§28b IfSG: Ein gefährlicher Präzedenzfall
„Kompletter Ausfall des Rechtsschutzes für den Bürger“– er kann „nur noch auf die Straße gehen“
Prof. Volkmann bemängelt den kompletten Ausfall des Rechtsschutzes im neuen Infektionsschutzgesetz. Zum anderen schieße die Ausgangssperre vielleicht "über das Ziel hinaus“, erklärt der Rechtswissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Corona-Demo
Foto: über dts Nachrichtenagentur
Die Warnungen vor dem neuen Infektionsschutzgesetz nehmen zu – und das von juristischer und fachlich kompetenter Seite. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages äußerte Zweifel. Bisher verzichtet die Bundesregierung darauf, „eine umfassende Begründung vorzulegen, warum die geplanten Maßnahmen verhältnismäßig, notwendig oder wirksam sein sollten“, schreibt „Tichys Einblick“.
Nun äußerte sich Prof. Uwe Volkmann, Rechtswissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt a. Main, in einem Interview bei „Phoenix“ zur rechtlichen Dimension des Infektionsschutzgesetzes.
Das zentrale Problem für Prof. Volkmann ist der komplette Ausfall des Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten.
Bislang wurden alle Maßnahmen durch lokale Behörden (mit Rechtsverordnungen der Landesregierungen oder durch Allgemeinverfügungen der Kommunen) angeordnet. Daraufhin setzten sich die Verwaltungsgerichte mit den Klagen der Menschen dagegen auseinander.
Nun sollen die „Beschränkungen unmittelbar durch das Gesetz selbst angeordnet werden. Gegen Gesetze gibt es keine gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten. Das heißt, der komplette Rechtsschutz, der bislang gewährleistet war und auf den wir in der Bundesrepublik auch ein bisschen stolz waren … fällt nun komplett aus.“
Das ist nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers ein „ziemlich gefährlicher Präzedenzfall“.
Mit der Einordnung des ganzen Gesetzestextes als ein Bundesgesetz würde es in den Rang eines Bürgerlichen Gesetzbuches oder eines Strafgesetzbuches erhoben.
Laut Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes steht als Norm, dass bei Angriffen durch die öffentliche Gewalt jedem Bürger der Zugang zu Gerichten möglich ist. Als öffentliche Gewalt gelten im Sinne dieser Vorschrift nur Maßnahmen der Exekutive, also Verwaltungsakte.
„Das einzige, was man dann als Bürger noch tun kann, ist wieder auf die Straße zu gehen.“
Der andere Weg wäre, sich an das Bundesverfassungsgericht zu wenden. Dieses hatte jedoch bisher bei allen Maßnahmen im Grund genommen keine eigentliche rechtliche Überprüfung vorgenommen, sondern nur eine sehr allgemeine Folgenabwägung. Andererseits hat man in dieser Pandemie nicht viel vom Verfassungsgericht gehört.
„Wo kein Kläger da kein Richter?“
Auf die Frage der Moderatorin, ob das auf „Wo kein Kläger da kein Richter“ hinausläuft, antwortet der Rechtswissenschaftler mit Ja. Ja, das sei der Nebeneffekt, ob es das Ziel war, sei dahingestellt. Doch „wo kein Kläger da kein Richter“ sei eine klare Folge dieser Regelung.
Es sei zentral für die Befolgung der Maßnahmen, dass die Menschen diese akzeptieren und die Möglichkeit hätten, die Gerichte anzurufen. Für die Einsicht der Menschen sind gerichtliche Berufungsverfahren seiner Ansicht nach essenziell. Bei einer Ausgangssperre könne die Regierung nicht nur auf die Polizei setzen, die Bürger müssten die Maßnahmen verstehen und einsichtig sein.
Gerade bei der Ausgangssperre müsste man jedoch überlegen, ob das ein sinnvolles und geeignetes Mittel ist. Man müsste sich darüber verständigen, was überhaupt das Ziel wäre, was man damit erreichen will.
Die Unterbindung von Kontakten im Freien ist kein sinnvolles Ziel. Dann geht es vielleicht darum, Partys zu verhindern, also 30 oder 40 Leute, die sich irgendwo treffen. Dabei sei fraglich, ob man das damit erreichen kann oder ob diese Menschen dann nicht andere Wege finden würden.
„Geht es vielleicht darum, dass man Partys, von denen man immer liest, von 30 oder 40 Leuten, die sich abends treffen, verhindert? Dafür Millionen Leuten zu untersagen, abends nach 21 Uhr ihr Haus zu verlassen, das schießt vielleicht über das Ziel hinaus“
Denkbar wäre auch, mit einer Ausgangssperre nur ein Zeichen zu setzen: „Die Lage ist ernst“. Doch auch das wäre ein Ziel,
„welches eine so weitreichende Freiheitseinschränkung eigentlich nicht rechtfertigen kann.“
Gleiches bemängelten Experten aus der Regierung selbst: In einem Vermerk von Anfang März erklärte demnach eine Rechtsexpertin des Gesundheitsreferats, die „grundsätzliche Geltung einer nächtlichen Ausgangssperre“ sei mit Blick auf die „Verhältnismäßigkeit“ und die „derzeit nicht belegte Wirksamkeit“ problematisch und vor Gericht als rechtswidrig eingestuft worden.
FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner drohte eine Verfassungsbeschwerde an, falls die Bundesregierung beim Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes nicht nachbessere.
(ks)
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