Epoch Times: Frau Ringeisen, die Arbeitgeber sind dazu angehalten, sich um die Gesundheit der Arbeitnehmer zu kümmern. Das ist die sogenannte Sorgfaltspflicht, die sich aus dem Paragraphen 3 Arbeitsschutzgesetz ergibt. Was sind denn nun eigentlich die Rechtsgrundlagen, mit denen der Arbeitgeber wirklich verbindlich sagen kann und darf: Ich führe jetzt hier einen Corona-Test durch?
Christiane Ringeisen: Hier muss man grundsätzlich unterscheiden, ob der Arbeitgeber ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim unterhält, oder nicht. Da gibt es entsprechende Verordnungen in den einzelnen Bundesländern zum Schutz der vulnerablen Personengruppen. Ärzte und Pfleger haben bezüglich des Infektionsschutzes eine andere Aufgabe. Sie arbeiten direkt am Menschen. Deshalb haben die Bundesländer basierend auf Paragraph 23 des Infektionsschutzgesetzes eine Testverordnung erlassen, durch diese sich die Arbeitnehmer einmal oder zweimal pro Woche einem PCR-Test oder Antigen-Schnelltest unterziehen müssen. Für andere Bereiche gibt es das noch nicht.
Der Arbeitgeber kann von einem Arbeitnehmer nicht verlangen, sich einem Test unterziehen zu lassen. Das muss in beiderseitigem Einverständnis geschehen. Es müsste in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag selbst drinstehen. Es braucht eine Rechtsgrundlage. Eine einseitige Anordnung, dass man in die körperliche Integrität von Arbeitnehmern eingreifen darf, das gibt es erstmal nicht.
ET: Wahrscheinlich wurden die meisten Arbeitsverträge vor der Corona-Krise geschlossen. Auch dass ein Tarifvertrag neu abgeschlossen wird, ist eher unwahrscheinlich. Was ist denn bei einer Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen? Was müssen Arbeitgeber machen, damit das wirksam geschlossen werden kann?
Ringeisen: Eine Betriebsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und dem Betriebsrat. Sie ist mitbestimmungspflichtig und muss dem Betriebrat vorgelegt werden. Der Paragraph 87.1 die Ordnung des Betriebes, d.h. dass ich z.B. ohne diesen Test nicht mehr aufs Werksgelände oder Betriebsgelände darf. Unter Punkt 7 steht, dass der Gesundheitsschutz gewährleistet sein muss. Auf diese zwei Ziffern werden sich in der Regel der Arbeitgeber und der Betriebsrat berufen, wenn sie zum Schutz der anderen Arbeitnehmer verbindliche Tests anordnen wollen.
Aber es gibt eine Besonderheit im Arbeitsrecht – die Betriebsvereinbarung. Die steht zwar hierarchisch gesehen über dem Arbeitsvertrag, aber wir haben im Arbeitsrecht das günstigste Leitprinzip. Das heißt, wenn es im Arbeitsvertrag keine Regelung dazu gibt, kann das der Arbeitnehmer verweigern. Auch lässt sich darüber streiten, ob eine Betriebsvereinbarung so etwas überhaupt darf, ob das verhältnismäßig ist, weil es ja um die körperliche Integrität der Arbeitnehmer geht. Das ist ein spannendes Feld.
ET: Sie haben ja auch mehrere Mandanten, die gerade mit diesem Thema betraut sind und haben dargelegt, dass es sich um invasive medizinische Eingriffe handelt. Wann tritt der Fall ein, dass ein Arbeitnehmer sagt, das möchte ich nicht dulden. Wann überwiegt das Interesse des Arbeitgebers zu sagen, mein Interesse, die anderen Beschäftigten zu schützen, ist höher?
Ringeisen: Da muss man differenzieren. Wir haben zwei Rechtsbereiche, die jetzt tangiert sind – das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dann muss man sich zuerst überlegen, ob es mildere Mittel gibt als einen Test. Z.B. eine Symptomabfrage? Das machen manche Gerichte. Da wird nachgefragt: Haben Sie Husten? Haben Sie Halsschmerzen? Also die typischen Erkältunganzeichen. Das wäre ein milderes Mittel als dieser Test.
Wenn man jemandem in die Nase, in den Rachen bohrt und körperliche Substanz entnimmt, kann man ihn verletzen. Es können auch allergische Reaktionen auftreten. Mir haben Leute gesagt, sie hatten zwei Tage Schluckbeschwerden und einen geschwollenen Hals. Das kommt tatsächlich auch vor.
Der Test ist nicht das glückseeligmachende Mittel. Was kann dieser Test eigentlich? Da muss man wirklich zwischen symptomatischen und symptomlosen Menschen differenzieren. Also muss man zuerst eine Symptomabfrage mache, danach könnte ich eigentlich erst auf die Stufe von Testung gehen. So sehe ich das.
