Nach Nawalny-Vergiftung: Was wird aus Nord Stream 2?
In Deutschland dauert die Debatte über Konsequenzen aus der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny an.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen forderte Deutschland und Frankreich auf, „Alleingänge“ in der Russland-Politik zu beenden. Der „Rheinischen Post“ sagte er: „Eine gemeinsame europäische Strategie gegenüber Russland kann es nur geben, wenn Deutschland und Frankreich ihre Alleingänge aufgeben.“
Frankreich dürfe nicht länger auf eine bilaterale strategische Partnerschaft mit Russland setzen. „Der Dreh- und Angelpunkt für eine gemeinsame europäische Strategie ist, Nord Stream 2 nicht fertigzustellen“, forderte Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags und Bewerber um den CDU-Vorsitz. Die Zustimmung Deutschlands zu diesem russischen Projekt sei von Anfang an gegen die große Mehrheit der europäischen Partner erfolgt. Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 soll russisches Gas nach Deutschland bringen – nach der Vergiftung Nawalnys ist eine Debatte entbrannt, ob das Vorhaben als Reaktion gestoppt werden sollte.
„Die EU ist eine Handelsmacht, und Putin ist existenziell darauf angewiesen, seine Energieressourcen international zu verkaufen“, sagte Röttgen. „Wenn Nord Stream 2 zu Ende gebaut würde, dann hätte die niederträchtige Vergiftung von Alexey Nawalny, die das Fass zum Überlaufen gebracht hat, keine Konsequenzen.“ Eine stärkere Ermutigung für Putins Politik sei nicht denkbar.
Die Bundesregierung betrachtet es nach Untersuchungen eines Speziallabors der Bundeswehr als zweifelsfrei belegt, dass Nawalny mit dem militärischen Nervengift Nowitschok vergiftet wurde. Der Oppositionspolitiker war am 20. August auf einem Flug in Russland plötzlich ins Koma gefallen und später auf Drängen seiner Familie in die Berliner Charité verlegt worden. Nach Angaben der Charité ist sein Gesundheitszustand weiter ernst. Deutschland und Frankreich forderten Russland am Freitag noch einmal gemeinsam zur Aufklärung der Vergiftung Nawalnys auf.
Der Greifswalder CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, in dessen Wahlkreis die Ostsee-Pipeline anlanden soll, forderte eine „klare Antwort Deutschlands und der Europäischen Union“. Amthor sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Vollendung von Nord Stream 2 von russischer Seite als Bestätigung des menschenverachtenden und völkerrechtsunfreundlichen Kurses von Wladimir Putin verstanden wird.“
„Ganz im Gegenteil: Die aktuellen Geschehnisse erfordern eine klare Antwort Deutschlands und der Europäischen Union, wobei wir in unserer Abwägung aber nicht vergessen dürfen, dass hinter Nord Stream 2 auch berechtigte deutsche Interessen stehen.“ Amthor betonte am Freitagabend auf seinem Facebook-Account, dass er sich keineswegs für einen Baustopp der Gas-Pipeline ausgesprochen habe.
In Mecklenburg-Vorpommern stehen sowohl die Landesregierung als auch die Opposition hinter dem Pipeline-Projekt. Die Gasleitung durch die Ostsee soll in Lubmin bei Greifswald das Festland erreichen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich für das Projekt ausgesprochen.
Nach Meinung von Energieökonom Marc Oliver Bettzüge ist Nord Stream 2 aus energiewirtschaftlicher Sicht „nicht von existentieller Bedeutung für die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Gasversorgung in Deutschland oder Europa.“ Zwar könnte Nord Stream 2 Modellrechnungen zufolge die Gaspreise in der EU spürbar senken. Eine Angebotslücke beim Gas drohe aber ohne die Pipeline nicht, sagte der Professor für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit an der Universität zu Köln der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Eine Mehrheit der Deutschen ist indessen dafür, dass Altkanzler Gerhard Schröder seinen Gazprom-Posten aufgeben sollte. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die „Augsburger Allgemeine“ befürworten 53,4 Prozent der Befragten, dass sich der frühere SPD-Vorsitzende wegen des Falls Nawalny zurückzieht, 33,1 Prozent haben eigenen Angaben zufolge kein Problem mit seinem Posten. Der Rest ist demnach unentschieden.
Vier von zehn Befragten (41 Prozent) sind laut Civey gar der Ansicht, dass Schröder „auf jeden Fall“ von seinen Posten zurücktreten sollte. Unter Grünen-Anhängern sehen das 69,8 Prozent so, unter Unionswählern sind es 60,2 Prozent. Selbst unter SPD-Anhängern befürworten 51,5 Prozent der Befragten eine Rücktritt des Altkanzler von seiner Tätigkeit für das russische Staatsunternehmen.
Schröder ist Präsident des Verwaltungsrates der Nord Stream 2 AG, bei der der russische Konzern Gazprom formal einziger Anteilseigner ist. Kritiker werfen dem Altkanzler vor, in seiner Position Lobby-Arbeit für den Kreml zu betreiben. (dpa)
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