Nach Atomkraft-Aus nun auch Gas-Aus: Kritik aus Wirtschaft und Koalition an Habecks „Green Paper“

Ideenpapier „Green Paper“: Wirtschaftsminister Habeck will das Gasnetz abreißen lassen, obwohl der Ausbau der erneuerbaren Energien kaum vorankommt. Deutsche Anbieter von Alternativen schließen sich im Ausland mit internationaler Konkurrenz zusammen. Auch die Koalitionspartner kritisieren die Pläne der Grünen.
Rohre für eine neue Erdgasleitung. Das in Deutschland verfügbare Netz lässt sich laut einer Studie problemlos auch für den Transport von Wasserstoff nutzen.
Das Gasleitungssystem in Deutschland ist rund 500.000 Kilometer lang.Foto: Sina Schuldt/dpa
Von 8. April 2024

Nach „Atomkraft – nein danke“ heißt es in Deutschland nun auch „Erdgas – nein danke“. Ein Ideenpapier („Green Paper“) aus dem von Robert Habeck (Grüne) geführten Wirtschaftsministerium sieht die schrittweise Abschaffung der Gasversorgung vor.

Das Ganze geht einher mit dem auf 2045 festgelegten Ziel der Klimaneutralität Deutschlands. Diese „Transformation“ umfasse ein Auslaufen der Nutzung von Erdgas und einen Ersatz durch andere Energieträger, heißt es einleitend in dem 23-seitigen Papier.

Rekordnachfrage bei Gaskesseln

Dabei geht das Ministerium davon aus, dass die aktuelle Länge der Gasverteilernetze von mehr als 500.000 Kilometern „stark zurückgehen wird“. Der tatsächliche Umfang hänge davon ab, inwieweit diese Netze zur Verteilung von Wasserstoff verwendet werden könnten. Dazu seien technisch aufwendige „Modifikationen“ nötig.

Ein neuer „Ordnungsrahmen“ sei nötig, damit die „unterschiedlichen, zum Teil auch in einem gewissen Spannungsverhältnis stehenden Anforderungen miteinander in Einklang gebracht werden können“. Auch müssten Ende des vergangenen Jahres beschlossene EU-Vorgaben erfüllt und diese bis Ende 2025 im „nationalen Recht verankert“ werden.

Für „Verwunderung“ sorgte nun ein Schreiben des kommunalen Versorgungsbetriebs Augsburg, schreibt die „Welt“  (hinter Bezahlschranke). Das Unternehmen bereite seine Kunden demnach behutsam auf anstehende Änderungen vor. So werde die Gasversorgung in ihrem Stadtviertel in etwa zehn Jahren eingestellt und das Leitungsnetz stillgelegt. Diesen Plänen steht eine Rekordzahl von verkauften Gasheizungen im vergangenen Jahr gegenüber. So setzte die Branche deutschlandweit 790.500 Kessel ab, 32 Prozent mehr als 2022.

„Erfüllung planwirtschaftlicher Abrissvorgaben“

Die Stadtwerke Augsburg begegnen der Aufregung mit wenig Verständnis. So gehe es doch lediglich um Viertel der Fuggerstadt, in denen Häuser kostenlose Fernwärmeanschlüsse bekämen. Und immerhin habe man die Bürger mit acht bis zwölf Jahren bis zur Umstellung rechtzeitig informiert. Ein Sprecher des Energieversorgers wies zudem darauf hin, dass sich Bayern gesetzlich dazu verpflichtet habe, bis 2040 klimaneutral zu sein.

Im Zusammenhang mit Habecks „Green Paper“ sehe die Langzeitplanung in Augsburg jedoch nach „Erfüllung planwirtschaftlicher Abrissvorgaben“ aus, zitiert die „Welt“ Branchenvertreter. „Wer Deutschland deindustrialisieren will, kann das machen, was in dem Papier steht“, kritisierte Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW).

Dass Habecks Ministerium viel dafür tut, dass die Leitungen abgerissen würden, sich aber kaum um die Beschaffung von klimafreundlichem Erdgasersatz kümmert, verwundert viele Wirtschaftsvertreter. So planten einige Betriebe aus der Chemie-, Glas- und Papierindustrie den Einsatz von klimafreundlichem synthetischem Methan in ihrer Produktion.

Dieses „electric natural gas“ (eNG) werde aus grünem Wasserstoff und CO₂ aus Biomasse klimaneutral zusammengemixt. Für die Versorgung könne das bestehende Gasnetz ohne Probleme dienen. Das ist nach Ansicht der Fachleute aus der Wirtschaft ein klarer Vorteil gegenüber dem Wasserstoff, der ein noch zu bauendes Leitungsnetz benötigt.

Ablehnung alternativer Pläne „eine Ausrede“

Doch das Wirtschaftsministerium ließ die Hoffnungen von zwölf Unternehmen platzen, die für ihre eNG-Pläne das neue Förderinstrument der „Klimaschutzverträge“ nutzen wollten, mit dem Habeck die Industrieproduktion „dekarbonisieren“ will. Ihre Anträge wies das Ministerium mit dem Hinweis zurück, dass synthetisches Methan derzeit nicht im Emissionshandel der EU anerkannt sei.

