Neue „Kalifat“-Demo angekündigt – sind Medien und Politik Teil des Problems?
Mit 1.100 Teilnehmern hatten um zwei Drittel weniger Anhänger an der Demo von Muslim Interaktiv Ende April in Hamburg teilgenommen als an vorhergehenden im November 2023 und im Februar. Die Aufmerksamkeit, die der Aufmarsch mit sich gebracht hatte, hat den Extremisten jedoch einen massiven PR-Erfolg ermöglicht. Weitere Aktionen sollen folgen.
Die CDU ruft nach Verschärfungen des Strafrechts. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt fordert eine Ausbürgerung der Anhänger der „Hizb ut-Tahrir“-Ersatzorganisation, von denen die meisten mutmaßlich seit Geburt deutsche Staatsangehörige sind. Die laut Verfassungsschutz in Hamburg lediglich 1.500 Mitglieder zählende und in der muslimischen Community isolierte Gruppe ist Thema in Leitartikeln, Talkshows und auf Parteitagen.
Muslim Interaktiv will am Samstag erneut in Hamburg aufmarschieren
Für kommenden Samstag, 11. Mai, ist in Hamburg eine erneute Kundgebung der Anhänger eines „Kalifats“ angekündigt. Grünen-Chef Omid Nouripour fordert deren Verbot. Wie bereits bei den vorangegangenen Aufmärschen wird ein solches voraussichtlich nicht gelingen – und Islamwissenschaftler Patrick Möller verwundert das nicht. In einem Gespräch mit der „tageszeitung“ (taz) erklärt er:
„Die Veranstalter bewegen sich im Rahmen der Rechtsordnung und damit darf der Staat nicht einschreiten – so unerträglich die Bilder und Reden von der Demo auch sind. Die Führungsleute in der Hizb ut-Tahrir wissen genau, wie weit sie gehen können.“
Der langjährige Mitarbeiter des Violence Prevention Networks (VPN) erläutert, dass die Gruppierung zwar extremistisch sei und Gewalt grundsätzlich auch legitimiere, diese solle jedoch erst angewendet werden, wenn das erstrebte „Kalifat“ in Reichweite sei. Entsprechend gehe auch von ihren Aufmärschen keine Gewaltbereitschaft aus und es werde auch gezielt darauf geachtet, den Rahmen der Rechtsordnung bezüglich der Parolen, die man verwende, nicht zu überschreiten. Deshalb sehe die Polizei auch regelmäßig keine Handhabe für ein Verbot der Kundgebungen.
Dogmatisch und isoliert – aber in sozialen Medien versiert
Möller zeigt sich jedoch verwundert darüber, dass Politik und Medien überrascht reagieren angesichts des Umstandes, dass Hizb-ut-Tahrir-Ableger wie Muslim Interaktiv oder Generation Islam bereits seit 2020 regelmäßig durch Kundgebungen dieser Art in Erscheinung treten. Im November des Vorjahres hatten sogar 3.000 Personen an einem Aufmarsch der Gruppe in Essen teilgenommen.
Die 1953 in Ostjerusalem gegründete Hizb ut-Tahrir stellt eine isolierte Splittergruppe unter den „islamistischen“ Vereinigungen dar. Sie strebe ein globales „Kalifat“ an und betrachte jede andere Staatsform als „ungläubig“, inklusive islamischer Staatsformen, wie es sie in Saudi-Arabien oder den Golfemiraten gebe:
„Sie ist derart dogmatisch, dass sie – anders als etwa die Muslimbrüder – sich auch nie in politische Systeme in der muslimischen Welt einbinden ließ und dort fast überall verboten ist.“
Die Stärke der Gruppierung liege in Deutschland in ihren Fähigkeiten, über TikTok und andere soziale Plattformen durch moderne Inszenierungen ihrer Propaganda junge Menschen anzusprechen. Zum Teil spiele auch die Politik selbst der Gruppierung in die Hände – durch Pauschalisierungen und Schikanen gegen Muslime in Deutschland insgesamt.
Politische Schikanen gegen Muslime als Agitationshilfe für Extremisten
Dies, so Möller, sei beispielsweise 2018 der Fall gewesen, als die damalige CDU-Staatssekretärin in NRW, Serap Güler, ein Kopftuchverbot an Schulen bis zum 14. Lebensjahr gefordert hatte. Eine Ersatzorganisation der seit 2003 mit einem Betätigungsverbot belegten Hizb ut-Tahrir habe daraufhin eine Petition „Nicht ohne mein Kopftuch“ gestartet, die auf starke Resonanz stieß:
„Das Gesetz kam aber nie und wäre wohl auch verfassungswidrig gewesen. Für viele Muslime war die Debatte aber ausgrenzend und verletzend. Mehr als 170.000 Menschen unterschrieben die Petition – die meisten wahrscheinlich, ohne zu wissen, von wem sie kommt.“
Die Politik habe auf diese Weise indirekt Sympathiewerbung für die Extremisten betrieben, kritisiert der Islamwissenschaftler. Es sei auch jetzt zu befürchten, dass tägliche Nachrichten eine Steilvorlage für die Extremisten böten. Der Krieg Israels gegen die Hamas im Gazastreifen fordere zivile Opfer – und die dazugehörigen Bilder bewirkten eine starke Emotionalisierung in Teilen der muslimischen Community.
In der Extremismusprävention gebe es deshalb bereits eine wachsende Zahl an Anfragen von Angehörigen und Lehrern. Immerhin sei die als Sekte geltende Hizb ut-Tahrir jedoch in einem so hohen Maße ideologisch erstarrt, dass es ihr nicht gelinge, kurzfristig gewonnene Interessenten langfristig zu binden.
Fegebank: Anführer von Muslim Interaktiv wird „nicht Lehrer in Hamburg werden“
Bezüglich eines möglichen Verbots von Gruppierungen wie Generation Islam oder Muslim Interaktiv ist nun Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Zug. Für das Verbot von Vereinigungen ist ihr Haus zuständig. Faeser selbst hatte mit Blick auf die Kundgebung vom letzten Aprilwochenende in Hamburg bereits Konsequenzen angekündigt.
Im Rahmen einer Sitzung des Hamburger Senats hat die Zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank, erklärt, dass man sorgfältig Möglichkeiten geprüft habe, die Kundgebung von Muslim Interaktiv zu verbieten. Eine extremistische Ausrichtung der Veranstalter sei für sich allein jedoch noch kein Grund, Kundgebungen zu verbieten.
Tatsächlich hatte die rechtsextremistische NPD in den 1990er- und 2000er-Jahren bis zu 7.000 Teilnehmer zu legalen Demonstrationen mobilisieren können. Auch finden – trotz regelmäßiger Gewalt in deren Umfeld – jährlich legal linksextremistische Aufmärsche von „Autonomen“ zum „Revolutionären 1. Mai“ statt. In politischen Einfluss konnten die Protagonisten diese nicht ummünzen.
Gänzlich ohne Konsequenzen werden aber auch im Fall von Muslim Interaktiv die Umtriebe nicht bleiben. Fegebank bestätigte, dass der Anführer der Organisation, Raheem Boateng, ein Lehramtsstudium betreibe. Aufgrund seiner extremistischen Einstellung werde er jedoch keine Anstellung als Lehrer bekommen. Extremisten würden nicht zum Dienst an einer Schule zugelassen:
„Diese Person ist bekannt, der Name ist bekannt und deshalb wird er in Hamburg kein Lehrer sein.”
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