Paul-Ehrlich-Institut: Hinweise auf Corona-Ansteckung trotz Impfung
Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, dämpft die Hoffnung, dass Geimpfte das Virus nicht weiterverbreiten. Tierversuche an Altweltaffen hätten gezeigt, dass die Impfung eine Erkrankung verhindert, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. In der Nase und im Rachen waren aber weiter Viren nachweisbar.
Einen bremsenden Effekt auf die Pandemie sieht Cichutek dennoch. „Auch wenn keine sterile Immunität nach der Impfung erreicht wird, so ist es möglich, dass die SARS-CoV-2-Viruslast vermindert und die Verbreitung des Virus reduziert wird“, sagte er der FAS. Politiker der Regierungsparteien halten es auch für möglich, dass Geimpfte sich mit dem Coronavirus infizieren, ohne krank zu werden, und andere damit anstecken. Sie wollen deshalb vorläufig keinen Unterschied machen zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften, Maskenpflicht und Versammlungsverbote sollen weiter auch für Geimpfte gelten.
„Die von der SPD losgetretene Diskussion über ein Verbot der Privilegierung von Corona-Geimpften ist eine Phantomdebatte“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak, der FAS. Man wisse einfach nicht, „ob Menschen nach einer Impfung nicht mehr ansteckend sind“. Solange dies so ist, stelle sich die Frage einer Privilegierung nicht, sie sei rein hypothetisch und verunsichere die Menschen nur. Auch der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, argumentierte mit der Möglichkeit, dass Geimpfte weiter ansteckend sein können. „Noch ist ungeklärt, ob Geimpfte ansteckend sind und zudem haben noch nicht alle Bürger Zugang zu Impfungen. Solange das so ist, kann es keine Sonderprivilegien für Geimpfte geben, so wichtig Impfungen auch sind“, sagte er der FAS.
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD), sagte, es sei „noch unklar, ob und wie lange die Impfung vor Weitergabe des Virus schützt“. Auch deswegen stelle sich „die Frage einer Andersbehandlung für Geimpfte nicht“. Auf europäischer Ebene warnte sie vor unterschiedlichen Regelungen für Geimpfte. „Nach dem Grenz-Chaos aus dem Frühjahr wäre ein Flickenteppich an Regelungen für Geimpfte ein neue Herausforderung für die europäische Einheit“, sagte Barley der FAS.
Sollte sich herausstellen, dass Geimpfte nicht mehr infektiös sind, fordert der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki, für sie alle Einschränkungen aufzuheben. „Das ist kein Corona-Sonderrecht, sondern der Ausdruck unseres freiheitlichen Rechtsstaates“, sagte Kubicki der FAS. Auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sagte, von „Privilegien“ oder „Sonderrechten“ für Geimpfte könne keine Rede sein. „Wenn sich in Zukunft zeigen sollte, dass geimpfte Personen auch andere nicht anstecken können, entfiele ihnen gegenüber auch die verfassungsrechtliche Legitimation für Maßnahmen wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen oder die Maskenpflicht“, sagte Papier.
Daran könne auch der Wunsch des Gesetzgebers nichts ändern, gesellschaftliche Spannungen zu vermeiden – zumal, wie der frühere Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm sagte, „niemand vorhersehen kann, ob es zu solchen Spannungen überhaupt kommen würde oder ob es nicht vielleicht gerade umgekehrt zu Unfrieden führt, wenn geimpfte Menschen gezwungen sind, sich weiter an Regeln zu halten, die für sie keinen Sinn mehr ergeben“.
Grimm geht dennoch von einem weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers aus, da Lockerungen für geimpfte Personen schwer absehbare Folgewirkungen haben könnten: „Ein Konzert besteht nicht nur aus seinen Gästen, deren Impfstatus an der Pforte kontrolliert werden müsste, sondern auch aus Musikern, Technikern, Servicepersonal und vielen weiteren Personen, die alle an- und abreisen und zusammenarbeiten müssen.“
Der Verfassungsrechtler Christoph Möllers plädiert deshalb für eine Unterscheidung anhand der betroffenen Grundrechte: „Eine Demonstration, an der nur Geimpfte teilnehmen, wird man weder verbieten noch unter infektionsschutzrechtliche Auflagen stellen können. Bei geringfügigen Eingriffen wie einer Maskenpflicht in der Fußgängerzone muss der Gesetzgeber aber wohl schon aus Praktikabilitätsgründen nicht nach dem Impfstatus differenzieren.“
Im privaten Bereich sind Papier und Möllers sich einig, dass jedenfalls der Zugang zu essentiellen Einrichtungen wie Apotheken oder öffentlichen Verkehrsmitteln nicht vom Impfstatus abhängig gemacht werden darf. Betreiber von Hotels, Restaurants oder Theatern müssen nach Papiers Auffassung jedoch grundsätzlich frei entscheiden können, wem sie Einlass gewähren, Möllers hingegen hält ein gesetzliches Diskriminierungsverbot auch hier einstweilen für zulässig, um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu verhindern. (dts)
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