Pistorius stellt Pläne vor: Alle Männer und Frauen erfassen – sechs Monate Grundwehrdienst

Der SPD-Verteidigungsminister legt die Karten auf den Tisch. Sein Vorschlag formuliert die ersten Schritte hin zu einer neuen Wehrpflicht.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bei einer Militärübung der Bundeswehr.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bei einer Militärübung der Bundeswehr.Foto: Daniel Löb/dpa
Epoch Times12. Juni 2024

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Mit einem neuen Wehrdienstmodell will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Personalstärke der Bundeswehr deutlich ausbauen.

Im Verteidigungsausschuss des Bundestags erläuterte er seine Pläne, in deren Zentrum ein sechsmonatiger Grundwehrdienst mit der Option einer freiwilligen Verlängerung stehe, wie aus dem Ausschuss gegenüber afp verlautete.

Alle Männer und Frauen erfassen

Der Minister plant demnach eine Erfassung der Wehrfähigen, den Versand von Musterungsfragebogen an alle jungen Männer und Frauen eines Jahrgangs sowie die Verpflichtung, auf Aufforderung eine Musterung vornehmen zu lassen. Für junge Frauen soll der Musterungsfragebogen freiwillig sein.

Bei den Plänen gehe es „ausschließlich um die Aufwuchsfähigkeit und die Stärkung der Reserve für die Gesamtverteidigung“, zitierte ein Sitzungsteilnehmer den Minister gegenüber AFP. Langfristiges Ziel sei eine Personalstärke der Bundeswehr von 460.000 Soldaten – 203.000 im stehenden Heer, der Rest in der Reserve.

Für dieses Ziel seien „weitere 200.000 Reservisten zu generieren“, wurde der Minister aus dem Ausschuss zitiert. Aktuell verfügt die Bundeswehr über rund 181.000 aktive Soldaten.

Debatte um Pflicht für Frauen

Pistorius wies den Angaben zufolge in der Ausschusssitzung darauf hin, dass aktuell die begrenzte Infrastruktur der Bundeswehr der „limitierende Faktor“ für den Ausbau des Personalbestands sei. Für 5.000 Wehrpflichtige würden womöglich Kosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro anfallen, wurde der Minister zitiert. Vorgesehen ist, zusätzliche Kapazitäten für Musterungen zu schaffen.

Für rege Debatten sorgte im Verteidigungsausschuss die Frage, ob eine Pflicht auch für Frauen gelten müsse. Die Koalitionspartei FDP sprach sich dafür aus, die Geschlechter in dieser Frage gleichzubehandeln. Sollten eine Wehrpflicht oder ein Wehrdienst kommen, müsste dies aus Sicht der FDP „für alle Geschlechter gelten – anders wäre eine Gerechtigkeit da nicht herzustellen“, verlautete aus der FDP-Fraktion. Ähnlich argumentierten Unionspolitiker.

Für eine Einbeziehung von Frauen müsste allerdings das Grundgesetz geändert werden. Grundgesetz-Artikel 12a ermöglicht einen verpflichtenden Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband bislang ausdrücklich nur für Männer.

Der Vorschlag des SPD-Politikers ist damit ein erster Schritt hin zur möglichen Wiedereinführung einer neuen Wehrpflicht. Zugleich will Pistorius erst mal die Schritte einleiten, die noch in dieser Legislaturperiode praktisch möglich erscheinen.

Die Bundeswehr wurde immer kleiner

Trotz einer Personaloffensive war die Bundeswehr im vergangenen Jahr auf 181.500 Soldaten geschrumpft. Pistorius ließ deshalb – auch unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine – Modelle einer Dienstpflicht prüfen.

Er hatte schon bei einer Regierungsbefragung durchblicken lassen, dass er nicht auf komplette Freiwilligkeit setzt: „Nach meiner festen Überzeugung wird es nicht gehen ohne Pflichtbestandteile.“ Wiederholt betonte er, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden, um zusammen mit den NATO-Verbündeten glaubhaft abschrecken zu können.

Zuletzt äußerte er beim Tag der Bundeswehr Verständnis dafür, dass der Begriff „Kriegstüchtigkeit“ einige erschreckt habe und immer noch störe.

Dies sei auch ein bisschen die Absicht gewesen. „Es ist notwendig, auch durch die richtigen Begriffe deutlich zu machen, worum es geht“, fügte er hinzu. Es gehe darum, einen Verteidigungskrieg führen zu können, wenn man angegriffen werde – „also vorbereitet zu sein auf das Schlimmste, um nicht damit konfrontiert zu werden“.

Die SPD-Spitze pochte auf Freiwilligkeit

Gegen die Wiedereinführung eines verpflichtenden Wehrdienstes gab es zuletzt vor allem in Teilen der SPD deutlichen Widerspruch. So hatte sich SPD-Chef Lars Klingbeil dafür ausgesprochen, bei der Rekrutierung weiterhin auf Freiwilligkeit zu setzen.

„Ich finde, wir sollten es freiwillig probieren, indem wir die Bundeswehr noch attraktiver machen“, sagte er. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hatte zum Jahreswechsel deutlich gemacht: „Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht gebraucht wird.“ Widerstand gegen einen verpflichtenden Dienst gab es auch aus der FDP, wobei eine Kursänderung möglich erscheint.

Verpflichtend wäre nach dem Pistorius-Modell nun die Beantwortung des Fragebogens sowie die Musterung, wenn zu dieser eingeladen wird. Er plädiert dem Vernehmen nach dafür, auch schon in Friedenszeiten Wege für einen verpflichtenden Militärdienst freizumachen, falls nicht genug Rekruten gefunden werden.

Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich.

Gleichzeitig wurden praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Im Wehrpflichtgesetz ist aber weiter festgelegt, dass die Wehrpflicht für Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt, ohne dass es nach 2011 noch konkrete Vorbereitungen für eine solche Situation gab.

Die Gerechtigkeit beim Wehrdienst bleibt ein Problem

In der Debatte um den Wehrdienst geht es auch um die verfassungsrechtlich gebotene Wehrgerechtigkeit. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, es habe seit der Gründung der Bundeswehr immer mehr wehrfähige Männer gegeben, als für die Armee benötigt wurden, was vielfach als ungerecht empfunden worden sei.

Der Staat kennt auch andere verpflichtende Dienste, wie bei Schöffen. Jeder Staatsbürger ist zur Übernahme dieser Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter verpflichtet. Und für den Feuerschutz wird eine sogenannte Pflichtfeuerwehr dann eingerichtet, wenn eine Freiwillige Feuerwehr nicht zustande kommt. Die Kommunen müssen dann geeignete Personen zum Feuerwehrdienst verpflichten.

Öffentlich diskutiert wurde zuletzt auch eine weiter gefasste neue Dienstpflicht, die auch Rettungsdienste und den Katastrophenschutz umfassen könnte. Für eine Dienstpflicht junger Frauen müsste das Grundgesetz geändert werden.

Bundeswehrverband sieht Testfall für „Zeitenwende“

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, hatte vor Bekanntwerden der Pistorius-Pläne entschlossene Schritte für einen neuen Wehrdienst gefordert. Die Personalzahlen in der Bundeswehr seien in diesem Monat auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen, sagte Wüstner in Berlin.

„In den kommenden Tagen wird sich zeigen, bei wem seit Ausrufung der Zeitenwende zumindest verteidigungspolitisch tatsächlich eine Erkenntniswende eingetreten ist“, sagte der Verbandschef mit Blick auf die Debatte.

„Denn wer das von sich behauptet – ich hoffe, dass es zumindest die Fachpolitiker tun – der wird sich nicht pauschal gegen eine neue Wehrform oder eine neue Art Wehrpflicht wenden können.“ (dpa/red)



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