RKI-Chef: Corona-Krise nimmt ungekannte Dimensionen an
Die Coronapandemie stellt in Deutschland laut Robert-Koch-Instituts (RKI) ein Krankheitsgeschehen von bisher ungekannten Dimensionen dar. „Wir alle sind in einer Krise, die ein Ausmaß hat, das ich mir selber nie hätte vorstellen können“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Freitag in Berlin bei seiner Lageeinschätzung vor Journalisten. Allen Bürgern und Entscheidungsträgern müsse der Ernst der Lage nun vollkommen klar sein.
In Deutschland wurden (Stand 20.3., 0:00 Uhr) 13.957 Coronavirus-Fälle an das RKI gemeldet. Das seien 2.958 Fälle mehr als am Vortag. Darüber hinaus wurden 31 Todesfälle gemeldet.
Wieler richtete einen eindringlichen Appell an die Bevölkerung, die Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte umzusetzen, im Alltag Abstand zu halten und sich im Fall von Krankheitssymptomen selbst in Quarantäne zu begeben. Er betone dies, weil er davon „überzeugt“ sei, dass dies jetzt absolut notwendig sei. „Wir hatten bislang die Situation einer Epidemie dieses Ausmaßes in Deutschland noch nicht.“
Krankenhäuser müssen aufrüsten
Zugleich forderte Wieler die Verantwortlichen in den Krankenhäusern mit Nachdruck auf, sich auf einen nicht mehr aufzuhaltenden Anstieg der Zahl schwer kranker Coronapatienten einzustellen. „Wir brauchen in den Hospitälern so viel wie möglich Beatmungsbetten, wir brauchen so viel wie möglich Intensivbetten.“ Es sei zu befürchten, dass die Beatmungsplätze in den Kliniken nicht reichten. Jeder müsse „die Augen zu öffnen vor dieser Realität“.
Er rufe seit Wochen dazu auf, nun sei endgültig keine Zeit zu verlieren. „Ich erwarte jetzt, dass die Krankenhäuser vorbereitet sind“, sagte der RKI-Chef.
Wieler zufolge hat das Coronavirus aufgrund seiner Eigenschaften die idealen Voraussetzungen zur Auslösung einer schweren Pandemie. Die „schlimmste Vorstellung“ eines jeden Infektionsmediziners sei stets ein Erreger gewesen, der sich über Atemwege und Tröpfcheninfektionen verbreite und viele Lungenentzündungen verursache. „Das ist jetzt eingetreten.“ Die Fachwelt habe immer angenommen, dass dies ein mutiertes Grippevirus sein werde. Nun sei es ein Coronavirus mit „besonders krank machenden Eigenschaften“. Die Folgen seien gleich.
Behörden melden Missachtung von Maßnahmen
Nach Erkenntnissen der Behörden gibt es jedoch weiterhin vielfach Fälle, in denen Menschen die Anweisungen ignorieren. Laut Polizei betrifft dies insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene, die sich weiterhin an öffentlichen Orten versammeln. Die Beamten im niedersächsischen Göttingen etwa berichteten am Freitag auch von Eltern mit Kindern auf Spielplätzen und Gruppen in Cafés.
Göttingens Polizeipräsident Uwe Lührig sprach von einem „Schlag ins Gesicht gegenüber denjenigen, die täglich bis zur völligen Erschöpfung alles geben, um das Virus einzudämmen“. Derartiges Verhalten sei „absolut verantwortungslos“ und werde geahndet.
RKI-Präsident Wieler verwies auf eine aktuelle Umfrage, wonach ein Viertel der Deutschen nicht bereit sei, soziale Kontakte zu beschränken. Er könne nur um Einsicht bitten. Jüngere Menschen könnten Ältere anstecken, auch sie die Krankheit gut überstünden.
Ärzte-Präsident warnt vor Ausgangssperre
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, warnte vor einer Überforderung der Gesellschaft durch weitere drastische Anordnungen wie eine Ausgangssperre. „Damit schaffen Sie eine gespenstische Atmosphäre, die die Menschen extrem ängstigt“, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. „Mittelfristig“ müsse deshalb auf andere, weniger einschneidende Maßnahmen gesetzt werden. Er denke dabei an eine Isolierung von Risikogruppen bei gleichzeitiger Normalisierung.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte diesen Vorstoß scharf. Es gebe in Deutschland 18 Millionen Menschen im Alter von über 65 Jahren, erklärte Vorstand Eugen Brysch am Freitag. Hinzu kämen Millionen von Menschen mit schweren Erkrankungen. Es sei unmöglich, mehr als ein Viertel der Bevölkerung zu isolieren. (afp)
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