich 10 Prozent aller Gerätenutzer sich an der App beteiligen. Auch wenn es nur 10.000 wären, wäre das laut RKI-Physiker Dirk Brockmann „klasse“ für den Erkenntnisprozess.
„Wir wünschen uns, dass sich viele Menschen beteiligen. Denn je mehr Menschen ihre Daten für eine Auswertung zur Verfügung stellen, desto genauer werden unsere Erkenntnisse zur Verbreitung des Coronavirus“, erklärte Wieler. In den USA hätten sich ähnliche Fallschätzungen auf Basis von Smartwatch- und Fitnessarmband-Daten in Grippewellen als sehr treffgenau erwiesen.
Bereits kurze Zeit nach Bekanntgabe der App meldete das RKI aufgrund des enormen Zugriffs technische Probleme.
Danke für Ihr großes Interesse an der #Datenspende-App.
Durch die vielen Zugriffe gibt es aktuell technische Probleme, u.a. bei der Eingabe der PLZ.
Wir arbeiten daran #ZusammengegenCorona— Robert Koch-Institut (@rki_de) April 7, 2020
Einige waren begeistert von der App, andere zeigen sich skeptisch. Manche versuchten über eine Stunde, sich bei der App anzumelden.
Aktuelle Situation in Deutschland
Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung der Corona-Infektionen teilte der RKI-Chef mit, es könne trotz einer grundsätzlich positiven Entwicklung noch nicht von einer Entspannung ausgegangen werden. „Wir müssen die nächsten Tage abwarten, ob sich bei den Meldungen ein Trend abzeichnet.“
Derzeit werden vom RKI 99.225 Infektionen (Stand 7. April, 0:00 Uhr) für Deutschland gemeldet. Das sind 3.834 COVID-19-Fälle mehr als am Vortrag. Insgesamt stieg die Anzahl der in Deutschland mit einer Infektion Verstorbenen um 173 auf 1.607 Menschen.
Nach Schätzungen des RKI sind 33.300 Menschen von einer Infektion genesen.
Gesichtsmasken als Schutzmaßnahme
Erneut wies Wieler darauf hin, dass man mit den selbstgefertigten Textilmasken nur sich selbst schützen könne, und zwar nicht nur beim Husten und Niesen, sondern auch beim Singen. Denn auch dabei werden die Tröpfchen mit den Erregern freigesetzt.
RKI beabsichtigt Studien
Derzeit werden vom RKI drei Studien geplant. Als erstes würden Blutspender auf Antikörper untersucht. Weiterhin werde es Untersuchungen an anderen Ausbruchsorten geben, um die Dynamik der Corona-Infektionen beurteilen zu können – ähnlich der Untersuchung, die Professor Henrik Streeck derzeit in Heinsberg durchführt. Dann soll es noch eine deutschlandweite Studie „mit vielen Partnern“ geben. Nähere Einzelheiten gab Wieler nicht bekannt.
Positiv hob Wieler hervor, dass es derzeit „noch genügend“ Beatmungsplätze und Intensivbetten gäbe. Ob dieser Zustand für die Zukunft andauere, vermochte er nicht zu spekulieren.
Die nächste Pressekonferenz findet aufgrund der Osterfeiertage bereits am Donnerstag um 10 Uhr statt.(afp/sua)
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