„Eine Ausrede“, sagten die Gescheiterten und wiesen darauf hin, dass die EU-Kommission derzeit die Regeln reformiere. Daher sei es absehbar, dass das grüne Gas „deutlich vor Beginn des Fördervorhabens“ als Option anerkannt werde, zitiert die „Welt“ den Prokuristen eines Betriebes, der namentlich nicht genannt werden will.

Dies bestätigten auch Rechtsgutachten. Der Prokurist mutmaßt, dass es „einigen Vertretern im Wirtschaftsministerium“ wohl darum gehe, eine Infrastruktur zu zerstören, die die fossile Gaswirtschaft noch nutzen könnte. Die „großen Vorteile“ der Beimischung von klimaneutralem Methan in das bestehende Netz würden so „leichtfertig vergeben“.

Auch drohe der hiesigen Industrie der Verlust einer Möglichkeit zum Klimaschutz, für die es schon fertige Pläne gibt. So habe der in Wilhelmshaven ansässige Konzern Tree Energy Solutions (TES) ein Hafenterminal entwickelt, das auch für den Import von eMethan geeignet sei.

Großes Geschäft findet nun in Japan statt

„Die schrittweise Einbindung von eNG in den Gasmix bietet einen praktischen Ansatz zur Versorgung, ohne zusätzliche Kosten für öffentliche Haushalte zu verursachen“, wirbt das Unternehmen. Gemeinsam mit dem französischen Großunternehmen TotalEnergies habe man die ersten Mengen eNG in den USA produziert, berichtet TES. Der Konzern teilt zudem mit, dass weitere Produktionsstandorte in Kanada, dem Mittleren Osten und Australien mit Partnern wie ADNOC und Fortescue in Planung seien.

TES hat nun in Japan mit sieben Partnern eine „eNG-Koalition“ gegründet. Mit dabei sind neben dem bereits erwähnten TotalEnergies der ebenfalls aus Frankreich stammende Konzern ENGIE und die japanischen Unternehmen Mitsubishi, Osaka Gas und Tokio Gas. Ob die abweisende Haltung der Bundesregierung bei der Gasnetzeinspeisung Anlass dafür sei, sich nun in Fernost zu engagieren, wollte TES nicht kommentieren.

Bitten des ukrainischen Energieministers bleiben bisher ungehört

Auch die Anbieter von Biomethan fühlen sich wenig willkommen. Das inländische Potenzial des grünen Gases gelte als „erheblich“. Und aus der Ukraine könnte Deutschland größere Mengen importieren. Allen „Bitten und Nöten“ des ukrainischen Energieministers Herman Haluschtschenko zum Trotz ändere die Bundesregierung die Zollvorschriften nicht, um eingeführtes Ökogas auf die Treibhausquote anrechenbar zu machen, berichtet die „Welt“ weiter.

„Es scheint, dass durch die Schaffung möglichst hoher Importanforderungen das Angebot knapp gehalten werden soll, damit am Ende die Prophezeiung, dass Wasserstoff und Biomethan sehr teuer seien und das Gasnetz abgewickelt werden muss, auch tatsächlich eintritt“, analysiert ein deutscher Branchenvertreter das zögerliche Verhalten der Bundesregierung.

FDP hält Stilllegung für „vollkommen unangemessen“

Kritik am „Green Paper“ kommt aber nicht nur aus der Wirtschaft, sondern auch von den Koalitionspartnern der Grünen. „Als FDP-Fraktion sehen wir die technologische Entwicklung und künftige Verfügbarkeit von Wasserstoff deutlich optimistischer, als man das offenbar im Bundeswirtschaftsministerium tut“, zitiert der Nachrichtensender ntv den Vize-Fraktionsvorsitzenden der FDP, Lukas Köhler. Er hält die Diskussionen über die Stilllegung von Gasnetzen daher für „vollkommen unangemessen“.

Die SPD sieht die Pläne Habecks ebenfalls kritisch und warnt vor einem übereilten Rückbau der Gasnetze. Deren Zukunft hänge von einigen Faktoren ab, erläuterte Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Sie verwies auf die noch bevorstehenden kommunalen Wärmeplanungen.

Diese seien – gesetzlich geregelt – bis Mitte 2026 für Kommunen über 100.000 und bis 2028 für Kommunen unter 100.000 Einwohner vorzulegen. Die Kraftwerksstrategie und die Ausgestaltung eventuell dezentral wirkender Kapazitätsmechanismen hätten ebenso einen Einfluss wie die Weiterentwicklungen zum Wasserstoffkernnetz und Umrüstungspläne bereits bestehender Gasnetze. „Gasnetze unabhängig von diesen Entwicklungen infrage zu stellen oder preiszugeben, wäre fahrlässig“, bekräftigte Scheer.

Das Thema Rückbau sei politisch „brisant“. Er sei dann nicht mehr rückgängig zu machen, auch wenn künftige Regierungen andere Meinungen zu dem jetzigen Vorgehen hätten, schreibt „Apollo News“.  Der Grund sei, dass auf technischer Ebene „Fakten geschaffen wurden“ – ähnlich wie bei den Atomkraftwerken.

Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 15. April 2024 aktualisiert. Es sind die Stadtwerke Augsburg, die eine Umstellung der Wärmeversorgung planen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion