Persönlichkeit schlägt Partei: Boris Palmer kann erneut Tübingen erobern
Am 22. Oktober 2006 wählte Tübingen erstmalig Boris Palmer zu seinem Oberbürgermeister. Mit 50,4 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 51,6 Prozent kam der damalige Landtagsabgeordnete der Grünen im ersten Wahlgang auf eine hauchdünne absolute Mehrheit. Am Sonntag (24. Oktober) wiederholte Palmer das Kunststück – diesmal jedoch als parteiloser Kandidat. Mit 52,4 Prozent ließ er die Konkurrenz deutlich hinter sich, auch Grünen-Kandidatin Ulrike Baumgärtner.
Besonders auffällig war die Wahlbeteiligung in der Universitätsstadt. Für eine Kommunalwahl war diese mit 62,6 Prozent ungewöhnlich hoch. Palmer nannte sie sogar „sensationell“ und äußerte, man habe damit „möglicherweise einen Baden-Württemberg-Rekord aufgestellt“. Sowohl regionale als auch überregionale Beobachter gehen davon aus, dass der amtierende OB seine Wiederwahl vor allem einer starken Wählermobilisierung verdankt.
Boris Palmer wollte bei zweitem Platz nicht mehr kandidieren
Palmer hatte seine politische Zukunft bereits im Voraus von seinem Ergebnis im ersten Wahlgang abhängig gemacht. Gegenüber der „Pforzheimer Zeitung“ erklärte er, nicht mehr zu einer Stichwahl antreten zu wollen, sollte er nach dem ersten Durchgang nicht voran liegen:
Wenn ich diese Wahl nicht für mich entscheiden kann, ist die politische Figur Boris Palmer am Ende.“
Am Ende hatte seine Strategie, vollständig auf sich selbst als Persönlichkeit zu setzen, Erfolg. Im Vorfeld waren es vor allem lokal exponierte Personen des öffentlichen Lebens, die zur Wiederwahl Palmers aufgerufen hatten. Die örtliche CDU hatte weder einen eigenen Kandidaten aufgestellt, noch eine Wahlempfehlung ausgegeben. Die AfD hat sich in Tübingen zuletzt am 25. August überhaupt öffentlich zu Wort gemeldet.
Von Medien unverhohlen als „Rassist“ dargestellt
Das Parteiausschlussverfahren, das die Grünen gegen Palmer angestrengt hatten, ist vorerst durch eine Einigung mit dem 50-jährigen Stadtoberhaupt abgewendet. Wie die „Tagesschau“ berichtet, ruht dessen Mitgliedschaft einvernehmlich bis Ende 2023.
Am Wahlabend erklärte Palmer, den die „Pforzheimer Zeitung“ als „provokant-pöbelnden Politiker“ und die „Frankfurter Rundschau“ als „Rassist“ betitelt hatten, seinen Stil nicht verändern zu wollen. Er habe jedoch noch am Wahlabend Kontakt zu Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesucht.
Dabei machte er den Grünen das Angebot, sich gemeinsam auf die Ökologie als das „einigende Band der Grünen“ zu verständigen. Dies wolle er auch künftig stärker hervorheben.
Grüne kamen bei der Landtagswahl in Tübingen noch auf 44 Prozent
Dass Palmer mit seinem Persönlichkeitswahlkampf auf Anhieb die absolute Mehrheit verteidigen konnte, hat zweifellos in erster Linie mit Eigenheiten der Kommunalpolitik zu tun. Gerade im Süden ist es seit Langem alltäglich, dass populäre unabhängige Kandidaten jene der Parteien in die Schranken weisen.
Im Fall Palmers lässt sich das Ergebnis jedoch auch als Misstrauensvotum gegen die Parteien insgesamt lesen – insbesondere gegen die Grünen. Hatten diese in Tübingen bei der Landtagswahl 2021 noch mehr als 44 Prozent auf sich vereinigen können, kam die offizielle OB-Kandidatin nur noch auf 22.
Palmer hatte es geschafft, Wähler gegen die etablierten Angebote und gegen seine eigene Partei zu mobilisieren. Es ist auch davon auszugehen, dass sich das Fehlen eines eigenen CDU-Kandidaten oder eines Kandidaten rechts der Mitte zu seinen Gunsten ausgewirkt hat.
Boris Palmer – der „Lieblingsgrüne der Rechten“?
In der konservativen und rechten Wählerschaft galt eine Stimme für Boris Palmer als ein Votum gegen Cancel-Kultur und politische Korrektheit. Seine kritischen Worte zu Themen wie Kriminalität oder Integrationsverweigerung unter Geflüchteten fanden vor allem dort Anklang. Auch in der Sicherheitspolitik und in der Frage eines unideologischen Umgangs mit der Kernenergie sammelte Palmer Punkte.
Ihn lediglich als „Lieblingsgrünen der Rechten“ einzuordnen, würde jedoch den Realitäten nicht gerecht. Bereits 2009 übte der Publizist Henryk M. Broder scharfe Kritik an Palmer, als das Bundesverdienstkreuz an die israelkritische Publizistin Felicia Langer in Tübingen verliehen wurde. Die 2018 verstorbene Rechtsanwältin lebte in der Universitätsstadt.
Auch in der Corona-Krise stieß Boris Palmer sowohl Anhänger als auch Kritiker einer rigiden Null-COVID-Politik vor den Kopf. Auf der einen Seite wandte er sich gegen überzogene Eindämmungsmaßnahmen, die der Wirtschaft stärker schaden, als Menschenleben retten würden. Auf der anderen Seite befürwortete er eine generelle Impfpflicht für Menschen über 50 Jahre und Ausgangssperren ab 20 Uhr.
(Mit Material der dpa)
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