ET: Wenn jetzt ein Arbeitgeber sagt, mein Interesse ist größer als das Interesse des Arbeitnehmers. Wann ist denn jetzt ein Arbeitnehmer berechtigt, diesen Test zu verweigern?
Ringeisen: Solange der Arbeitsvertrag nichts hergibt und es gesetzlich keine Grundlage wie z.B. eine Test-Verordnung gibt, kann ich diesen Test verweigern. Konsequenzen könnten eine Abmahnung, Freistellung oder eine gerichtliche Auseinandersetzung sein. Es gibt Leute, die sagen, dass es eine Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers, eine Art Pflichterfüllung vom Arbeitsvertrag gibt. Ich vertrete diese Auffassung nicht.
Also eine Rechtsgrundlage haben wir aktuell nicht, außer im medizinischen Bereich. Wenn der Gesetzgeber oder eine Verordnung kommen und was anderes festsetzen, dann reden wir von einem anderen zugrunde liegenden Sachverhalt. Aber jetzt aktuell haben wir das nicht.
ET: Also ein gesunder Mensch muss sich nicht einfach so testen lassen, weil es mildere Mittel als das gibt, richtig?
Ringeisen: Ja. Was ich jetzt auf dem Schreibtisch hatte, betraf immer Betriebe. Da gibt es Hygiene-Konzepte, da werden in der Regel Masken getragen. Und dann stellt sich natürlich die Frage, wenn Hygiene Konzepte bestehen, Abstände eingehalten werden oder manche Leute im Homeoffice sind, warum jetzt noch eine Testpflicht eingeführt werden sollte. In allen Fällen, die ich bis jetzt bearbeitet habe, gab es weder Infektions- noch Erkrankungsfälle. Das heißt für mich, das Hygienekonzept hat funktioniert. Warum kommt man da jetzt noch mit der verschärften Maßnahme?
ET: Was ist, wenn viele Menschen die Masken aus gesundheitlichen Gründen nicht tragen können. Wie würden Sie den Fall dann einstufen?
Ringeisen: Das kann man so pauschal gar nicht sagen. Das kommt auf die konkrete Arbeitssituation an. Meistens betrifft das nicht viele. Nur weil einer oder zwei eine Maskenbefreiung haben, reicht das noch nicht als Begründung, dass sich alle testen lassen müssen. Damit würde man jeden zu einem Gefährder, einem Ansteckverdächtigen machen. Und das ist nicht korrekt.
Es gibt dazu eine Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht, die in Bezug auf Masern im Jahr 2012 getroffen wurde. Da wurde ganz klar gesagt, dass ein Mensch, bei dem keine Krankheit und keine Krankheissymptome festgestellt sind – also ein sogenannter Ansteckungsverdächtiger, wie er im Infektionsschutzgesetz genannt ist – nur dann individuell in seiner Freiheit beschränkt werden darf, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass der Verdächtige Krankheitserreger aufgenommen hat, höher ist als das Gegenteil. Aber das kann ich einem Menschen, der eine Maskenbefreiung hat, nicht generell unterstellen. Ich müsste auch hier schauen, ob er Symptome hat. Das wäre das mildere Mittel und das wird zu wenig ausgereizt, sag ich mal so!
ET: Wieviel Aussagekraft haben eigentlich die PCR-Tests, die im Wesentlichen von den Arbeitgebern eingesetzt werden? Ein Berliner Abgeordneter hat dem Berliner Senat eine Anfrage gestellt, ob denn die PCR-Tests eine Infektion im Sinne des Infektionsschutzgesetzes nachweisen können. Das heißt, kann der Test nachweisen, dass ein vermehrungsfähiges Agens (Pilze, Bakterien, Viren) existiert. Und erst, wenn das der Fall ist, dann gilt diese Person laut Infektionsschutzgesetz als infiziert. Richtig?
Ringeisen: Er gilt sozusagen dann als Gefährder, das stimmt. Aber da gibt es eben diese Masern-Entscheidung und deshalb wird der Abgeordnete auch diese Anfrage gestellt haben. Also wir brauchen den Nachweis dieses vermehrungsfähigen Agens, damit das Infektionsschutzgesetz greifen kann. Ich muss zwischen gesunden Menschen, Ansteckungsverdächtigen oder erkrankten Menschen differenzieren. Ansonsten gebe es überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen Gesunden und Kranken. Das ist nicht Sinn und Zweck des Infektionsschutzgesetzes. Insofern freut es mich, dass die Anfrage mal gestellt worden ist.
