„Ob die Impfpflicht wirklich kommt, wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher“
Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hat angesichts der Probleme bei der politischen und rechtlichen Durchsetzbarkeit einer allgemeinen Corona-Impfpflicht einen Verzicht auf entsprechende Pläne gefordert. „Die Diskussion über die Impfpflicht überschattet aktuell alles. Doch ob sie wirklich kommt, wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher“, sagte Brysch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwochsausgaben).
„Auch wenn der Bundeskanzler das Thema Impfpflicht zur Chefsache erklärt hat, sollte Olaf Scholz jetzt auch die Größe zur Umkehr besitzen“, sagte Brysch. Dringendere Themen seien wegen der Diskussion „schon viel zu lange aufgeschoben“ worden.
Die Fragen zur Impfpflicht seien sehr komplex, sagte Brysch. Wer den Einstieg jetzt wolle, müsse auch erklären, wie der Ausstieg aus der Pflicht möglich sein werde.
Brysch forderte gleichzeitig eine Pflegereform mit Entlastungen für die über vier Millionen Pflegebedürftigen sowie ein bundesweites Konzept für die Stärkung der Krankenhausversorgung im ländlichen Raum und zum Abbau der Überversorgung in den Ballungszentren.
SPD nennt Zeitplan für Entscheidung über Impfpflicht
Die SPD will indessen Ende Januar einen konkreten Vorschlag für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland machen. Unmittelbar nach der ersten „Orientierungsdebatte“ im Bundestag, die in zwei Wochen stattfinden soll, würden Abgeordnete der SPD Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen, sagte Fraktionschef Rolf Mützenich in Berlin. Sie sollen dann Grundlage für einen Gruppenantrag zusammen mit Parlamentariern anderer Fraktionen sein.
Bis zu einer Entscheidung im Bundestag sollte sich das Parlament danach nicht länger als zwei Monate Zeit lassen, meinte Mützenich: „Wir werden das im März abgeschlossen haben, ganz klar.“
Sechs Wochen nachdem sich der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz – damals noch Vizekanzler – für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen hat, gibt es damit nun erstmals einen Zeitplan für die Umsetzung des Projekts. Allerdings könnte es bis zu einer Entscheidung länger dauern als von Scholz vorgeschlagen. Der SPD-Politiker hatte Anfang Februar oder Anfang März als Wunschtermine für die Einführung der Impfpflicht genannt. Das wäre nur noch mit Sondersitzungen des Bundestags zu machen.
Scholz war in den vergangenen Wochen zunehmend unter Druck geraten. Die Union hatte ihm in der Debatte Führungsschwäche vorgeworfen und einen Zeitplan verlangt. Mützenich zeigte sich entschlossen alles zu tun, damit die Entscheidung vor Ende März fällt.
Sondersitzungen nicht ausgeschlossen
Mit Blick auf eine lange Phase ohne Bundestagssitzungen im Februar schloss der SPD-Fraktionschef auch Sondersitzungen des Parlaments nicht aus. „Wenn es notwendig ist, sind wir (…) jederzeit in der Lage, im Deutschen Bundestag zu beraten“, sagte er.
Die Ampel-Koalition hatte sich darauf verständigt, dass die Abgeordneten frei über eine Impfpflicht entscheiden können, ohne sich an eine bestimmte Fraktionslinie halten zu müssen. Aus den Reihen von SPD, Grünen und FDP gibt es bisher nur einen Antrag von Abgeordneten um den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki von der FDP, in dem eine Impfpflicht abgelehnt wird.
Bevor die SPD nun die Eckpunkte für eine Impfpflicht vorlegt, soll in der Woche vom 24. bis 28. Januar die Orientierungsdebatte stattfinden. Mützenich lud grundsätzlich alle Parlamentarier ein, sich danach an einem gemeinsamen Gruppenantrag zu beteiligen. Er zeigte sich zuversichtlich, dass der größte Teil der SPD-Abgeordneten für die allgemeine Impfpflicht stimmen werde.
Kurz vor den Äußerungen Mützenichs hatte sogar Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen das Tempo der Impfpflicht-Debatte kritisiert: „Wir verlieren sehr viel Zeit.“ Die Ministerpräsidenten hätten die Bundesregierung und den Bundestag schon vor Weihnachten aufgefordert, einen Zeitplan vorzulegen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte, er wolle sich nicht auf eine bestimmte Sitzungswoche für eine Abstimmung festlegen lassen. Aber: „Wenn man zu einer Entscheidung im ersten Quartal käme, dann sehe ich gar kein Problem, das soweit umzusetzen, dass es im Herbst Wirksamkeit hätte.“ Eine Impfpflicht käme ohnehin gegen die laufende Omikron-Welle zu spät, sagte Dürr.
Ein „Hin und Her“ in der Union
Bei der Union gab es ein Hin und Her in der Frage. Am Nachmittag stellte die Spitze der Unionsfraktion klar, dass CDU und CSU im Bundestag derzeit keinen eigenen Gesetzesvorschlag für eine Impfpflicht vorlegen werden. Der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger hatte zuvor in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe einen eigenen Unionsantrag angekündigt.
Schließlich bot Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) der Ampel-Regierung Gespräche über eine Impfpflicht an. Wenn man eine solche Impfpflicht mache, brauche dies „einen breiten demokratischen Konsens und nicht eine Situation, wo man dann vier Gruppenanträge hat und ein Gruppenantrag sich dann irgendwo knapp durchsetzt“, sagte Brinkhaus.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Stephan Brandner, kündigte einen eigenen AfD-Antrag gegen die Einführung einer Impfpflicht an. „An Gruppenanträgen, die einzig dazu dienen werden, das wortbrüchige Verhalten der anderen Parteien zu kaschieren, werden wir uns nicht beteiligen.“ (dpa/afp/dl)
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