„Gerade im Osten gibt es harten Widerstand gegen das Impfen“
In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ äußert der neue Ostbeauftragte der Ampel-Regierung, Carsten Schneider, sich erstmals zur Lage in Ostdeutschland und zur Impfskepsis vor allem in Ostdeutschland.
Was die Unzufriedenheit im Osten mit der Regierungspolitik der letzten Jahre angeht, nennt Schneider mehrere Gründe. Zum einen fehlten im Osten aus seiner Sicht funktionierende Strukturen der demokratischen Parteien.
Auf dem Land habe die SPD zum Beispiel kaum Mitglieder. Stattdessen gebe es eine AfD-Affinität. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung ziehe sich weit bis in die Mitte hinein. Die einzigen Strukturen seien oft nur „Feuerwehr und der Sportverein“.
Auch sei für den Osten charakteristisch, dass er männlich dominiert sei. Die Elite sei in den ländlichen Regionen ebenso wie viele junge Frauen weggegangen. Die Männer im Osten seien folglich „in der Abgrenzung gegenüber Fremden und überhaupt Neuem härter und anders drauf“. Man müsse lernen, mit Fremden umzugehen.
Erst die Wende, dann die Flüchtlinge
„Ich glaube, eine Erklärung für die Wut ist der hohe Veränderungsdruck der vergangenen Jahrzehnte, das permanente Ums-Überleben-Kämpfen und Auf-Neues-Einstellen-Müssen seit 1989“, so Schneider. „Dann kam mit der Flüchtlingsbewegung erneut eine starke Veränderung, nun krempelt Corona alles um. Viele Ostdeutsche sind einfach erschöpft.“
Die Leute hätten einfach in weiten Teilen das Gefühl, rumgeschubst zu werden. „Und jetzt kommen diese Wut und der Trotz raus – aber an der total falschen Stelle“, so Schneider.
In seinem neuen Amt will Schneider künftig „viel übers Land fahren und überparteiliche und niedrigschwellige Diskussionsangebote machen“.
Dabei könne er sich eine Neuauflage der Runden Tische aus der Zeit der friedlichen Revolution gut vorstellen. Diese seien „eine im Osten erarbeitete Tradition ohne hohe Eintrittsbarrieren wie bei einer Partei“.
Schneider befürwortet Impfpflicht
Was die Impfpflicht angeht, hat Schneider wenig Verständnis für Impfskepsis. Nach der Finanzkrise gelte es nun, die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Er selbst habe eine Impfpflicht nie ausgeschlossen. Er und seine Familie seien alle geimpft.
Ihm zufolge müsse die Politik auf die jeweilige Situation reagieren und die ändere sich schnell. Gerade im Osten sei die Lage bezüglich COVID-19 angespannt. „Der Trotz und die Wut der Leute, woher sie auch kommt, richtet sich am Ende gegen sie selbst“, sagte Schneider.
„Ich habe mir nicht vorstellen können, dass es gerade im Osten so harten Widerstand gegen das Impfen gibt – in der DDR war es üblich und akzeptiert“, so Schneider weiter.
Allerdings gebe es in Ostdeutschland wie in einigen osteuropäischen Ländern ein „rückläufiges Institutions- und Staatsvertrauen“, sagt Schneider. Offenbar symbolisiert die Impfung den Staat, weil die Regierung dazu aufrufe. (nh)
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