ET: Die Anfrage wurde gestellt von dem Abgeordneten Marcel Lute ehemals FDP, jetzt fraktionslos. Und der Senat hat auch eine ganz unmissverständliche Antwort gegeben. Er hat nämlich auf die Frage, ob dieser PCR-Test tatsächlich Agens nachweisen kann oder nicht, mit einem Wort geantwortet: Nein, PCR-Tests können das nicht nachweisen. Wenn wir jetzt aber einen PCR-Test haben, der einen invasiven Eingriff darstellt, aber die Aussagekraft dieses Tests sehr fraglich ist, wie bewerten Sie dann rechtlich eine flächendeckende Testung durch Arbeitgeber?
Ringeisen: Als rechtswidrig. Definitiv. Wenn man ins Verhältnis setzt, was der Test kann, verglichen mit der Testintensität und was das für einen Aufwand für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber bedeutet, ist das enorm.
Angenommen, jemand wird mit einem Antigen-Schnelltest positiv getestet. Dann geht er in eine Arztpraxis und lässt sich nachtesten. Dieser Test wäre auch positiv. Das würde bedeuten, dass der Arbeitnehmer dem Risiko einer Quarantäne-Anordnung ausgesetzt ist.
ET: Wenn wir jetzt über die Aussagekraft von den Testergebnissen sprechen, dann muss man sich darauf verlassen können, was die offiziellen Angaben über Testung berichten. Was können Sie diesen offiziellen Aussagen zufolge aus Ihrer rechtlichen Beurteilung ableiten?
Ringeisen: Wenn es um diese Schnelltests geht, die ja jetzt in vielen Betrieben eingesetzt werden sollen oder auch in Schulen, hat das RKI eine PDF-Datei herausgegeben. Sie hat drei Seiten mit der Überschrift "Corona-Schnelltest-Ergebnisse verstehen“. Auf Seite 3 wird ganz klar erläutert, dass z.B. bei einer niedrigen Virenbelastung – sprich bei asymptomatischen Personen – die Wahrscheinlichkeit, ein falsch positives Ergebnis zu bekommen höher ist als bei einem PCR Test. Auch der PCR Test als solches liefert falsch positive Ergebnisse.
Und ganz oben, das finde ich sehr interessant, steht drin: Ein negatives Testergebnis schließt eine Sars-CoV2 Infektion nicht aus und ist deshalb kein Freifahrtschein. Alle Hygienemaßnahmen müssen auch bei negativem Testergebnis weiter eingehalten werden.
Zurück jetzt ins Arbeitsrecht. Das heißt, ich habe ein Hygiene-Konzept. Ich habe Abstände, Masken, Lüften was auch immer. Was bringt mir dann der Test noch obendrauf. Also wenn ich das nur lese, was jetzt das RKI dazu schreibt, haut es mich nicht vom Hocker. Das mag bei hochvulnerablen Gruppen, wie gesagt, Alters- oder Pflegeheim, Krankenhaus noch nachvollziehbar sein. Im normalen Arbeitsleben weiß ich nicht, wo da der Mehrwert sein soll. Infektionsschutz erschließt sich mir so nicht. Nein.
ET: Als letzte Frage vielleicht nochmal eine Empfehlung Ihrerseits. Was würden Sie einem Arbeitgeber empfehlen, der jetzt vor der Entscheidung steht, ob er flächendeckende Tests für seine Arbeitnehmer einführen soll? Und was würden Sie vielleicht einem Arbeitnehmer empfehlen, der vor diesen flächendeckenden Testungen durch den Arbeitgeber steht?
Ringeisen: Wenn ich jetzt Arbeitgeber beraten würde, würde ich ihnen sagen, dass man diese Tests am besten freiwillig anbietet. Also die Arbeitnehmer, die sich testen lassen wollen, können das gerne tun. Allerdings würde ich es jetzt bei der Rechtslage definitiv nicht verpflichtend anordnen.
Wenn es auf der Arbeitnehmerseite zu einer verpflichtenden Anordnung durch den Arbeitgeber kommt – ohne dass ich diese Test-Verordnung im Hintergrund habe – und ich nicht einverstanden damit bin, würde ich das meinem Arbeitgeber sagen. Ich würde zur Aufklärung – weil das viele nicht kennen – diese PDF-Datei vom Robert Koch-Institut übersenden. Dann können die sich das selbst noch mal durchlesen. Und wenn es gar nicht anders geht, dann landen die Leute halt wieder bei einem Anwalt, bei mir und anderen Kollegen, die sich dann damit beschäftigen dürfen.
ET: Vielen herzlichen Dank für das Interview und Ihre Zeit.
Das Interview führte Alexander Zwieschowski. Bearbeitet von Nancy McDonnell.
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